Politik/Ausland

Vor der letzten Schlacht um Aleppo

Militärische Gemetzel, diplomatisches Gerangel und gegenseitige Vorwürfe – wieder einmal verdichtet sich die komplizierte Gemengelage des syrischen Bürgerkrieges in und um Aleppo.

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Die syrische Armee in Allianz mit russischen Truppen, iranischen Kommandos und libyschen Milizionären schaffte dazu die Tatsachen auf dem Schlachtfeld: Am Dienstag und ebenso am Mittwoch gelang ihnen erneut ein riesiger Erfolg im belagerten Ost-Teil der belagerten Stadt. Sie eroberten die strategisch wichtige Altstadt von Aleppo und reduzierten das von Rebellen kontrollierte Gebiet in der Stadt auf nur mehr rund ein Drittel der vor Beginn der Offensive vor etwas mehr als einer Woche gehaltenen Regionen. Fast sieht es aus, als hätten die Rebellenverbände in Aleppo dem Trommelfeuer von russischer Luftwaffe, syrischer Artillerie und dem Ansturm auf dem Boden kaum etwas mehr entgegen zu setzen.

170.000 sitzen fest

80.000 Menschen sollen seit Beginn der Offensive bereits in von der Regierung oder Kurden kontrollierte Stadtteile geflohen sein. 170.000 Menschen sitzen in dem belagerten Gebiet noch fest. Viele von ihnen haben noch mehr Angst vor dem, was ihnen unter Assad blühen könnte, als vor Beschuss. Laut unterschiedlichen Berichten droht gerade Männern im wehrfähigen Alter entweder Inhaftierung mit allen Begleiterscheinungen oder Zwangsrekrutierung durch die Armee.

Wie angeschlagen die Rebellen mittlerweile sind, verdeutlicht deren Kommunikation. Zum einen lehnen Kommandanten der Milizen jede Kapitulation oder einen Abzug aus der Stadt ab. Zugleich fordern sie aber eine sofortige fünftägige Feuerpause, um rund 500 Schwerverletzte aus der Stadt bringen und über die "Zukunft Aleppos" verhandeln zu können. Aus Damaskus kam dazu postwendend die Absage: "Wir werden keine Waffenruhe akzeptieren", so der syrische Abgeordnete Fares Shehabi. Die Rebellen müssten zuerst abziehen. Sollten sie nicht abziehen, werde man die Angriffe fortsetzen.

Zwischen Russland und den USA wird indes ein Vorschlag diskutiert, der den Abzug der Rebellen aus Aleppo vorsieht. Gespräche auf höchster Ebene darüber gibt es aber nicht. Russlands Außenminister Sergej Lawrow machte indes die USA für das Scheitern eines Treffens zu dem Thema verantwortlich. Die USA wollten Zeit für die Rebellen gewinnen. US-Außenminister John Kerry wiederum bestritt aber eine Verweigerung. Eine Resolution auf UN-Ebene zum Thema Aleppo war am Montag am Veto Russlands und Chinas gescheitert.

Kerry pochte indes auf eine Fortführung der Syrien-Gespräche. Auch, wenn Aleppo falle, "wird der Krieg in Syrien weitergehen". Russland zufolge sei Syriens Präsident Assad verhandlungsbereit, so Kerry.

Als Vermittler in der Sache bringt sich jetzt die Türkei ins Spiel. Bei einem Besuch in Moskau fand Premier Binali Yildirim versöhnliche Worte. Ein Sturz Assads sei nicht das Ziel der Türkei. Man sei bereit, Kontakt zwischen der Opposition und Moskau zu vermitteln.

Zwei Jahre lang war der Logistiker Daniel Ebner in der Südost-Türkei im Einsatz für die Organisation Ärzte Ohne Grenzen (MSF). Aufgabengebiet: Die Umsetzung von Hilfslieferungen nach Syrien. Darunter auch in die derzeit so schwer umkämpfte Stadt Aleppo. Vergangenen August ging die letzte Lieferung in das damals noch nicht vollständig umschlossene Aleppo. 130 Tonnen medizinische Güter waren das – in Erwartung einer neuerlichen Belagerung, wie Ebner sagt.

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Acht Spitäler und Krankenstationen hatte MSF in Aleppo unterstützt. Und jetzt ist der Zeitpunkt erreicht, da die damals gelieferten Güter zur Neige gehen. 170.000 bis 200.000 Menschen sitzen im Ostteil der Stadt fest. „Wir brauchen humanitäre Korridore“, so Ebner. Damit Verwundete aus der Stadt kommen können oder medizinische Güter in die Stadt. Zugleich müssten die Flächenbombardements aufhören.

Syrien ist eine Mammutaufgabe für humanitäre Helfer: Sich ständig bewegende Frontlinien, große Fluchtbewegungen innerhalb des Landes selbst. „Wir versuchen in Syrien eine Minimalversorgung aufrechtzuerhalten“, so Ebner. Denn die medizinische Infrastruktur, die sei zumindest zum Teil zusammengebrochen. So sind es also NGOs wie MSF, die zum Beispiel Geburtenkliniken aufrechterhalten oder Impfaktionen vorantreiben. Klar sei, so Ebner: Innerhalb Syriens Medikamente aufzutreiben, sei zu einem Ding der Unmöglichkeit geworden; die Hilfe von außen damit zu einer Überlebensfrage geworden.

„Viele Leute werden fliehen, wenn sie keinerlei Hilfe erhalten“, sagt Ebner. „Menschen fliehen eben dorthin, wo sie eine Versorgung bekommen.“ Syrien sei zu einem Land geworden, in dem Menschen heute an Krankheiten stürben, die an und für sich relativ simpel seien.

Daher brauche es auch Impfkampagnen, um die Ausweitung von Epidemien zu verhindern, die dem Land auf Jahrzehnte bleiben könnten. Das sei auch eine Investition in die Zukunft des Landes.