Politik/Ausland

Vitali Klitschko boxt sich in der Politik durch

Nach einem erbittert geführten Wahlkampf hat in der Ukraine am Sonntag in der Früh die Abstimmung über ein neues Parlament begonnen. 36,6 Millionen Menschen sind stimmberechtigt, erste Prognosen werden für 19 Uhr erwartet. Bei dem Urnengang will die Opposition um Boxweltmeister Vitali Klitschko und die inhaftierte Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko die Regierung von Präsident Viktor Janukowitsch ablösen. Timoschenko darf wegen einer umstrittenen siebenjährigen Gefängnisstrafe nicht persönlich kandidieren. Vitali Klitschko gab dem KURIER ein Interview per Mail.

KURIER: Sie sind ein erfolgreiche Sportler. Warum wechseln Sie  in die Politik?
Klitschko: In der Ukraine haben wir ein Sprichwort: „Wenn du dich nicht in der Politik engagierst, wird die Politik dich engagieren“. Der Aufstand der Bürger 2004, der als Orange Revolution bekannt wurde, war eine massive Demonstration des Willens der   Ukrainer, ihr  demokratisches Recht  zu verteidigen, selbst den Kandidaten der Präsidentschaftswahl zu wählen. Dieser   Ausdruck des menschlichen Willens hat mich und eine ganze Generation junger, qualifizierter Menschen inspiriert, in die   Politik zu gehen und die Situation unseres Landes zum Besseren zu wenden.

Was sehen Ihre Pläne aus, sollte Ihre Udar-Partei den zweiten Platz gewinnen?
Lassen Sie uns nicht zu sehr besessen sein von unserem Platz in den Umfragen. Es ist die erste Udar-Kampagne für das Parlament, und ich glaube, wir haben Unterstützung in zweistelliger Höhe, die von allen Wählergruppen kommt. Natürlich bilden junge Wähler aus der Mittelklasse, die ein besseres Leben für sich und ihre Familien wollen und die Ukraine als Teil Europas sehen, die große Basis der Unterstützer.  Dafür wahlkämpfen wir auch bis zum Schluss und wir wollen gewinnen. Wenn wir und die anderen demokratisch Gesinnten bei der Wahl gut aussteigen, werden wir uns natürlich zusammentun, um eine Mehrheit zu bilden, damit wir eine Wahlplattform hinaustragen können, die zu allererst pro-europäisch ist. Wenn wir keine Mehrheit zusammenbringen, gehen wir in Opposition zum Janukowitsch-Regime, der seinerseits von der Partei der Regionen und den Kommunisten unterstützt wird.

Was halten Sie von Janukowitsch und seiner bisherigen Politik?
Präsident Janukowitsch hat eine simple Zwei-Punkte-Agenda: Zuerst wird Politik betrieben, die seine Oligarchen-Freunde bereichert und die Wirtschaft der Ukraine monopolisiert. Privatisierungen werden fixiert und bevorzugen seine Unterstützer unter den Oligarchen. Staatliche Ausschreibungen werden auch so gemacht, dass sie Unternehmen,  die Janukowitsch unterstützen, bevorzugen.  Als zweites werden die  Bürger- und Menschenrechte von jedem in Gefahr gebracht, der das Regime kritisiert. Politische Gegner werden von der Polizei bedrängt oder sogar ins Gefängnis geworfen, Bürgerproteste werden verboten, die Massenmedien sind permanent unter dem Druck der Autoritäten. Das ist nicht die Ukraine, die wir haben wollen. Janukowitsch bildet einen gesetzlosen Polizeistaat.

Sie sagten öfter, die Opposition wird bedrängt. Was ist Ihnen konkret passiert?
Udar und meine Kollegen sind unter unglaublichen Druck geraten. Ich habe mich vor einigen Wochen mit dem Generalstaatsanwalt getroffen, um ihn um Unterstützung zu bitten,  damit die Gesetzesübertreter der Justiz zugeführt werden. Leider ist nichts passiert. Viele beliebte  Udar-Kandidaten wurden von Polizei und Steuerbehörden drangsaliert, ihnen wurde mit Anklagen gedroht, falls sie sich nicht aus dem Wahlkampf zurückziehen. Sie haben aber dem Druck widerstanden. In mehreren Städten wurden unsere Versammlungen verboten, aus absurden Gründen, sie sagten wir wären eine „Bedrohung für die Sicherheit“. Die Plakate von Udar wurden in vielen Städten entfernt, obwohl die Plätze dafür gekauft und bezahlt waren. Unsere Gegner verteilten falsche und rechtswidrige Kampagneninformationen. Vertretern  von Udar wurde verboten,  an der Arbeit in Wahlkreis- und Bezirkskommissionen teilzunehmen.  All das hat in der Vorwahlzeit eine Atmosphäre kreiert, die nicht frei war von Zwang, Bedrängung und Einschüchterung.

Denken Sie, Julia Timoschenko sollte aus dem Gefängnis entlassen werden?
Der Schauprozess gegen Timoschenko und andere politische Gefangene in der Ukraine zeigt das Regime, wie es ist: autoritär. Der Gas-Vertrag für den sie angeklagt und verurteilt wurde (Anm.: Die Anklage warf Timoschenko vor, bei einem Gasabkommen mit Russland das Budget um 137 Millionen Euro geschädigt zu haben), ist auch heute noch in Kraft. Mehr noch als das: Die Regierung hält sich bis zum letzten Beistrich an den Vertrag, das ist doch absurd! Wenn das Abkommen gegen ukrainische Interessen verstößt, wieso hat dann das Janukowitsch-Regime beim Stockholmer Schiedsgericht keine Forderungen angemeldet, es zu brechen, so wie es im Vertrag ausverhandelt war? Das beweist doch, dass der Prozess gegen Timoschenko eine Farce war.

Würden Sie nach der Wahl mit der Timoschenko-Partei zusammenarbeiten?
Natürlich! Unsere Plattformen sind sehr ähnlich – wir sind auf der Demokratie basierende Parteien, die den Weg der Ukraine nach Europa befürworten. Deshalb werden wir natürliche Verbündete im neuen Parlament sein.

Was halten sie von den Konsequenzen, die Europa nach Timoschenkos Inhaftierung gezogen hat?
Die Europäische Union basiert auf den gemeinschaftlichen und allgemein akzeptierten demokratischen Werten, wirtschaftlichen Prinzipien und dem Rechtsstaat. Die Ukraine hat sich in Wort und Gesetz zur Integrationspolitik in die EU bekannt. Das bedeutet, dass die Ukraine die fundamentalen demokratischen Werte und wirtschaftlichen Prinzipien Europas akzeptiert. Wenn die Handlungen der ukrainischen Autoritäten dann damit nicht zusammenpassen, dann haben sicherlich unsere Partner in der EU das Recht, die ukrainischen Absichten zu hinterfragen. Leider stellt das Janukowitsch-Regime seine eigenen wirtschaftlichen Interessen vor die strategischen und nationalen Interessen der Ukraine. Das ist die Wurzel unserer heutigen Probleme  mit der EU.

Wie wollen Sie denn die Korruption in Ihrem Land bekämpfen?
Laut Sprichwort stinkt der Fisch vom Kopf her. Das ist eine passende Analogie zur staatlichen Korruption in der heutigen Ukraine. Die Wurzel der Korruption in meinem Land findet man in den Regierungsbüros. Während der Wahlkampagne haben wir in einer gemeinsamen Anstrengung versucht, die Korruption im Land zu dokumentieren. Wir sammelten mehr als 3000 Dossiers von Fällen, die Bürger dokumentiert hatten. Der gemeinsame Faktor in den meisten Dossiers war, dass Amtspersonen Schmiergelder kassierten für öffentliche Leistungen, die eigentlich gratis sind.  Wenn wir im Parlament sind, will Udar ein Anti-Korruptions-Büro schaffen, das nicht nur aus Beamten besteht, sondern auch Bürgern, Menschenrechtlern und Medien. Transparenz ist eines der effektivsten Mittel im Kampf gegen Korruption. Wenn man dann die Verantwortlichen der Justiz übergibt und die Fälle öffentlich macht, dann dient das als Abschreckung.

Was halten Sie von dem   Gesetz gegen „Schwulen-Propaganda", das in der Ukraine geplant ist?
Das ist ein weiterer Wahl-Gag der Partei der Regionen, genau wie das Gesetz zu  russischen Sprache (Anm.: In vielen Regionen wurde russisch als zweite Amtssprache festgelegt. Kritiker warfen der Regierung vor, sich zu sehr nach Moskau zu orientieren). Als nächstes will die Regierung noch regulieren, in welche Kirchen die Bürger gehen sollen. Ich denke, diese Dinge werden verschwinden, sobald die Wahl vorbei ist.

Werden Sie 2015 für die Präsidentschaft kandidieren?
Lassen Sie uns erst einmal den Ausgang dieser Parlamentswahlen abwarten, bevor wir weiter Zukunftspläne schmieden.

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