Verhandlungsmarathon an mehreren Fronten
Von Stefan Schocher
In der Ostukraine sind die Fronten zunehmend unübersichtlich. Zwischen den verschiedensten Fraktionen in den Reihen der Separatisten zeichnen sich Spannungen zwischen lokalen Gruppen und ausländischen Milizionären ab, während die Armee am Sonntag weiter gegen Aufständische in der umstellten Stadt Slowjansk sowie in der Region Lugansk vorging.
An den verschiedensten diplomatischen Fronten dieser Krise stehen derweil in den kommenden Tagen wenn schon nicht Entscheidungen, so doch zumindest Gespräche an: In Brüssel werden heute die Verhandlungen im Streit um die Gas-Versorgung der Ukraine und damit auch indirekt der EU wieder aufgenommen. Ebenfalls in Brüssel war ein Treffen des NATO-Russland-Rates geplant – das erste Treffen dieser Gruppe seit drei Monaten. Die NATO hatte die Konsultationen des Rates ja wegen der Ukraine-Krise ausgesetzt.
Am Dienstag ist dann ein Treffen der NATO-Außenminister geplant. Hauptthema dabei wird sein, ob die NATO ihr ständiges Kontingent in Polen aufstockt. Angedacht wird eine temporäre Vergrößerung des in Stettin stationierten multinationalen Korps Nordost. Derzeit umfasst es 200 Mann. Polen fordert die Aufstockung.
Was die Verhandlungen um russische Gaslieferungen an die Ukraine und damit auch über Transit-Lieferungen durch die Ukraine an EU-Staaten angeht, so zeigte sich EU-Energiekommissar Günther Oettinger vorsichtig optimistisch: Er sehe eine gute Chance, dass der Streit um offene Gas-Rechnungen Kiews diese Woche beigelegt werden könne und es zu, wie er es nennt, "normalen Lieferbeziehungen" kommt.
Russland eröffnet zugleich eine neue, in Anbetracht der Lage besonders zynische Front gegen die Ukraine – bedenkt man, dass in Kiew anhand starker Indizien (viele ausländische, bestens organisierte Kämpfer mit modernster Bewaffnung) von einer russischen Orchestrierung des bewaffneten Aufstandes in der Ostukraine ausgegangen wird. Moskau fordert nun von Kiew die Einhaltung von Rüstungsverträgen. Der Vorwurf, wie ihn Vizeverteidigungsminister Juri Borissow in einem Radiointerview umriss: Die Ukraine halte Verträge zur Lieferung von Waffen und Militärmaterial nicht ein, obschon Russland vier Fünftel der bestellten Güter bezahlt habe.
Unklarheit herrscht indes, was den Verbleib von neun Beobachtern der OSZE angeht, die in der Ostukraine von Separatisten verschleppt wurden. Russlands Botschafter bei der OSZE, Andrej Kelin, sagte: "Die Verhandlungen ziehen sich hin", Dauer und Ergebnis der Gespräche seien völlig offen.