Obama: "Amerikaner haben die Nase voll"
Von Stefan Schocher
Die USA schlittern also doch nicht in die Pleite – vorerst. Gelöst ist der festgefahrene Konflikt zwischen Demokraten und Republikanern mitnichten. Der Showdown in dem Streit ist lediglich vertagt.
Laut der Einigung, die Mittwochabend (Ortszeit) mit Biegen und Brechen durch beide Häuser des Kongresses gejagt wurde, steht den USA zu Beginn des kommenden Jahres genau das selbe Theater ins Haus wie jetzt. Die Regierung ist nun bis zum 15. Jänner budgetiert, danach wäre genau das fällig, was vor gut zwei Wochen eintrat: die Schließung der Bundesverwaltung. Die Schuldenobergrenze wurde angehoben – jedoch nur bis zum 7. Februar.
Atempause
Es ist also nichts weiter als eine vorübergehende Atempause, die Republikaner und Demokraten sich verschafft haben. Wenn auch die Einigung ein klarer Sieg für die Demokraten ist. Denn der größte Dorn im Fleisch der Republikaner – das bundesweite Krankenversicherungsprogramm Obamacare – bleibt relativ unangetastet. Über die tiefe politische Krise in den USA kann das jedoch nicht hinwegtäuschen.
Nach der Unterzeichnung der Einigung sagte US-Präsident Barack Obama, dass es jetzt für die Abgeordneten in Senat und Repräsentantenhaus vor allem darum gehe, das Vertrauen der Menschen wieder zu gewinnen. "Die Amerikaner haben von Washington wirklich die Nase voll", betonte das Staatsoberhaupt. Zugleich sagte er, die USA müssten die Gewohnheit ablegen, von Krise zu Krise zu regieren. Er fordert nun vom Kongress umfassende Reformen bei Themen wie Haushalt oder Einwanderung.
Der Streit über den Haushalt und die Schuldengrenze in den vergangenen zwei Wochen hätte der Wirtschaft einen Schaden zugefügt, der völlig unnötig gewesen sei. Die drohende Zahlungsunfähigkeit habe zudem die Kreditkosten steigen lassen, so dass das Defizit noch größer geworden sei.
Doch die Krise ist zementiert. Mit dem demokratisch dominierten Senat und dem republikanisch dominiertem Repräsentantenhaus ist die Regierungsarbeit gelähmt. Und das seit drei Jahren, seit den Kongresswahlen im November 2010, bei denen die Republikaner – und davon viele Vertreter der ultrakonservativen Tea Party – die Mehrheit in der Abgeordnetenkammer gewannen.
Seither funktioniert die US-Regierung nur mit vorübergehenden Einigungen, Übergangsbudgets und durch einschneidende Kompromisse mit den Republikanern. Das, während diese zunehmend mit ihrem rechten Flügel zu kämpfen haben, der den Rest der Partei und damit das gesamte Land in Geiselhaft nimmt. Bereits mehrmals in den vergangenen drei Jahren standen die USA am unmittelbaren Rand des Staatsbankrotts.
Die Folge eines solchen monatelangen Patts bereits im Jahr 2011 wird demnächst fällig. Bis Dezember 2013 sollte sich ein „Super-Komitee“ aus Republikanern und Demokraten auf Einsparungen von 2,4 Mrd. Dollar in den kommenden zehn Jahren einigen. Das war damals die Einigung – wenig überraschend – zur Anhebung der Schuldenobergrenze. Damals um 2,1 Billionen Dollar in zwei Stufen.
Stürmische Zeiten
Kommt es jetzt zu keiner Einigung, treten mit Jahresbeginn automatische Kürzungen in Milliardenhöhe in Kraft – fast genau einen Monat vor dem neuen Termin zur Schließung der Regierung und dem Erreichen der Schuldenobergrenze einen Monat später. Es stehen stürmische Zeiten bevor.
In einer Analyse des Economist heißt es, die USA hätten eine Form „dysfunktionalen Regierens“ perfektioniert, die auf hektischen Verhandlungen und Deals in letzter Minute basiere, um selbst auferlegte Krisen zu bewältigen. Die Schlussfolgerung des Autors: „Das ist keine Art, ein Land zu regieren.“ Denn jedes mal, wenn die Politiker das Land an den Rande der Katastrophe brächten, füge das dem Image der USA schweren Schaden zu und unterminiere vor allem ihre Kreditwürdigkeit. Die Folge: „Die langsame Erodierung des Vertrauens in Amerika.“
Wir Europäer haben ja auch unsere HC Straches, die Geert Wilders , die Marine Le Pens oder wie Europas ziemlich erfolgreiche Rechtspopulisten auch immer heißen mögen. Aber im Unterschied zu den USA sind die politischen Scharfmacher diesseits des Atlantiks kaum in der Lage, ganze Staaten zu blockieren und an den Rand des finanziellen Abgrunds zu treiben. Die politische Minderheit bleibt die Minderheit. Das Heft des Handelns hat immer noch die regierende Mehrheit in der Hand. Mit Blick auf das unwürdige politische Schauspiel der vergangenen Wochen in den USA ist man verleitet zu sagen: glücklicherweise.
Im einst hochgelobten politischen System der USA mit einer ausgeklügelten Maschinerie von „checks and balances“, von Geben und Nehmen, muss also ziemlich der Wurm drinnen sein, wenn plötzlich möglich wird, dass eine kleine, radikale Minderheit wie die Tea Party die größte Supermacht der Welt fast bis zum finanziellen Selbstmord treibt. Wenn eine Seite nur noch blockiert, Kompromiss als Verrat ansieht und Erpressung als politische Methode etablieren will. Wenn eine Horde wildgewordener „Regierungshasser“ die ganze „Grand Old Party“ der Republikaner vor sich hertreibt.
Gemeinsam an einem Strang
Noch heute gäbe es keinen Deal, den Shutdown zu beenden, hätten sich nicht in allerletzter Minute die gemäßigten politischen Kräfte des Landes zusammengefunden. Demokraten und moderate Republikaner zogen gemeinsam an einem Strang. Oder, wie Churchill schon sagte: „Wir können immer darauf bauen, dass die Amerikaner das Richtige tun – nachdem sie alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft haben.“
Die Querköpfe der Tea Party aber haben immer noch nicht genug und drohen: „Das ist noch nicht vorbei.“ Wohl wahr. Zu Jahresbeginn, wenn sowohl das US-Budget als auch die Schuldenobergrenze neu verhandelt werden müssen, droht sich das ganze unwürdige Polit-Schauspiel noch einmal zu wiederholen. Die Tea Party ist mit ihrem Aufstand zwar gescheitet, ihrem Ziel, Obamas gehasster Gesundheitsreform das Wasser abzugraben, kam sie nicht näher. Und doch wird sie auch im Jänner nicht lockerlassen. In ihren Wahlkreisen werden die Tea-Party-Abgeordneten wie Helden im Krieg gegen das „Establishment“ in Washington gefeiert.
Und Obama? Wo war seine Leistung? Der US-Präsident lehnte sich zurück, in der Hoffnung, dass der Furor der Tea-Party-Abgeordneten irgendwann einfach implodieren muss. Letztendlich behielt der US-Präsident recht, aber eine politische Glanzleistung war dies für den mächtigsten Mann der Welt nicht. Er hätte mehr Leadership zeigen können. Er hätte versuchen müssen, die vernünftigen Stimmen in den Reihen der gemäßigten Republikaner zu stärken. Denn der Präsident der größten Volkswirtschaft der Welt kann es sich nicht leisten, dass die USA alle paar Monate am Rande eines finanziellen Abgrunds herumtaumeln.
Die Republikaner von rechts außen haben hoch gepokert. Und verloren. Denn der Übergangskompromiss entspricht beinahe den Forderungen von Präsident Obama. „Die Grand Old Party hat durch den Shutdown gar nichts gewonnen“, schrieb die Huffington Post. „Nicht viel“, glaubt CNN. „Selten ist eine Strategie so fehlgeschlagen“, schrieb die Washington Post.
Auch in den Reihen der Republikaner ließen sich der Shutdown und der Kompromiss am Donnerstag einfach nicht als Sieg verkaufen. Der Fraktionschef der GOP im Repräsentantenhaus, John Boehner, sagte im Radio: „Wir haben einfach nicht gewonnen.“ Auf die Frage, ob die Partei irgendetwas Positives aus dem wochenlangen Kampf mitgenommen hätte, sagte Senator Kelly Ayotte einfach: „Nein.“ Sein Kollege Jeff Flake zieht zumindest die Lehren daraus: „Dass wir es nie mehr zu einem Shutdown kommen lassen.“
Innerparteiliche Differenzen
Für Senator John McCain gibt es ein wichtiges Fazit: „Wir müssen jetzt unsere innerparteilichen Differenzen angehen.“ Denn eines wurde deutlich: Die Partei ist tief gespalten. Der radikale Flügel hat versucht, ein Ende oder zumindest eine Änderung von Obamacare zu erpressen. Sowohl im Senat, als auch im Abgeordnetenhaus haben einige Republikaner schließlich aber nachgegeben und sich auf die Seite der Demokraten gestellt – und so das wochenlange Tauziehen um das US-Budget zumindest vorläufig beendet. Die Partei hat verloren. Doch es gehe „nicht immer darum, zu gewinnen, manchmal geht es ums Versuchen“, sagte der Abgeordnete Matt Salmon.
Die radikale Tea Party hat nur bei ihrer eigenen Klientel am rechten Rand gewonnen. Bei der restlichen US-Bevölkerung aber hat sie mächtig an Ansehen verloren. Laut Pew Forschungsinstitut haben fast die Hälfte aller Amerikaner ein schlechtes Bild von der Bewegung. Und die Wirtschaft wendet sich von ihr ab. Bei den Vorwahlen für die Kongresswahlen im kommenden Jahr werden sich Wirtschafts-Lobbyisten neu orientieren und wohl eher pragmatischere, moderate Republikaner unterstützen, glaubt das Wall Street Journal. Denn in der aktuellen Konstellation sieht es im Kongress düster aus: Auch bei anderen großen politischen Themen, etwa bei der Einwanderungsreform, sind mit dieser Haltung Kompromisse nur schwer zu erzielen.
Jungsenator Ted Cruz hat es zumindest geschafft, sich einen Namen zu machen. Gegen Obama hat er vorerst den Kürzeren gezogen. Als Anführer der Totalblockierer sieht er auf kurze Sicht vielleicht wie ein Verlierer aus. Doch auf lange Sicht hat sich der 42-Jährige als schärfster Gegner Obamas im Kongress in Stellung gebracht. Er gilt für manche schon als Präsidentschaftskandidat der Tea Party für 2016.
Großer Verlierer ist der Kongress. Er hat laut Umfragen viel Ansehen eingebüßt. Küchenschaben, Hundekot und Hämorriden waren Amerikanern am Höhepunkt des Shutdown lieber als Abgeordnete, fand das Public Policy Polling Institut heraus. Sogar die Steuerbehörde stieg besser aus.
Die Einigung im Überblick:
- Hunderttausende Staatsbedienstete können ab diesem Donnerstag wieder arbeiten. Weil es zum 1. Oktober keinen neuen Haushalt gab, mussten sie in einen Zwangsurlaub gehen. Sie erhalten rückwirkend ihren Lohnausfall erstattet. Behörden sowie Nationalparks öffnen wieder.
- Die US-Regierung hat bis zum 15. Jänner ein Übergangsbudget. Gibt es bis dahin keine Einigung auf einen neuen Haushalt, droht wieder ein Stillstand der Verwaltung. Bis zum 13. Dezember muss eine Kommission mit Vertretern der Demokraten von US-Präsident Barack Obama und den oppositionellen Republikanern Vorschläge machen, wie das Haushaltsdefizit abgebaut werden kann.
- Das Prinzip der automatischen Ausgabenkürzungen querbeet durch alle Ressorts (Sequester) bleibt erhalten. Damit soll der Druck auf beide Parteien aufrechterhalten bleiben, bis Mitte Jänner eine dauerhafte Lösung im Haushaltsstreit zu finden.
- An der heftig umstrittenen Gesundheitsreform von US-Präsident Barack Obama gibt es nur geringfügige Korrekturen. Demnach gibt es eine neue Regelung, mit der Einkommen von Antragstellern überprüft werden, die staatliche Beihilfe für ihre Krankenversicherung beanspruchen. Ursprünglich wollten die oppositionellen Republikaner die wichtigste Reform Obamas ganz zu Fall bringen.
- Das Schuldenlimit wird bis zum 7. Februar 2014 angehoben. Bis dahin kann die US-Regierung Rechnungen, Renten- sowie Zinszahlungen begleichen, ohne dass der Kongress zuvor eine neue Schuldenobergrenze festlegen muss.
2. November 2010 Die Republikaner erobern bei den Kongresswahlen das Repräsentantenhaus. Der Urnengang bringt zahlreiche Abgeordnete der erzkonservativen Tea-Party-Bewegung ins Parlament, die in der Haushaltspolitik keine Kompromissbereitschaft zeigen.
15. April 2011 Die USA schrammen knapp an einer Schließung der Bundesverwaltung vorbei. Der Kongress verabschiedet im letzten Moment ein Budget mit Milliardeneinschnitten für das restliche Budgetjahr.
16. Mai 2011 Die USA erreichen das Schuldenlimit von 14,3 Billionen Dollar (10,5 Billionen Euro). Das Finanzministerium hat dank außerordentlicher Maßnahmen wie dem Aussetzen von staatlichen Beiträgen in Pensionskassen noch Spielraum bis zum 2. August.
31. Juli 2011 Nach einem wochenlangen Patt einigt sich Obama mit dem Kongress auf eine zweistufige Anhebung der Schuldengrenze um 2,1 Billionen Dollar, an die Einsparungen von mehr als 2,4 Billionen Dollar über einen Zeitraum von zehn Jahren gekoppelt sind. Ein Gremium aus Demokraten und Republikanern, das Superkomitee, soll einen Sparplan ausarbeiten - sonst drohen automatische Einschnitte.
2. August 2011 Obama setzt das sogenannte Budgetkontrollgesetz in Kraft, eine Zahlungsunfähigkeit der USA ist abgewendet.
5. August 2011 Die Ratingagentur Standard & Poor's entzieht den USA nach dem Drama um die Schuldenobergrenze die Bestnote AAA.
21. November 2011 Das Superkomitee scheitert mit seiner Mission.
16. Dezember 2011 Erneut wendet der Kongress kurz vor Fristablauf einen Verwaltungsstillstand ab. Senat und Repräsentantenhaus billigen einen Etat, mit dem die Finanzierung der Regierungsgeschäfte bis Oktober 2012 abgesichert ist.
1. August 2012 Demokraten und Republikaner in den USA vertagen ihren Streit über das Staatsbudget mit einem weiteren Übergangsetat auf die Zeit nach der Präsidentschaftswahl. Die Staatsfinanzierung wird nun bis März 2013 gewährleistet.
6. November 2012 Obama wird für eine zweite Amtszeit wiedergewählt. An den Machtverhältnissen im Kongress ändert sich nichts: Die Republikaner kontrollieren weiter das Repräsentantenhaus, die Demokraten den Senat.
31. Dezember 2012 Die USA erreichen die Schuldenobergrenze von 16,4 Billionen Dollar. Durch Sondermaßnahmen des Finanzministeriums bleibt bis Mitte Februar Zeit für eine Anhebung. Zugleich fürchtet Washington die "Fiskalklippe" aus massiven Steuererhöhungen und den automatischen Kürzungen des Budgetkontrollgesetzes, die mit 1. Jänner 2013 in Kraft treten sollen. In der Neujahrsnacht wird die "Fiskalklippe" um zwei Monate verschoben.
31. Jänner 2013 Der Kongress stimmt für eine Aussetzung des Schuldenlimits. Mitte Mai soll die Grenze automatisch um die in der Zwischenzeit aufgenommenen neuen Schulden erhöht werden.
1. März 2013 Nach dem Scheitern von Verhandlungen setzt Obama die automatischen Kürzungen in Kraft. Alleine bis Oktober müssen nun 85 Milliarden Dollar quer durch alle Ressorts eingespart werden.
21. März 2013 Mit einem weiteren Übergangsbudget stellt der Kongress die Finanzierung für die verbleibenden sechs Monate des Budgetjahres sicher.
19. Mai 2013 Die Schuldenobergrenze steht nun bei 16,7 Billionen Dollar. Buchungstricks verschaffen dem Finanzministerium Luft bis Mitte Oktober.
1. Oktober 2013 Weil sich Demokraten und Republikaner nicht auf einen Etat für das neue Budgetjahr einigen können, werden in den USA zum ersten Mal seit Mitte der 1990er Jahre weite Teile der Bundesverwaltung geschlossen.
16. Oktober 2013 Erst Stunden vor dem endgültigen Erreichen des Schuldenlimits rauft sich der Kongress zusammen. Der Kompromiss sieht die Anhebung des Schuldendeckels bis zum 7. Februar 2014 und ein Übergangsbudget bis zum 15. Jänner 2014 vor.