Ukraine: Wo ist die Waffenruhe?
Von Stefan Schocher
Es ist die Aufgabe der OSZE, die Einhaltung eines Abkommens zu kontrollieren, das schon seit jeher mehr auf dem Papier als in der Realität existiert. Und es ist genau die Beobachtungsmission dazu, die mit jedem Tag unmöglicher wird. Entlang der gesamten Front wird geschossen. Die Bewegungsfreiheit der Beobachter ist schwer eingeschränkt. Und zuletzt warf ein pro-russischer Milizionär den Beobachtern im Streit eine unexplodierte Artillerie-Granate ins Auto. Nur ein Beispiel – und nur ein Auswuchs dessen, was sich derzeit in der Ostukraine abspielt: Der drohende totale Zusammenbruch des Minsker Waffenstillstandsabkommens.
Mit entsprechend klarem Hintergrund forderte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko nun ein Dringlichkeitstreffen mit den europäischen Mitverhandlern des Minsk-Deals: Deutschland und Frankreich. Kommenden Montag wird Poroschenko Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande in Berlin treffen. Arbeitstitel: Die Zukunft des Minsk-Abkommens. Vonseiten russischer Medien wurde nicht ausgeschlossen, dass es knapp darauf zu einem neuerlichen Treffen von Merkel, Hollande, Poroschenko und Russlands Präsidenten Wladimir Putin in Minsk kommen würde. Poroschenkos Administration gab zudem bekannt, dass Poroschenko in den kommenden zwei Wochen nach Brüssel reisen will. Da wird es neben dem Minsk-Abkommen aber wohl vor allem um die Verlängerung der Russland-Sanktionen der EU gehen.
Schuldzuweisungen
Russland weist die Schuld an der Eskalation Kiew zu. Bei einem Besuch auf der von Russland annektierten Krim sagte Putin, Kiew plane eine Offensive. Die ukrainischen Seite dagegen befürchtet viel eher einen Vorstoß pro-russischer Milizen. Vor allem, da sich die derzeitigen Auseinandersetzungen auf die Front nördlich der stark befestigten Hafenstadt Mariupol konzentrieren – durch einen Vorstoß hier könnte Mariupol auf dem Weg zur Krim (Stichwort Landverbindung) umgangen werden.
Ein Sprecher der ukrainischen Armee sagte dazu und zu Putins Anschuldigungen, die Eskalation sei Beweis dafür, dass die Russland-gestützten Milizen kein Interesse an einer Beilegung des Konfliktes hätten. Die OSZE berichtet indes von Verstößen gegen das Minsk-Abkommen von beiden Seiten.
Inmitten all dessen starteten die USA in Süddeutschland gemeinsam mit elf weiteren NATO-Staaten die bisher größte Luftlandeübung seit dem Ende des Kalten Krieges. Das Manöver "Swift Response 15" umfasst Operationen in Deutschland, Italien, Rumänien und Bulgarien. Knapp 5000 Soldaten nehmen Teil. Höhepunkt: Der Absprung von rund 1000 Fallschirmjägern am 26. August. Das Manöver ist nur der letzte Höhepunkt in einer ganzen Serie an NATO-Manövern im Baltikum, Polen, sowie Rumänien und Bulgarien mit eindeutigem Adressaten: Russland.