Ukraine will Timoschenko ausreisen lassen
Von Stefan Schocher
Bisher hatte es der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch tunlichst vermieden, den Namen Julia Timoschenko auch nur in den Mund zu nehmen – geschweige denn Aussagen über ihren Verbleib zu tätigen. Am Donnerstag preschte er mit einer Ansage vor, die aufhorchen ließ. Der inhaftierten Oppositionellen könnte die Ausreise zu medizinischer Behandlung gewährt werden. Sollte das Parlament einem entsprechenden Gesetzt zustimmen, so werde er dieses unterzeichnen, zitierte die Agentur Interfax Janukowitsch bei einem Besuch im ostukrainischen Donezk, seiner Hochburg.
An sich hätte der Präsident die Befugnis, Timoschenko zu begnadigen. Darum geht es aber nicht. Sondern darum, dass ihr die Ausreise gewährt werden soll. Durch ihre Verurteilung wäre Timoschenko jedoch weiter von jeder aktiven politischen Tätigkeit ausgeschlossen. Ein Umstand, der Janukowitsch entgegen kommt, denn laut Umfragen ist die inhaftierte Politikerin nach wie vor Janukowitschs härteste Rivalin. Würden die beiden bei Präsidentenwahlen gegeneinander antreten, hätte Timoschenko sehr gute Chancen zu gewinnen.
Seit August 2011 aber sitzt die einstige Premierministerin in Haft. Im Oktober 2011 wurde sie wegen Amtsmissbrauch zu sieben Jahren Haft verurteilt. All das in einem Prozess, der von Seiten der EU als politisch motiviert und selektiv bezeichnet wurde.
Nach der Präsidentenwahl 2010, bei der Timoschenko und Janukowitsch gegeneinander antraten, wurden gegen zahlreiche Verbündete der unterlegenen Timoschenko Ermittlungen gestartet. Einige Politiker flohen ins Ausland, einige wurden verurteilt – letztendlich auch Timoschenko. Die EU aber machte ihre Freilassung und Reformen in Menschenrechtsfragen zur Bedingung für den Abschluss eines Assoziationsabkommens mit der Ukraine. Für kommenden November ist die Unterzeichnung in Vilnius geplant.
In dem Fall erschwerend hinzu kam für Janukowitsch, dass Timoschenko in Haft schwer erkrankte. Spezialisten der deutschen Klinik Charité stellten einen schweren Bandscheibenvorfall fest, der unter Haftbedingungen nicht adäquat behandelt werden könne. Zuletzt hatte Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle in Kiew über einen Plan verhandelt, Timoschenko zu medizinischer Behandlung ausreisen zu lassen.
Kein Kommentar
Die Bemühungen haben anscheinend zumindest begrenzt Wirkung gezeigt. Aus dem Pressebüro Timoschenkos wollte man zu der Aussage Janukowitschs am Donnerstag aber keinen Kommentar abgeben. Ein offizielles Angebot oder eine Bestätigung der Aussage liege nicht vor, so eine Sprecherin auf Anfrage des KURIER.
Für die Ukraine steht eine Menge auf dem Spiel. Das Assoziierungs- und Freihandelsabkommen mit der EU ist seit Jahren ausverhandelt und vor allem populär. Es platzen zu lassen, würde Janukowitsch schwer zusetzen. Zugleich aber übt auch Russland Druck auf die ukrainische Regierung aus, denn Moskau verfolgt seine eigenen Pläne: Eine Zollunion zwischen Kasachstan, Russland und Weißrussland, der nach dem Willen Moskaus auch die Ukraine beitreten soll. Eine Mitgliedschaft in beiden Partnerschaften steht aber nicht zur Debatte. Für die Ukraine stellt sich also gerade dieser Tage die Frage, wo man sich langfristig positioniert: An der Seite Russlands oder an jener der Europäischen Union.