Schokobaron strebt an die Staatsspitze
Von Stefan Schocher
Wenn Präsidentschaftskandidaten auf Wahlplakaten Tarnanzug tragen, so wirft das ein gewisses Licht auf die Stimmungslage eines Landes. Anatoli Grizenko, einst Verteidigungsminister, heute unabhängiger Parlamentarier, ist laut Umfragen zwar chancenlos und an sich auch alles andere als ein Kriegstreiber, aber sein Werbesujet bringt auf den Punkt, worum es den meisten Ukrainern kommenden Sonntag geht. An diesem Tag finden Präsidentschaftswahlen statt, und beherrscht wird die Wahl von einem Thema: den schwelenden und bisweilen aufflammenden internen Konflikten im Osten und Südosten des Landes.
Wer die Wahl gewinnen wird, steht gewissermaßen fest: Petro Poroshenko. Laut Umfragen könnte er den Sieg im ersten Wahlgang schaffen. In Umfragen führt er mit großem Vorsprung, gefolgt von Ex-Premierministerin Julia Timoschenko. Er präsentiert sich in Zivilkleidung. Aber auch er greift in öffentlichen Auftritten und Statements das beherrschende Thema auf: Und er vertritt dabei eine durchaus harte Linie gegen die Separatisten in der Ostukraine ("Zur Vernichtung der Terroristen gibt es keine Alternative") sowie gesellschaftspolitisch christlich-soziale Werte; er verspricht das Ende der Korruption und eine Fortsetzung der europäischen Integration der Ukraine.
Pragmatismus
Poroshenko hat dabei bei den ukrainischen Wählern vor allem einen Bonus: In Anbetracht der gegenwärtigen Krise will eine große Mehrheit eine Entscheidung im ersten Wahlgang. Und im Kreise der Kandidaten ist es vor allem er, dem zugetraut wird, mit allen Konfliktparteien reden zu können. In den vergangenen Jahren hatte er sich als politisches Chamäleon generiert. Vor fast genau zehn Jahren hatte er die Orange Revolution maßgeblich mitfinanziert, war Außenminister unter dem westlich gesinnten Präsidenten Juschtschenko und dann Wirtschaftsminister unter Präsident Janukowitsch – um dann aber ausdrücklich und aktiv die Revolution zu dessen Sturz zu unterstützen. Aber da ist vor allem auch ein Umstand, der Poroshenko zugute kommt: Als Großunternehmer (er besitzt den Schokoladekonzern Roshen, eine Werft, Rüstungsunternehmen sowie den TV-Sender Kanal 5) wird ihm zugetraut, mit der Schattenmacht der Oligarchen umgehen zu können – schlicht, weil er die Mechanismen in diesen Kreisen sehr gut kennt.
Und in diesem Zirkel verändern sich die Machtgefüge gerade in diesen Tagen rasant. Mit Kohle und Stahl anstatt mit Schokolade macht Rinat Achmetow Geschäfte – er ist der mit Abstand reichste Ukrainer mit enormem politischen Einfluss. Nur, dass gerade seine Machtbasis, der Donbass, zum Problem mit unsicherer Zukunft geworden ist. Seine Rolle war bisher nicht eindeutig. Politisch war er eng mit dem gestürzten Präsidenten Janukowitsch verbunden, und über Verbindungen zwischen ihm und den Separatisten wurde gemunkelt. Jetzt hat er sich mit einer Videobotschaft an die Bewohner der Ostukraine gewandt. Darin verurteilt Achmetow den bewaffneten Aufstand und die Separatisten, spricht von einem Genozid an der lokalen Bevölkerung und ruft diese zum Widerstand gegen die Separatisten und zu Warnstreiks auf. Ein Aufruf mit Folgen: Zehntausende folgten ihm. Separatistenführer Denis Puschilin reagierte mit scharfen Worten: "Achmetow hat seine Wahl getroffen, leider richtet sie sich gegen die Wahl der Bevölkerung." Er habe sich "für den Terror" gegen das Volk entschieden.
Mit dem Aufruf Achmetows wächst aber leise Hoffnung in Kiew, dass die bevorstehende Wahl am Sonntag auch im Osten, wo die Autorität Kiews massiv bröckelt, stattfinden wird.
Sehr freizügig präsentiert sich eine "Ministerin" der "Volksrepublik Lugansk". Irina Filatowa soll für Kultur oder Außenbeziehungen verantwortlich sein. Dazu gibt es unterschiedliche Angaben. Aber egal, das Gebilde wird sowieso von niemandem anerkannt.
Die junge Dame wurde im Zuge der ukrainische Umwälzungen irgendwie nach oben gespült – und jetzt von ihrer Vergangenheit eingeholt. Denn Nachrichtenportale veröffentlichten Fotos, die Filatowa einstmals in sozialen Netzwerken gepostet hatte. Eines zeigt sie in Bikini und mit gespreizten Beinen; in der Hand hält sie eine Flasche. Andere Fotos der "Neo-Ministerin" sollen noch freizügiger sein.