Waffenabzug oder Umgruppierung?
Von Stefan Schocher
Es war eine praktisch offizielle Verabschiedung: 50 Mann in Zweierreihe im Zentrum der russischen Stadt Jekaterinburg, die meisten in Sturmhauben, gesegnet von einem Priester, geküsst von Freundinnen und Frauen, dann ab in den Zug – in die Ostukraine. Aufbauarbeit sollten sie leisten, so ein Kommandant, der den professionellen Hintergrund der Gruppe so umschrieb: "Hauptsächlich Veteranen von Spezialeinheiten." Und betonte: "Alles Freiwillige" – schüchterne Freiwillige, daher auch die Sturmhauben.
Es war die größte derartige Gruppe, die seit Beginn des Waffenstillstandes in die Ukraine entsandt wurde. Und in Kiew wird davon ausgegangen, dass diese weniger den zivilen Aufbau im Auge haben, als vor allem eines: Eine neue Offensive. Eine solche könnte sich im Süden der Front anbahnen – um die Stadt Mariupol. Seit Tagen toben schwere Gefechte um die Ortschaft Shyrokyne östlich von Mariupol. Beobachter der OSZE berichteten von schweren Panzer-, Artillerie- und Maschinengewehrgefechten um die Ortschaft. Kämpfe wurden auch aus dem Gebiet um den Flughafen von Donezk gemeldet.
An sich sollten beide Seiten derzeit laut Waffenstillstandsabkommen schwere Waffen von der Front abziehen. Das passiert laut OSZE auch zumindest zu einem Teil. Nur wird den Beobachtern von beiden Seiten immer wieder untersagt, Waffentransporte zu ihren Zieldestinationen zu begleiten – wohl auch, weil das Misstrauen in die Beobachter beiderseits groß ist. Ein Vorwurf lautet, Koordinaten von Positionen seien weitergegeben worden.
Vor allem Kiew wirft den pro-russischen Milizen in der Ostukraine aber vor, mit dem angeblichen Abzug schwerer Waffen nur eine Regruppierung über Umwege ins Hinterland zu betreiben. So sollen sich große Verbände um Mariupol gesammelt haben. Ebenso um die Stadt Gorliwka nördlich von Donezk sowie um den Flughafen von Donezk. Die Pro-Russen sehen sich mit geschätzten 33.000 Mann militärisch anscheinend in der stärkeren Position. So sagte der Chef der Volksrepublik Lugansk, Igor Plotznizki, die ukrainische Armee sei derzeit nicht zu einer Offensive fähig.
In Kiew sieht man das anders. Die Armee sei auf 250.000 Mann aufgestockt, die operative Truppe im Osten massiv verstärkt worden, so Verteidigungsminister Stepan Poltorak. Und die Armee kann auf neues Material hoffen: Laut AFP haben die USA zugesagt, demnächst 30 gepanzerte Jeeps, 200 Pick-ups sowie Drohnen zu liefern.