Kiew: Russische Panzer rollen in die Ukraine
Mehr als zwanzig russische Panzer haben nach Angaben eines ukrainischen Militärsprechers die Grenze zur Ukraine überquert. Sie näherten sich der von prorussischen Separatisten besetzten Stadt Nowoasowsk südöstlich von Mariupol, teilte der Sprecher am Freitag mit. Auch zehn Raketenwerfersysteme und mehrere Busse mit Kämpfern seien über die Grenze gebracht worden. Trotz der vereinbarten Waffenruhe sei in den vergangenen Tagen militärische Ausrüstung aus Russland in die Ukraine transportiert worden, fügte der Militärsprecher hinzu.
Auch die Gefechte setzen sich fort - trotz der vereinbarten Waffenruhe. Im Konfliktgebiet habe es innerhalb von 24 Stunden rund 50 Verstöße gegen die Kampfpause gegeben, teilte die Militärführung in Kiew mit. Auch die Aufständischen warfen den Regierungstruppen Dutzende Angriffe vor.
Genug für EU-Ratspräsident Donald Tusk: Er hat neue Sanktionen angekündigt. "Wir erreichen eindeutig einen Punkt, an dem weitere diplomatische Bemühungen erfolglos sind, so lange sie nicht von weiteren Maßnahmen unterstützt werden", erklärte der polnische Politiker am Freitag in Brüssel. Er werde deshalb mit den Staats- und Regierungschefs der EU über die nächsten Schritte beraten. Welchen Umfang weitere Sanktionen haben sollen und ob sie sich wie bisher gegen Russland und die prorussischen Separatisten richten, ließ er offen.
Maidan-Opfer: Kiew macht Moskau verantwortlich
Am Freitag gedenkt die Ukraine der Opfer der Ausschreitungen auf dem Maidan vor einem Jahr. Am Gedenktag gab der ukrainische Präsident Petro Poroschenko Russland die Schuld am Tod von rund 100 Menschen. "Jetzt ist endgültig klar, dass wir auf dem Maidan vor einem Jahr nicht gegen Janukowitsch gekämpft haben. Er war nur eine brutale und willige Marionette", sagte Poroschenko am Freitag bei einer Gedenkfeier zu Ehren der bei dem Umsturz Getöteten. Der Geheimdienst verfüge über Aufzeichnungen von Telefonaten Janukowitschs mit russischen Vertretern. Diese hätten die Gewalt gegen die Demonstranten lange vorbereitet, behauptete Poroschenko (siehe unten).
1 Jahr nach dem Maidan-Massaker:
Trotz der zahlreichen Bemühungen der EU, im Ukraine-Konflikt zu vermitteln, warf der EU-Ausschuss des britischen Oberhauses der eigenen Regierung und der Europäischen Union in einem Bericht einen naiven Umgang mit Russland vor. Der Ausschuss sei zu dem Schluss gekommen, "dass die EU und damit auch Großbritannien in dieser Krise des Schlafwandelns schuldig" seien, erklärte der Ausschussvorsitzende Christopher Tugendhat am Freitag.
"Ein Mangel an verlässlichen analytischen Kompetenzen" in London und Brüssel habe zu "einer katastrophalen Missdeutung der Stimmung" in der Anfangsphase des Konflikts geführt. Der Westen sei stets von der "optimistischen Prämisse" ausgegangen, dass sich Russland demokratisieren werde, hieß es weiter. Auf dieser Grundlage seien die Russland-Kompetenzen sowohl im britischen Außenministerium als auch in den Außenämtern anderer EU-Staaten zurückgefahren worden. Dies habe dazu beigetragen, dass die EU keine "entschiedene Antwort" auf das Vorgehen Russlands in der Ukraine gegeben habe.
Mission für die Ukraine
Indes wird weiter diskutiert, ob es eine internationale Friedensmission geben soll oder. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hatte dies vorgeschlagen. Eine EU-Polizeimission unter UNO-Mandat wäre die beste Form eines internationalen Friedenseinsatzes, sagte Poroschenko am Donnerstag in Kiew. Die deutsche Regierung knüpft einen möglichen EU-Friedenseinsatz in der Ukraine an die Zustimmung Russlands. "Eine Friedensmission muss von allen gewollt und getragen werden", sagte die Sprecherin des deutschen Auswärtigen Amtes, Sawsan Chebli, am Freitag in Berlin.
Hahn kritisiert Wortbruch
Allerdings sprach sich EU-Parlamentspräsident Martin Schulz einmal mehr gegen Waffenlieferungen an Kiew aus. Sie könnten den Krieg dort weiter anfachen, warnte er in einem Interview mit der ZiB 2 Freitagabend.
Der ukrainische Geheimdienstchef Walentyn Naliwajtschenko wirft dem Berater von Russlands Präsident Wladimir Putin, Wladislaw Surkow, vor, im Februar 2014 Aktivitäten ausländischer Scharfschützenkommandos in Kiew gesteuert zu haben.
Der ehemalige Kreml-Chefideologe gilt als Mastermind von Russlands Ukraine-Politik und war demnach während der Maidan-Proteste wiederholt nach Kiew gereist - zuletzt am Abend nach den Todesschüssen des 20. Februar.
Angehörige des Sondereinsatzskommandos Alfa, so erklärte der Vorsitzende des ukrainischen Geheimdienstes SBU Donnerstagabend im Privatsender 1+1, hätten in Zeugenaussagen konkrete Angaben über jene "ausländischen Scharfschützenkommandos" gemacht, die sowohl auf Demonstranten als auch auf Polizisten geschossen hätten.
Der Berater des russischen Präsidenten und nunmehr eines "Aggressorstaates" werde sich seiner Verantwortung vor einem ukrainischen und anschließend auch internationalem Gericht nicht entziehen können, versprach der Geheimdienstchef: "Wir werden die Ermordung friedlicher Menschen nie verzeihen."
Der öffentlichkeitsscheue Surkow selbst beschäftigt sich weiterhin mit der Ukraine - erst vergangene Woche war er am Rande der Friedensverhandlungen in Minsk gesehen worden. Konkrete Beweise für die Vorwürfe wollten die ukrainischen Behörden, so erklärt die SBU-Pressesprecherin gegenüber der APA, einstweilen jedoch nicht vorlegen. Auch von fertigen Anklageschriften sei derzeit noch keine Rede.