Politik/Ausland

Ratlosigkeit im Westen

Waffen/keine Waffen; mehr Sanktionen/weniger Sanktionen – der nicht erklärte Krieg zwischen Russland und der Ukraine stellt wohl die schwerwiegendste Eskalation zwischen Ost und West in der jüngeren Geschichte dar. Und wenn dann an runden Tischen, etwa in Minsk, hinter verschlossenen Türen oder ganz öffentlich, Lösungen debattiert werden, kommt von russischer Seite wie das Amen im Gebet die Reaktion: Wir haben ja nichts zu tun mit diesem "Bürgerkrieg", wie es Moskau nennt.

Moskau besteht darauf, keine Konfliktpartei zu sein, auch wenn Panzer eindeutig russischer Herkunft durch die Ostukraine rollen oder pro-russische Kämpfer mit Waffen hantieren, die sich nur in russischen Arsenalen finden.

Und innerhalb der EU sorgt der Streit, wie man mit dem einstigen Hoffnungsmarkt Russland verfahren soll in der Krise, für Ungemach. Während etwa die Debatte in den USA, die Ukraine mit Waffen zu beliefern, vorerst einmal vorüber ist, so ist seitens Frankreichs nach wie vor nicht gesagt, dass man Hubschrauberträger vom Typ Mistral kategorisch nicht an Russland liefern werde. Die EU-Staaten tun sich schwer, eine gemeinsame Linie zu finden. Der KURIER hat zwei Experten zu diesem Konflikt befragt: Sabine Fischer von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin und Andreas Umland, Politologe an der renommierten Mohyla-Akademie in Kiew.

Machen Waffenlieferungen an die Ukraine Sinn?

Während Sabine Fischer solche Lieferungen als "nicht sinnvoll" betrachtet und "schwerwiegende, nicht kalkulierbare Risiken" ortet, sieht Andreas Umland darin eine entweder ethische, moralische, wirtschaftliche oder strategische Frage. Die derzeitige Gangart, dass, vor allem aus Staaten des ehemalischen Warschauer Paktes, bisher sehr selektiv altes Gerät und dabei vor allem defensive Waffen geliefert würden, hält er für diskutierbar, da sowjetische Abwehrwaffen von der ukrainischen Armee ohnehin eingesetzt werden.

Ist das derzeitige Sanktionenregime angemessen?

In den Augen von Andreas Umland zeigen die Sanktionen bisher nur begrenzte Wirkung und sind ein Minimalkompromiss aller EU-Staaten. Bestimmte Dienstleistungen und Waren dürften zwar nicht mehr nach Russland geliefert werden, dagegen dürfe aber Russland nach wie vor im vollen Umfang Gas und Öl nach Europa exportieren – Haupteinnahmequelle des russischen Staates. Europa könne russisches Öl ersetzen, so Umland. Und Beschränkungen auf diesem Gebiet würden Moskau tatsächlich treffen. Die ökonomischen Maßnahmen seien jedenfalls bei Weitem nicht ausgeschöpft. Was die Einheit der EU in der Sanktionenfrage angeht, sagt Umland: "Russland ist gut im Finden von Schwachstellen." Er nennt Zypern, Griechenland und auch Österreich als Staaten, die gerne ausscherten, wenn es um eine geeinte EU-Linie gegenüber Russland gehe. Aber vor allem mit Langsamkeit und Uneinigkeit mache sich die EU verwundbar.

Laut Sabine Fischer haben die Sanktionen weitaus stärkere Wirkung gezeigt als angenommen – ohne aber die gewünschte Verhaltensänderung herbeigeführt zu haben. In Ermangelung von Alternativen könne man jedoch nur auf diesem Wege weitergehen – also die Sanktionen erweitern, um den wirtschaftlichen Druck auf Russland zu erhöhen. Zugleich müsse man die Ukraine wirtschaftlich wie politisch unterstützen. Und gegenüber Russland: Sollte es die Grundlagen dafür geben – also Fortschritte in der Ukraine – so könne man diplomatische Angebote machen, um mittelfristig wieder ins Gespräch zu kommen. Laut Andreas Umland braucht es vor allem auch eine europäische Perspektive für die Ukraine.

Sabine Fischer sieht in der Krise mit Russland vor allem auch das Risiko fataler Auswirkungen auf das Image der EU als außenpolitischer Akteur in anderen Staaten, die sich der EU annähern wollen, sollte die Ukraine fallen gelassen werden. Man müsse sich sicherlich auf eine lange andauernde "krisenhafte Beziehung" mit Russland einrichten. Das "Interesse der russischen Eliten an einer positiven Kooperation" zu Aufweichung der gegenwärtigen Fronten gehe derzeit jedenfalls "gegen Null".

Ist das Gespenst eines Dritten Weltkrieges real?

Dieses Bedrohungsszenario sieht Andreas Umland als gezielt gestreute Propaganda Russlands, um den Westen von einem Engagement in der Ukraine abzuschrecken.

Waffenlieferungen der USA an die Ukraine wird es vorerst einmal nicht geben. Auch wenn in Washington betont wird, dass alle Optionen nach wie vor auf dem Tisch seien. In europäischen Hauptstädten wie Berlin reagiert man darauf hörbar erleichtert. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel bekräftigte am Dienstag die Linie Deutschlands: "Auf diplomatische Lösungen zu setzen, ist, glaube ich, das Gebot der Stunde." Und weiter: "Deutschland wird der Ukraine keine tödlichen Waffen liefern. Wir fokussieren uns auf eine diplomatische Lösung."

Der Bericht der New York Times aber, in dem sehr detailliert von möglichen Waffenlieferungen der USA die Rede war, hatte in diesem Konflikt kurzzeitig die jeweiligen Positionen sehr deutlich gemacht: Durchwegs Ablehnung in der EU, wilde Tiraden aus Russland, offene Hoffnungsbekundungen aus Kiew bis hin zu Wunschlisten seitens lokaler Kommandanten in der Ostukraine.

Die haben angesichts der Offensive der pro-russischen Kämpfer alle Hände voll zu tun. Vor allem um die Stadt Debaltsewe toben schwere Kämpfe. Die Stadt wird von drei Seiten belagert, nur mehr eine Verbindungsstraße soll sich laut ukrainischen Angaben in der Hand regierungstreuer Kräfte befinden. Russischen Angaben zufolge ist die Stadt eingekesselt. Seit Tagen wird die Stadt evakuiert, werden Zivilisten in Sicherheit gebracht. Angeblich sollen die ukrainischen Verbänden den vorrückenden Pro-Russen auch schwere Verluste zugefügt haben.

100.000 Mann

Deren Reservoir aber ist laut eigenen Angaben bei Weitem nicht ausgeschöpft. 100.000 Mann wolle er innerhalb von zehn Tagen mobilisieren, sagte Separatistenchef Sachartschenko. Eine illusorische Zahl. Jene Männer, die für die pro-russischen Milizen kämpfen wollen, tun das längst. Die allermeisten anderen sind geflohen.

Befürchtet wird, dass die Ansage Sachartschenkos letztlich breiten personellen Nachschub aus Russland bedeuten könnte. Gerüchten zufolge könnten Strafgefangene unter der Bedingung begnadigt werden, dass sie in die Ostukraine kämpfen gehen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow sagte indes, die Regierung in Kiew müsse direkt mit den Regionen in der Ostukraine sprechen. Es dürfe nicht nur mit dem Finger auf Russland gezeigt werden.

Umgekehrt wurde die Vermutung laut, dass sich die USA in Polen ein Hintertürchen offen hielten, um Waffen an die Ukraine zu liefern. Warschau könne dazu gebracht werden, alte Bestände an die Ukraine weiterzugeben.