Ukraine: Präsident ordnet Waffenruhe an
Von Stefan Schocher
Artilleriebeschuss, Luftangriffe, Häuserkampf: den zweiten Tag in Folge kam es am Freitag in der Ostukraine zu schweren Kämpfen zwischen Armee und Separatisten. Es waren die bisher heftigsten seit Beginn der Krise in den Regionen Donezk und Lugansk – mit dem bisher intensivsten Einsatz schwerer Waffen.
Geht es nach dem ukrainischen Präsidenten Poroschenko, sollten die Waffen ab Freitag, 21 Uhr, eine Woche ruhen – zumindest die der Regierungseinheiten. Beim ersten Besuch in der Ostukraine seit seinem Amtsantritt am 7. Juni ordnete der Milliardär eine einseitige Waffenruhe an. Die Armee würde Waffen nur noch zur Verteidigung einsetzen, die Separatisten sollten ihre abgeben. „Die, die das nicht tun, werden vernichtet“, so der Staatschef, der demonstrativ einen Tarnanzug trug.
Die einseitig beschlossene Feuerpause soll Poroschenkos Friedensplan den Weg ebnen. Dieser umfasst 14 Punkte und sieht u.a. eine Amnestie für Separatisten niederen Ranges, den sofortigen Wiederaufbau zerstörter Häuser und eine Dezentralisierung vor. Hinzu kommen vorgezogene Regional- und Parlamentswahlen sowie eine zehn Kilometer breite Pufferzone zwischen Russland und Ukraine.
Völlig unklar ist, wie der Plan umgesetzt werden soll. Die Aufständischen lehnen die einseitige Waffenruhe ab. „Niemand wird die Waffen abgeben“, teilten Separatistenführer umgehend mit. Russland kritisierte Poroschenkos Pläne als „unzureichend“. Die Feuerpause sei lediglich eine Aufforderung an die „Volkswehr“, zu kapitulieren, und kein Schritt hin zu einem Friedensprozess. Es fehle das „zentrale Element“, ein Angebot zum Dialog.
Armee gewinnt Kontrolle zurück
Seit Wochen hatten sich die Aufständischen in der Ostukraine auf den jüngsten Angriff der Armee vorbereitet. Anscheinend dürfte diese nach dem Hin und Her der vergangenen Wochen wieder die Oberhand haben. Armee-Sprecher Selesnjow sprach am Freitag von 300 getöteten Separatisten und sieben toten Soldaten. Laut anderen Angaben gab es 12 getötete Soldaten. Bestätigungen lagen nicht vor. Vor allem was die ukrainischen Angaben angeht, sind die Zahlen oft vage – nicht zuletzt wegen der komplizierten Zusammensetzung der Kiew-treuen Einheiten, die aus Armee, der neuen Nationalgarde, aber auch irregulären Milizen bestehen.
Am Freitag jedenfalls meldete Kiew einen wichtigen Sieg: So hätten ukrainische Einheiten die Kontrolle über die gesamte Grenze zwischen der Ukraine und Russland wieder erlangt. Weite Abschnitte waren zuletzt unter Kontrolle der Rebellen. Aber auch diese Angaben stehen infrage, da auch am Freitag im Grenzgebiet ins Landesinnere rollende Panzerkolonnen der Separatisten gesichtet wurden.
Russland bereitet laut einem anonymen Mitarbeiter der US-Regierung weitere Panzer für den Transport in die Ukraine vor. Zudem sammelt es erneut Soldaten an der Grenze. Laut der russischen Agentur RBK werden die Truppen auf einen Einmarsch vorbereitet, um „Barrieren“ zwischen der Bevölkerung und der ukrainischen Armee zu errichten. Moskau spricht von einer Vorsichtsmaßnahme.
Obama und Hollande drohen mit Sanktionen
US-Präsident Obama und Frankreichs Staatschef Hollande drohten ihrem russischen Kollegen Putin gestern neue Sanktionen an. Russland solle die Separatisten „so schnell wie möglich“ zum Rückzug bewegen. Ansonsten würden „neue Maßnahmen gegen Russland ergriffen“.
... Wladimirowitsch Putin, ich darf Ihre Aufmerksamkeit auf ein unangenehmes Problem lenken: In Ihrem Nachbarland, der Ukraine, haben sich Milizen mit Gerät bewaffnet, das ganz augenscheinlich aus Beständen Ihrer hoch angesehenen Armee stammt. Ich darf Ihren Worten Glauben schenken, dass Sie mit diesen Vorgängen ebenso wie mit dem Geschehen in der Ukraine an sich in keinerlei Verbindung stehen. In gutem Glauben an Ihre Aufrichtigkeit will ich Sie darauf hinweisen, dass Geschütze, Kampfpanzer sowie Boden-Luft-Lenkwaffen anscheinend in bösartigster Absicht entwendet oder in schier unglaublicher krimineller Weise durch Angehörige Ihrer Armee an die oben genannten Milizen weitergegeben wurden. Ich bin mir bewusst, dass Sie diese skandalösen Vorgänge zutiefst in Ihrem Vertrauen in den von Ihnen so sorgsam gelenkten Staat erschüttern müssen, haben Sie doch in so weiser Sorgfalt eigens Truppen zum Schutz Ihres Staates an die Grenze entsandt – die Ihnen jetzt in so flegelhafter Weise in den Rücken zu fallen scheinen. Als friedfertiger Mensch, der Sie zweifellos sind, dürfen Ihre geschätzten Gaskunden im Westen Europas, und als solcher auch meine Wenigkeit, auf Ihre Bemühungen zählen, des geschilderten Problems Herr zu werden. Oder, sollten Sie über derartige Vorgänge im Bilde sein, was in Kenntnis Ihrer Person schier unglaublich erscheint: Haben Sie bitte die Aufrichtigkeit, Ihre Verantwortung in diesem Krieg auch einzugestehen. Hochachtungsvoll, Stefan Schocher.