Ukraine: Mutter Korruption und ihre Kinder
Von Stefan Schocher
Laut seiner Steuererklärung für 2014 haben sich die Bankeinlagen Petro Poroschenkos gegenüber dem Jahr 2013 verdoppelt. Es sorgt für Gesprächsstoff und Zeitungsschlagzeilen, wenn der Präsident in Zeiten von Rezession, Währungsverfall und vor allem Krieg gute Geschäfte macht. Es sorgt für Unmut – und für eine breite Debatte: Was darf ein Präsident, und was darf er nicht? Aus Poroschenkos engstem Umfeld heißt es, Poroschenko sei dabei, seine Anteile an diversen Unternehmen abzustoßen. Das brauche aber Zeit. Solche Nachrichten sorgen aber vor allem auch für Misstrauen in staatliche Institutionen.
Alek ist Kleinunternehmer, hat zusammen mit einem Geldgeber ein kleines Gästehaus sowie diverse andere Anteile in maximal zweistelligem Bereich und ärgert sich: "Jetzt muss ich eine Registrierkasse anschaffen, das kostet wieder – und für wen?" Er habe kein Problem damit, Steuern zu zahlen, sagt er, und er würde auch gerne mehr zahlen, wenn er wüsste, dass das Geld auch dem Staat zugute käme. Dass dem jetzt aber so ist, da ist er sich nicht so sicher. Ähnlich denken viele, vor allem auch Kleinunternehmer, die von den Reformen gegen Korruption und Misswirtschaft derzeit vor allem eines sehen: neue Hürden.
So werden seit Kurzem etwa alle Zahlungen an Firmen im Ausland überprüft, ob sie auch dem Wert der erstandenen Ware entsprechen. Das soll Kapitalflucht über Scheinrechnungen verhindern. Die Folge aber ist vor allem auch, dass jetzt Barschaft außer Landes gebracht und in Westeuropa angelegt wird. All das, während die katastrophale Wirtschaftslage dem Kampf gegen Behördenkorruption nicht gerade Rückenwind verschafft – bedenkt man, dass ein gutes Beamtengehalt derzeit umgerechnet um die 100 Euro ausmacht.
Reformdruck
Der Druck auf die Regierung, etwas zu tun, ist riesig – nicht nur seitens internationaler Geldgeber, durch die ein Staatsbankrott abgewendet werden soll. Es sind vor allem Bürgerrechtsgruppen, die Druck machen. Und nicht zuletzt die Gesellschaft, die nach zwei Revolutionen (2004, 2014) mit gewissem Selbstbewusstsein gegenüber den Behörden auftritt. Ebenso groß wie der Druck auf die Politik sind auch die Erwartungen. Ergebnisse aber lassen auf sich warten.
Eine Reihe von Gesetzen wurde beschlossen, die den Einfluss von Oligarchen auf Staatsbetriebe beschränken. Das Lizenzierung für Medikamente – ein bisher riesiger Korruptionssumpf – wurde neu geregelt. Staatsbeamte wurden ausgetauscht, ein Anti-Korruptions-Büro geschaffen. Der Regierung steht jetzt auch ein Beratergremium aus Vertretern der Zivilgesellschaft zur Seite, das Reformen ausarbeitet, zugleich wurden Budgets und Staatsausgaben transparenter gemacht. All das aus Eigeninitiative, nicht auf Druck von außen, wie betont wird. Aber wo anfangen, wenn geschätzte 60 Prozent des BIP am Fiskus vorbei erwirtschaftet werden – quer durch alle Branchen?
Mit dem Abgang von Ex-Präsident Janukowitsch übernahm die damalige Interimsregierung einen Staat mit leeren Kassen. "Man verlangt von uns derzeit viel zu viel, viel zu schnell", so Finanzministerin Natalie Jaresko, eine in den USA geborene Ex-Bankerin ukrainischer Abstammung. Eine Alternative zu Reformen, so sagt sie, gebe es nicht. Nur den Staatsbankrott. Und sie sagt: "Die Reformen sind nicht einmal nahe an ihrer Vollendung."
Was sich aber festgesetzt hat in der ukrainischen Gesellschaft, ist ein tief sitzendes Bewusstsein, dass die Regierung vor allem einmal sich selbst repräsentiert und nicht die Bürger. Das aufzubrechen ist eine Mammutaufgabe. Sergej, ein Psychologe in Kiew, sagt etwas scherzhaft: "Die Bürger der Ukraine sind wie ein Kind, dessen Urvertrauen gestört wurde und niemandem vertraut außer sich selbst und seiner allerengsten Umgebung." Und größtes Problem sei, dass das auch für Politiker, Staatsanwälte, Polizeibeamte gelte. Auch, wenn sich derzeit viel verändere.
Vertrauenszirkel
Aber genau diese Vertrauenszirkel, in denen die Grenzen zwischen Freundschaftsdiensten für Freunde und Freunde von Freunden und Korruption fließend sind, sind wiederum Substrat für Korruption – aber oftmals kaum zu umgehen bei lebenswichtigen Behördenwegen etwa. Josef Zissels von der renommierten Mohyla-Akademie in Kiew spricht von einer "Tradition". Er hat an der Bildung des Anti-Korruptions-Büros mitgearbeitet und ist sicher, dass in der gegenwärtigen Regierung der Wille zu Veränderungen vorhanden ist. Die große offene Frage aber ist seiner Ansicht nach aber: "Werden die Eliten bereit sein, selbst Opfer ihrer Reformen zu werden?" Und da hege er Zweifel. Letztlich würden die besten Reformen aber mit dem Respekt vor dem Gesetz gelingen oder scheitern. Und wenn die politischen Eliten vielleicht nur zum Teil dazu bereit seien, liege es eben an der Gesellschaft Druck auszuüben. Dazu aber wiederum, müssten sich auch die Normalbürger dazu durchringen, ihre Grundsatzeinstellungen ändern. Eines sei jedenfalls naiv, so Zissels: Zu glauben, Korruption in der Ukraine sei eine Sache, die man in einem Jahr eliminieren könne.
Alek wird nichts übrig bleiben, als eine Registrierkasse anzuschaffen, auch wenn er murrt. Worauf er aber genau schauen wird, wie er sagt, ist, ob der Präsident tatsächlich seine Unternehmensanteile abstoßen wird. "Wenn nicht", so sagt er, "wird er bald Geschichte sein."
Die Ukraine bekommt im Kampf gegen die Staatspleite Unterstützung vom Internationalen Währungsfonds (IWF). Dieser billigte Mitte März Kredite in der Höhe von 17,5 Milliarden Dollar. Alles in allem benötigt die Ukraine dieses Jahr 40 Milliarden Dollar von außen. Dafür aber mahnen internationale Geldgeber harte Reformen ein:
– Korruptionsbekämpfung
Eine der Bedingungen für die Vergabe der Milliardenhilfe an Kiew ist die Verschärfung des Kampfes gegen die grassierende Korruption. Präsident Petro Poroschenko hat nun den ukrainischen Juristen Artem Sytnyk als Vorsitzenden des neuen "Nationalen Antikorruptionsbüros" (NAB) vorgestellt. Die neue, mächtige Institution zur Korruptionsbekämpfung wird ihre konkrete Arbeit aber voraussichtlich erst Ende des Jahres voll aufnehmen – weil zunächst Zweigstellen in den Regionen gegründet werden müssen. Die Ukraine ist eines der weltweit korruptesten Länder. Auf dem Korruptionsindex von Transparency International nimmt das Land Platz 142 von 175 Ländern ein. Einige Studien gehen davon aus, dass die Schattenwirtschaft 60 Prozent der Wirtschaftsleistung ausmacht.
– Justiz
Auch das Justizwesen bedarf einer grundlegenden Reform. Wenn etwa ein ausländisches Unternehmen in der Ukraine vor Gericht gehe, habe es ein Problem, sagt ein Mitarbeiter einer Entwicklungsbank. "Die Chancen, ein Verfahren zu verlieren, stehen bei 99 Prozent, weil der Justizapparat immer gesteuert wird." Das gilt für die Staatsanwaltschaft, Richter und Exekutive.
– Verwaltungsreform
Ein Berater aus dem Westen kritisiert: "Es gibt einfach keine öffentliche Verwaltung, wie sie gebraucht wird, um einen Staat zu führen." Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, die mit der Umsetzung von Projekten befasst seien, seien oft "ineffizient, demotiviert und unterbezahlt".
– Kürzung der Staatsausgaben
Löhne und Pensionen sollen gedeckelt werden, zugleich werden Subventionen für die Schwerindustrie gestrichen.