Kaffeesudlesen in der Gerüchteküche
Von Stefan Schocher
Es ist ein kleiner Hügel südwestlich der belagerten Stadt Slowjansk, der besonders umkämpft ist zwischen Separatisten und ukrainischem Militär. Es ist weniger die Anhöhe, die strategische Bedeutung hat, als das, was auf dieser Anhöhe steht: Ein TV-Sendemast. Und je nachdem, wer ihn kontrolliert, werden russische oder ukrainische Sender ausgestrahlt.
Es sind zwei Informations-Realitäten die entstanden sind in der Ukraine. Jene im Umfeld der Separatisten und jene in der Einflusssphäre Kiews. Und zumeist ist es dann so, dass der jeweils andere Teil das Böseste des Bösen repräsentiert. Eines kristallisiert sich im Zuge dieser Krise oder in diesem Krieg jedenfalls heraus: Die stärkste Waffe sind Bilder, Informationen und angebliche Berichte oder Insiderinfos, die sehr oft jeder Grundlage entbehren.
Während russische Medien alles, was sich in Kiew zuträgt, als faschistoiden Wahnsinn darstellen, tragen gerade aber auch ukrainische Medien viel dazu bei, die Lage in der Ostukraine zum Teil sehr verallgemeinernd zu verteufeln. Da ist von Terroristen die Rede, von Offensiven, von haarsträubenden Übergriffen und nicht selten werden Bilder benutzt, die an jene aus dem US-Foltergefängnis Abu Ghraib im Irak oder an den Holocaust erinnern. Vor Ort stellt sich oft heraus, dass schon etwa Daten des Innenministeriums in Kiew kaum nachvollziehbar sind.
Auf der anderen Seite agitieren russische Medien. Das Wort "Faschist" fällt da sehr oft. Ein Wort, das in Sowjetzeiten weniger einer politischen Einordnung als schlicht einer Beleidigung gleichkam. Und in dieser Weise wird es benutzt. Da ist etwa von Flächenbombardements der ukrainischen Armee die Rede, die nie stattfanden oder von drohenden Angriffen irregulärer Milizen, die jeden enthaupten würden, der Russisch spreche. Hinzu kommen die Feindbilder EU und USA, die die ukrainische Regierung anstachelten.
In letzter Konsequenz sind es dann die Opferzahlen, die relevant werden. Und der Eindruck drängt sich auf, dass dabei sowohl die Regierung in Kiew als auch die Separatisten übertreiben – aus der Sicht der Separatisten stärkt das das Feindbild Kiew; aus der Sicht Kiews soll das wohl Stärke kommunizieren.
Beide Lager in Belagerungsstimmung und im Informationsvakuum, im Agitations-Bombardement. Eine Gemengelage, die einer weiteren Eskalation Tür und Tor öffnet. Es gibt aber auch Gegenbewegungen, Online-Medien, die gezielt Meldungen prüfen und sehr oft als gegenstandslos entlarven.
Laut einem Bericht der UNO hat sich die Lage der Menschenrechte in der Ukraine massiv verschlechtert. Das gelte vor allem für den Osten des Landes, heißt es in dem Bericht. Beide Konfliktparteien werden dabei kritisiert. Vor allem aber seien gut organisierte und schwer bewaffnete Regierungsgegner in Gewaltexzesse wie Morde, Folter, Entführungen und Misshandlungen involviert. Zuvor hatte bereits die OSZE die Separatisten kritisiert. Moskau wies den UNO-Bericht als einseitig zurück, wie es auch den OSZE-Report zurückgewiesen hatte. Der Bericht rechtfertige einseitig die Position der "Kiewer Junta". Nach dem ergebnislosen Treffen am Mittwoch soll heute ein neuerliches Treffen zwischen der Übergangsregierung und Vertretern der Ostukraine stattfinden – ohne Aussicht auf eine Lösung.