Politik/Ausland

Debatte um Mission für die Ukraine

Ein Bruch der Waffenruhe, aber keine Aussetzung der Vereinbarung: Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Staatschef François Hollande, Russlands Präsident Wladimir Putin und der ukrainische Präsidenten Petro Poroschenko haben zwar einen Bruch des vereinbarten Waffenstillstands in der Ostukraine angeprangert - das Minsker Friedensabkommen wird dennoch nicht für gescheitert erklärt. Man halte an den Vereinbarungen fest, teilte ein Sprecher Merkels am Donnerstag in Berlin mit. Alle im Abkommen von Minsk am 12. Februar vereinbarten Maßnahmen müssten nach wie vor "streng" umgesetzt werden, forderten die vier Spitzenpolitiker in einem Telefonat am Donnerstag, wie der Elysée-Palast in Paris mitteilte.

Putin habe laut Angaben aus Deutschland zudem zugesagt, bei den Separatisten auf einen Gefangenenaustausch zu drängen. Demnach wollen die Außenminister der vier Länder auch in den nächsten Tagen über Einzelheiten der Umsetzung des Minsker Abkommens beraten. Trotz der seit dem Wochenende geltenden Waffenruhe hatte es in den vergangenen Tagen erbitterte Kämpfe in der ostukrainischen Stadt Debalzewe gegeben.

Friedensmission gefordert

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hatte zuvor eine mögliche internationale Mission im Krisengebiet vorgeschlagen. „Ich rege an, die Einladung einer UN-Friedensmission zu diskutieren, die gemäß eines Mandats des Weltsicherheitsrats handeln wird - das für uns beste Format ist eine Polizeimission der Europäischen Union“, sagte er am Mittwochabend in Kiew. Der prowestliche Staatschef sprach bei einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats. Das Gremium habe Poroschenko für entsprechende Gespräche mit den Vereinten Nationen und der EU grünes Licht gegeben, sagte der Sekretär des Sicherheitsrats, Alexander Turtschinow. Blauhelmsoldaten wie sie sonst mit UN-Mandat weltweit vielerorts im Einsatz sind, seien nicht gemeint.

Skepsis und Zustimmung

Der Russlandbeauftragte der deutschen Bundesregierung, Gernot Erler, hält einen Blauhelm-Einsatz oder eine EU-Polizeimission in der Ostukraine allerdings für unrealistisch, ebenso wie Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der sehr zurückhaltend auf den Vorschlag reagierte.

Auch Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner äußerte sich skeptisch zum Vorschlag Poroschenkos. Es sei "mehr als fraglich", ob in der derzeitigen Lage bereits die Stunde der Polizei gekommen sei. Sollte es solch ein Ersuchen der Ukraine geben, werde dieses aber "natürlich" im Detail geprüft. Der Sprecher von Verteidigungsminister Gerald Klug, Andreas Strobl, bekräftigte den Standpunkt des Ministers, dass sich Österreich an einer militärischen Mission unter UNO-Mandat oder im Rahmen eines OSZE-Einsatzes beteiligen könnte. Klug hatte im Vorfeld der Münchner Sicherheitskonferenz gesagt, er könne sich eine österreichische Teilnahme an einer internationalen Beobachtermission zur Überprüfung eines Waffenstillstandes in der Ukraine vorstellen.

Außenminister Sebastian Kurz erklärte am Donnerstag in einer Stellungnahme gegenüber der APA, dass "ein österreichischer Beitrag für eine Mission mit UNO-Mandat oder eine Ausweitung der OSZE-Mission absolut vorstellbar" sei. Generell sei ein Beitrag Österreichs wünschenswert.

Hahn in Kiew

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Auch wenn Moskau wenig Zustimmung zu einer solchen Mission signalisiert hatte, die prorussischen Separatisten sprachen sich dafür aus. Allerdings würden sie eine solche Mission ausschließlich an der Grenze zwischen dem von ihnen beherrschten Gebiet und den unter ukrainischer Kontrolle stehenden Regionen unterstützen, sagte Separatistenführer Eduard Bassurin am Donnerstag in Donezk. Einen internationalen Einsatz an der Grenze zu Russland schloss Bassurin der Agentur Interfax zufolge aus.

Eine mögliche Mission war auch Thema beim überraschenden Besuch von Erweiterungskommissar Johannes Hahn in Kiew. Vor Ort führte er auch Gespräche mit der ukrainischen Staatsspitze über Umsetzung konkreter Reformvorhaben.
Hahn reagierte auf Poroschenkos Ersuchen ebenfalls eher zurückhaltend: Er habe Notiz von dieser Entscheidung der ukrainischen Behörden genommen. "Wir müssen zusammen für eine maximal effiziente und schnelle Lösung sorgen, die ein Monitoring des Waffenstillstandes und eine weitere friedliche Entwicklung erlaubt", sagte der Kommissar.

Wieder Tote

Trotz des seit dem Wochenende geltenden Waffenstillstand hatte sich die ukrainische Armee am Mittwoch nach tagelangen erbitterten Kämpfen gegen die Separatisten aus der strategisch wichtigen Stadt Debalzewe (Debalzewo) zurückziehen müssen. Die Kämpfe gefährden das in der vergangenen Woche mühsam ausgehandelte Friedensabkommen von Minsk (mehr dazu lesen Sie hier).

Beim Abzug von rund 2500 Regierungssoldaten aus Debalzewo seien mindestens sechs Militärangehörige von Separatisten getötet und mehr als 100 verletzt worden, sagte Poroschenko. Er warf den prorussischen Aufständischen vor, die vereinbarte Waffenruhe von Beginn an bewusst verletzt zu haben.

Nach Angaben aus Kiew sind in Debalzewe mindestens 90 Soldaten gefangen genommen worden. 82 weitere würden noch vermisst, teilte die ukrainische Armee am Donnerstag mit. Die Vermissten würden gesucht. Zudem seien die Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) gebeten worden, bei der Suche zu helfen. Diese forderten am Donnerstag uneingeschränkten Zugang zum Konfliktgebiet Donbass sowie Sicherheitsgarantien.

Internationale Kritik

Der Druck auf Moskau steigt durch die Kämpfe, die Rebellen an die kurze Leine zu nehmen. Wenn Russland und die Separatisten die Friedensvereinbarung von Minsk nicht umsetzten und weiter Kämpfer und Ausrüstung aus Russland in die Ukraine gelangten, werde der Preis erhöht, den Russland dafür zu zahlen habe, sagte die Sprecherin des US-Außenministeriums, Jen Psaki.

In Deutschland äußerte sich der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Niels Annen, ähnlich: "Sollte Minsk tatsächlich scheitern, wäre eine weitere Verschärfung der Sanktionen gegenüber Russland unausweichlich."

Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) hält eine Ausweitung der Nothilfe für die Ukraine für nötig. Es müssten 190.000 Menschen unterstützt werden, die vor dem gewalttätigen Konflikt geflohen seien, teilte das WFP am Donnerstag in Berlin mit.

Seit Beginn der Krise in der Ukraine seien mehr als eine Million Menschen geflohen. Die Preise für Lebensmittel seien gleichzeitig immer weiter gestiegen. Das UNO-Welternährungsprogramm benötige weitere neun Millionen US-Dollar (7,91 Mio. Euro), um die Hilfe bis Juni 2015 fortsetzen zu können.

Erstmals seit Beginn der Kämpfe in der Ostukraine haben auch drei UNO-Organisationen einen Hilfskonvoi in die Rebellenhochburg Donezk entsandt. Sechs Fahrzeuge des UNO-Kinderhilfswerks UNICEF, der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sowie des Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) werden dort erwartet, sagten zwei UNO-Vertreter der Nachrichtenagentur AFP. Nach Angaben eines Sprechers haben die Lastwagen insgesamt 62 Tonnen Medikamente, Wasser, Hygieneartikel und weitere wichtige Bedarfsgüter geladen. Seit August hatte Russland mehr als 15 Konvois mit Hilfe in den Osten der Ukraine gesandt.