Politik/Ausland

Hilfe, Big Brother liest rund um die Uhr mit

Es gehört zu den ganz großen Irrtümern der heutigen Zeit, zu glauben, dass das Internet Anonymität bietet. Nichts könnte ferner von der Wahrheit sein.

Jeder Mensch, der im Internet über Suchmaschinen nach Inhalten sucht, per eMail kommuniziert, ein Handy hat oder soziale Netzwerke wie Facebook nutzt, hinterlässt digitale Spuren. Aufgrund dieser Spuren können die Unternehmen, bei denen man aktiv ist, als auch Behörden, die auf diese Daten Zugriff haben, detaillierte Rückschlüsse auf Vorlieben und Interessen ziehen.

Das klingt alles erst einmal relativ harmlos. Doch jüngsten Geheimdokumenten zufolge, die vom Guardian veröffentlicht wurden, wissen nicht nur die Unternehmen alles, was wir über uns preisgeben, sondern auch der US-Geheimdienst National Security Agency (NSA). Dieser soll einen direkten Zugang zu den Systemen von führenden Internet-Konzernen haben und darüber auf private eMails, Fotos, Videos, Dokumente und Audio-Dateien zugreifen können. Die Konzerne lesen sich dabei wie das Who’s who der Internet-Szene: Google, Facebook, Apple, Microsoft, YouTube, Skype, Yahoo, AOL und PalTalk.

Das heißt: Alle privaten, intimen Details , die wir über die Programme dieser Firmen austauschen, werden vom US-Geheimdienst mitgelesen. „Wenn der Geheimdienst vollen Zugriff auf diese Dienste hat, inkludiert das alles. Betroffen sind wir alle“, erklärt der Jurist Max Schrems dem KURIER.

Schrems hat mit Facebook seine ganz persönlichen Erfahrungen gemacht. Während seines Studiums brachte er 22 Anzeigen gegen den Konzern bei der irischen Datenschutzbehörde, wo Facebook seinen Europa-Sitz hat, ein, weil das Unternehmen seiner Ansicht nach das geltende europäische Datenschutzrecht verletzt.

Facebook gab im Zuge des Skandals bekannt, dass es von Juli bis Dezember 2012 zwischen 9000 und 10.000 US-Behördenanfragen beim sozialen Netzwerk gegeben hat. Wie viele sich davon auf Nicht-US-Bürger belaufen haben,wurde allerdings nicht veröffentlicht.

Facebook weiß, dass ich aus Salzburg stamme und auf eine bestimmte Schule gegangen bin und zwar, ohne dass ich diese Informationen über mich selbst preisgegeben habe. Das Netzwerk weiß das alles über mich, weil es die Profile meiner Freunde analysiert und daraus Rückschlüsse zieht“, erklärt Schrems. Das bedeutet, dass Facebook auch über Menschen, die auf Facebook selbst nur wenig von sich preisgeben, bestens Bescheid weiß. „Wenn alle deine Freunde einer bestimmten Partei angehören, geht Facebook automatisch davon aus, dass du ebenfalls Mitglied bist. “

Lukrative Daten

Unternehmen wie Google oder Facebook stellen uns die Dienste, die wir täglich nutzen, nämlich nicht kostenlos zur Verfügung, weil sie so gnädig sind: vielmehr bezahlen wir dafür mit unseren Daten. Google weiß beispielsweise genau, welche Webseiten wir bevorzugen, wenn wir nach dem aktuellen Wetter suchen. Darauf basierend personalisiert Google die Suchergebnisse und zeigt uns bei der nächsten Suche vielleicht bestimmte Anbieter von Wetterprognosen nicht mehr an. Wenn wir unsere privaten eMails mit Gmail oder Yahoo versenden, in der wir unsere nächste Korfu-Reise planen, analysieren die Konzerne die Texte und blenden auf der Seite Werbungen zur Urlaubsdestination Griechenland ein. Das läuft auch bei Facebook so ähnlich. Auf all diese Informationen hat offenbar auch die NSA Zugriff. Die Vorselektion übernehmen spezielle PC-Programme, nur was als verdächtig eingestuft wird, kommt auf den Bildschirm eines NSA-Spezialisten.

Im Visier der Behörden

Wer jetzt denkt, dass er nichts zu verbergen hätte und niemals verdächtigt werden kann, täuscht sich. Das geht schneller, als man denkt. Student Thomas S. war beispielsweise auf Facebook mit einem ehemaligen Klassenkameraden befreundet. Dieser rutschte nach der Schulzeit ins rechtsextreme Lager ab. Als Thomas S. das bemerkte, beendete er die Facebook-Freundschaft. Doch Facebook behält auch vermeintlich gelöschte Daten. Der Student bestellte zu dieser Zeit zufällig jeden Freitag Pizza. Die Pizzeria wurde dann allerdings als Treffpunkt für Neo-Nazis ausgehoben. Nachdem Thomas S. die Pizza dort immer persönlich abgeholt hatte, zählte er plötzlich zum Kreis der Verdächtigen. Jetzt muss er sich „freibeweisen“.

Das ist kein Einzelfall. Es landen immer wieder Menschen auf Flugverbotslisten der USA, ohne dass sie wissen, wie es dazu gekommen ist. So wurde etwa ein Flug von Paris nach Mexiko umgeleitet, weil der Berater der Linksfraktion des Europaparlaments, Paul-Emile Dupret, an Bord war. Dupret wurde nie wegen eines Vergehens angeklagt. Auch dem österreichische Zeichner Eugen K., von dem Cartoons für die „Occupy“-Protestbewegung im Netz veröffentlicht wurden, wurde im Oktober 2012 die Einreise verweigert. Bis heute weiß der Künstler nicht, warum. Auch eine deutsche Studentin, die als Au-Pair-Mädchen in die Vereinigten Staaten gehen wollte, wurde am Flughafen in den USA abgefangen. Ihr wurde ein detailliertes Protokoll aller Nachrichten, die sie mit ihrem Gastfamilien-Vater über Facebook ausgetauscht hatte, vorgelegt. Dies belegt klar: US-Behörden wissen weit mehr über uns, als wir uns vorstellen können– oder wollen.

Tipps, wie man der NSA-Spionage entkommen kann, finden Sie auf futurezone.at.

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Auf der Autobahn zwischen Washington D.C. und Baltimore zweigt eine Spezialausfahrt mit der Aufschrift „NSA Employees Only“ ab. Nur die – geschätzten – 38.000 Mitarbeiter des größten und geheimsten aller amerikanische Geheimdienste dürfen hier abbiegen. Tausende Menschen pendeln jeden Tag hierher, in das Herz der „National Security Agency“– Computerexperten, Mathematiker, Techniker, Soldaten, Sprachwissenschaftler, Übersetzer. Jeder von ihnen ist angehalten, kein Wort über „Crypto City“ nach außen dringen zu lassen. In den Büros, Aufzügen, sogar in den Toiletten mahnen elektronische Anzeigen: „Plaudern Sie nichts aus. Kein Gerede über geheimes Material!“

Bis in die 70er-Jahre war sogar die Existenz der 1952 gegründeten Superlauschbehörde geheim. Nicht umsonst lautet ihr Spitzname bis heute NSA – „No Such Agency“ („Keine solche Agentur“).

Im Vorjahr durfte erstmals ein Dokumentarfilmer von National Geographic in dem komplett mit einem Kupfernetz isolierten, riesigen Hauptquartier der NSA (vier Mal so groß wie das Kapitol) drehen: Junge Soldaten im Kampfanzug waren dort zu sehen, sitzend vor schier endlosen Bildschirmreihen und Rechenwänden.

Die drei Hauptaufgaben der NSA, mit ihren geschätzten weltweit 120.000 Mitarbeitern: Kommunikationskanäle auf der ganzen Welt anzapfen. Fremde Verschlüsselungscodes brechen. Und letztlich dafür sorgen, dass amerikanische Verschlüsselungstechnologien verbessert werden, um die USA ihrerseits vor Cyber-Spionage-Attacken zu schützen.

Jede Botschaft auffangen

Die jüngsten Enthüllungen des NSA-Whistleblowers Edward Snowden legen einmal mehr nahe:Vom hintersten Bergdorf in Afghanistan bis zum Kaffeehaus nebenan scheint der NSA keine elektronisch übermittelte Botschaft zu entgehen. Sie betreibt weltweit Horchposten, liegt mit U-Booten und antennenbestückten Frachtschiffen vor fremden Küsten auf Lauer, hält mit geheimen Flugzeugen und Satelliten Ausschau nach Wissenswertem.

Um die riesige Menge an Daten zu speichern, wird derzeit in Bluffdale, Utah, ein neues Datenzentrum der NSA errichtet – es wird das größte Computerzentrum der Welt sein. Jeden Tag verarbeitet die NSA eine Datenmenge, welche die Library of Congress, eine der weltgrößten Bibliotheken der Welt, fünf Mal füllen würde.

Auch Österreich kooperiert?

Dass die NSA Informationen auch über oder aus Österreich aufsaugt, darf als sicher gelten. In Österreichs Innenministerium weist man jeglichen Kontakt zur NSA zurück. Das Verteidigungsministerium, dem das Heeres-Nachrichtenamt HNA unterstellt ist, bestätigte allerdings die Zusammenarbeit mit „anderen Diensten“, auch eine Kooperation mit dem Abhördienst PRISM der NSA wurde nicht ausgeschlossen. Allerdings : „Daten über Österreicher werden nicht ausgetauscht.“ Alles andere ist – geheim.

James Lewis gilt als Experte für Cybersicherheit, der auch für das US-Außenministerium im Bereich von Technologie- und Datentransfers tätig war. Derzeit arbeitet er am Center for Strategic & International Studies in Washington D.C.

KURIER: Wie groß ist der Skandal um Abhörpraktiken des Geheimdienstes?

James Lewis: Das ist wichtig für eine Gruppe von Leuten, die der Regierung und den USA nicht trauen. Die Überwaschung ist aber nichts Außergewöhnliches. Die USA haben sie schon lange praktiziert bei der Gegenspionage und im Kampf gegen den Terrorismus. Die meisten Länder der Welt tun dasselbe.

Trotzdem erinnert das an „1984“ von George Orwell. Ist es nicht beunruhigend, dass der Staat jeden überwacht?

Das stimmt. Man darf aber nicht vergessen: Wer den Anschlag auf den Boston Marathon (vom April dieses Jahres, Anm.) gut findet, der mag die Überwachung nicht, weil sie solche Dinge verhindert. Und jedes Land tut das. Solange man die politischen Freiheiten respektiert, ist es kein George Orwell.

Der Bostoner Anschlag ist trotz der Überwachung passiert.

Ja, aber es wurden zehn weitere verhindert, etwa der Anschlag auf die U-Bahn in New York. Die Überwachung verhindert nicht alle Anschläge. Es ist aber besser, wenn sie neun von zehn Anschlägen stoppt, als wenn alle zehn passieren.

Ist die Aufdeckung dieser globalen Abhöraffäre ein Risiko für die Staatssicherheit selbst?

Das ist eher peinlich. Hisbollah, El Kaida und die ausländischen Geheimdienste haben alle Bescheid gewusst. Der Schaden für die NSA betrifft die Amateur-Terroristen, die es wahrscheinlich nicht wussten. Die werden nun vorsichtiger sein.

Wie war es möglich, dass so ein junger Mann wie Edward Snowden, der ziemlich unten in der Hierarchie des Dienstes war, Zugang zu solchen hoch geheimen Daten hatte?

Er war der Systemadministrator, und sollte sich darum kümmern, dass die Computer laufen. Es scheint, dass er auch gelesen hat, was gespeichert wurde. Die NSA hätte sich besser darum kümmern sollen, Menschen wie Snowden das Lesen unmöglich zu machen. Da hat sie versagt.

Welche Klage droht nun Snowden?

Er hat die Gesetze gebrochen. Dafür wird man nicht zum Tod verurteilt, es wird aber zu einer Inhaftierung kommen.

Kann man den Fall Snowden mit dem des US-Soldaten Bradley Manning vergleichen, der geheime Dokumente an WikiLeaks gegeben hat?

Es ist interessant, beide sind jung und waren etwas isoliert. Und wir haben auch eine Kultur des Misstrauens gegenüber Regierung und Geheimdienst. Dann kommen diese jungen, naiven, isolierten und misstrauischen Individuen, und begehen solche Taten.

45 Prozent der US-Bürger finden es in Ordnung, zur Terrorbekämpfung überwacht zu werden. Wieso?

Erstens nehmen viele an, dass diese Überwachung sowieso stattfindet. Zweitens sind die meisten klug genug zu verstehen, dass mehr Überwachung weniger Anschläge bedeutet.