Politik/Ausland

Tunesien: Tumulte vor Saisonbeginn

Nach zwei turbulenten Tagen herrscht Rätselraten in Tunis – und jetzt auch eine nächtliche Ausgangssperre.

Nur so viel weiß man: In der Nacht auf Montag hatten Unbekannte erstmals eine Kunstausstellung verwüstet. "Frühling der Künste", so der Name der Schau im Abdellia-Palast in Tunis. In der Nacht auf Dienstag drangen erneut Maskierte in den Palast ein, rissen Bilder von den Wänden und verbrannten sie. Zugleich kam es an anderen Orten zu Straßenschlachten zwischen Polizei und Demonstranten. Regierungsgebäude, Polizeistationen, Gerichte und Büros der Staatsanwaltschaft wurden angegriffen. Einige brannten völlig nieder.

Die Bilanz nach zwei Nächten Gewalt: Ein toter Zivilist, der anscheinend von einem Polizisten erschossen worden war, mehr als 100 Verletzte, darunter 70 Polizisten, 160 Festnahmen und die Vermutung, dass all das kaum ein spontaner Aufstand gewesen sein kann.

Die Regierung verhängte eine nächtliche Ausgangssperre über den Großraum Tunis sowie vier weitere Regionen. Justizminister Bhiri nannte konkret die Angriffe auf Gerichte einen "terroristischen Akt". Und ein Sprecher des Innenministeriums sagte, dass die zeitgleiche Eskalation an mehreren Orten eine "organisierte" Aktion vermuten lasse. Nur wer dahintersteckt, blieb offen.

Islamisten

Klar scheint zumindest ein islamistischer Hintergrund. Salafistische Gruppen hatten die Ausstellung "Frühling der Künste" wiederholt als blasphemisch und islamfeindlich kritisiert. Und die Mauern des Abdellia-Palastes waren nach den Angriffen mit Parolen wie "Allah u Akbar" (Gott ist groß) und "Ungläubige haben hier keinen Platz" beschmiert.

Die salafistische Gruppe Ansar al Scharia bestritt jede Verstrickung. Zugleich rief sie zu Protesten gegen die Verunglimpfung des Islam auf. Der radikale Imam Abou Ayoub forderte via Facebook einen "Aufstand". Und die konservativ-islamische E­nnahda-Partei, die in der verfassungsgebenden Versammlung die Mehrheit hat, nutzte die Tumulte für die Ankündigung, jede Verletzung des "Heiligen" in der künftigen Verfassung verbieten zu wollen.

Besorgt betrachten all jene solche Vorkommnisse, deren Broterwerb am Tourismus hängt. Das Revolutionsjahr 2011 hatte Tunesien einen Einbruch von 50 Prozent beschert. Statt im Jahr 2010 sieben Mio. Touristen waren 2011 nur 3,5 Mio. gekommen. Heuer war man bisher optimistisch, zumindest 6 Mio. erreichen zu können.

Tunesien : Revolution und Neubeginn

Dezember 2010 Inflation, Arbeitslosigkeit und die Wut auf die Regierung lösen Proteste aus, die unaufhaltsam anwachsen. Schließlich wird Diktator Ben Ali gestürzt und flieht mit seiner Familie nach Saudi-Arabien.

Februar 2011 Auch nach der Gründung einer Übergangs­regierung gehen die Proteste weiter. Eine Flüchtlingswelle von Tunesiern nach Europa beginnt. Tausende stranden auf der italienischen Insel Lampedusa.

Oktober 2011 Die ersten demokratischen Wahlen in Tunesien bringen einen Sieg der zuvor verbotenen islamistischen Partei Ennahda. Deren Parteichef Ghannouchi bekennt sich zu einer gemäßigt islamistischen Politik nach Vorbild der Türkei.