Politik/Ausland

Arafat: Israel nennt Giftmord-Vorwurf "Seifenoper"

Seine Witwe nennt es das „Verbrechen des Jahrhunderts“, seine ehemaligen politischen Gegner sprechen von einer „Seifenoper“: Wie und warum Jassir Arafat gestorben ist, sorgt neun Jahre nach dessen Ableben für politische Verwerfungen.

Am Mittwoch veröffentlichte Arafats Witwe Suha das Ergebnis eines Untersuchung, die sie gemeinsam mit dem Sender Al Jazeera in Auftrag gegeben hatte: Arafat war demnach mit Polonium vergiftet worden – jenem Gift, das auch den russischen Ex-Spion Aleksandr Litwinenko getötet hatte und in Geheimdienstkreisen offenbar ein beliebtes Mittel ist, um jemanden lautlos aus dem Weg zu schaffen.

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Die mit der Untersuchung der Todesursache befassten Schweizer Experten wollen allerdings weder bestätigen noch ausschließen, dass der PLO-Gründer mit dem Gift Polonium getötet wurde. Allerdings unterstützten die Untersuchungsergebnisse nachvollziehbar die These von einer Vergiftung, sagte der Wissenschaftler Francois Bochud in Lausanne.

„Mehr Löcher als Schweizer Käse“


Arafats einstige Konkurrenten in Israel nehmen diese Untersuchung nicht besonders ernst. „Unseriös“ sei der Untersuchungsbericht – bei der Causa handle es sich "eher um eine Seifenoper als um Wissenschaft“, so der Sprecher des Außenministeriums in Jerusalem. Die Experten hätten weder die früheren Arbeitsräume Arafats in Ramallah noch das französische Militärhospital, in dem Arafat 2004 im Alter von 75 Jahren gestorben war, auf die radioaktive Substanz untersucht. "Alles ist sehr, sehr unklar", so Sprecher Jigal Palmor. "Klar ist nur, dass die Theorie große Löcher aufweist, mehr Löcher als ein Schweizer Käse."

Merkwürdig erscheine auch, dass ein zweites Forscherteam zu anderen Schlüssen gelangt sei. Russische Experten hatten vor einiger Zeit noch erklärt, sie hätten keine Hinweise auf eine Polonium-Vergiftung finden können – und ein französisches Gutachten steht zduem noch aus. Alle drei Expertenteams hatten die selben Gewebeproben getestet; sie waren unter anderem aus einer Rippe und dem Beckenbereich Arafats bei der Exhumierung der Leiche vor knapp einem Jahr entnommen worden.

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Israel hat jegliche Verantwortung im Todesfall Arafat stets von sich gewiesen – so auch jetzt: "Es ist immer am leichtesten, Israel zu beschuldigen", meinte ein Berater des damaligen Premier Ariel Sharon. Arafats Anhänger sehen dies naturgemäß anders: Für viele Palästinenser steht außer Zweifel, dass nur Israel hinter der plötzlichen Erkrankung und dem schnellen Tod ihres Idols stecken könne.

Jassir Arafats Leben in Bildern

Mühsam hatten die USA Israelis und Palästinenser an den Verhandlungstisch gezerrt. Doch seit gestern ist alles ganz anders: Eine Meldung versetzt dem gesamten Prozess einen massiven Schlag, möglicherweise den Todesstoß. Denn wie der arabische Sender Al Jazzera berichtet, wurde die Freiheitsikone der Palästinenser, der 2004 verstorbene Präsident Yassir Arafat, mit Polonium vergiftet, ein politischer Mord also.

Als Täter kommen in Wahrheit nur inner-palästinensische Rivalen in Frage oder Israel. Dessen früherer Premier Olmert hatte die Ausschaltung Arafats einmal als Option bezeichnet. Die gegenseitigen Schuldzuweisungen werden nicht lange auf sich warten lassen. Eine neue Gewalt-Eskalation ist wahrscheinlich.

Viel schwerer aber wiegt: Es wird sich wohl nie mehr klären lassen, wer Arafat liquidiert hat. Damit geistert er gleichsam als Untoter durch den Friedensprozess, der diesen Namen ohnehin schon lange nicht mehr verdient, und wird posthum zu einer neuen, unüberwindlichen Hürde.

Dem „Freiheitskämpfer“, dem die Mühen der Politik nicht wirklich interessierten und der sich dem Wandel zum Staatsmann verweigerte, würde das vielleicht sogar gefallen. Für die Menschen in der Region ist die spektakuläre Wende fatal.

Die Nobelpreisträgerin Marie Curie entdeckte das chemische Element Ende des 19. Jahrhunderts und nannte es zu Ehren ihrer polnischen Heimat Polonium. Das radioaktive Schwermetall ist in geringen Mengen in Uranerzen enthalten. Es kommt in verschiedenen Isotopen vor, darunter Polonium 210. Pro Jahr werden schätzungsweise 100 Gramm Polonium hergestellt. Es wird als Neutronenquelle benutzt, auch zum Zünden einer Atombombe. Es wird auch als Wärmequelle für thermoelektrische Zellen zum Beispiel in der Raumfahrt eingesetzt.

Schon ein Millionstel Gramm Polonium 210 kann einen Menschen töten. Das Radionuklid sendet zwar nur eine kurze Alphastrahlung aus, die durch Kleidung, Papier oder Haut abgehalten wird. Es wird aber gefährlich, wenn Polonium geschluckt, eingeatmet oder über Wunden aufgenommen wird. 2006 wurde der russische Kreml-Kritiker Alexander Litwinenko in London mit Polonium ermordet. Er wurde mit der radioaktiven Substanz im Tee vergiftet. Zudem gibt es Spekulationen um einen Mord mit Polonium an dem türkischen Präsidenten Turgut Özal 1993.