Politik/Ausland

Dschihadismus-Experte rechnet mit weiteren Anschlägen

Die Anschläge in Paris sind für den Politikwissenschafter Thomas Schmidinger nicht überraschend gekommen. Zugleich geht der Dschihadismus-Experte, dessen Forschungsschwerpunkte im Bereich Naher Osten und politischer Islam liegen, davon aus, "dass es nicht die letzten terroristischen Akte des Islamischen Staats (IS) in Europa gewesen sein werden", wie Schmidinger am Samstag im Gespräch mit der APA sagte.

"Ich rechne damit, dass wieder größere Anschläge passieren werden", meinte der Politologe. Man stehe "am Beginn eines wahrscheinlich langen Krieges", der für den Westen nur zu gewinnen sei, wenn der IS mit massiver militärischer Präsenz - sprich: der Entsendung von Bodentruppen - in die Knie gezwungen wird und in den Krisengebieten politische Lösungen gefunden werden. Eine umfassende Wiederaufbauhilfe für Syrien sei oberstes Gebot.

"Ausdruck der Schwäche des IS"

Die Ereignisse in der vergangenen Nacht in der französischen Metropole stellen sich für Schmidinger als "Ausdruck der Schwäche des IS" dar. Der IS sei in den vergangenen Tagen und Wochen in Syrien und im Irak in die Defensive geraten. Die kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG) und die Freie Syrische Armee (FSA) wären auf die IS-Hochburg Raqqa vorgerückt, die Rückeroberung von Sinjar habe die für den IS immens wichtige Verbindungsstraße von Raqqa nach Mosul unterbrochen.

Die blutigen Anschläge bezeichnete Schmidinger als eine unmittelbare Reaktion auf diese Entwicklung. Es handle sich "ganz klar" um "eine geplante, akkordierte Aktion" und nicht das Vorgehen einzelner, unabhängig voneinander agierender Täter. Der IS stemme sich damit seinem drohenden Niedergang entgegen. Die Strategie der Terroristen bestünde darin, bewusst eine Gegenreaktion gegen den Islam im Gesamten provozieren zu wollen. Derzeit sei der IS "eine isolierte Gruppe innerhalb der Muslime", antiislamistische Ausschreitungen im Westen könnten ihn zur "militärischen Speerspitze" innerhalb der islamischen Glaubensgemeinschaft befördern und den IS für breitere Kreise interessant machen. Dieser Gefahr gelte es "mit den Mitteln von gefestigten Demokratien entgegenzutreten", so Schmidinger.

Anschläge in Österreich möglich, aber nicht unbedingt wahrscheinlich

Dass Frankreich vom IS als Zielscheibe auserkoren wurde, sei kein Zufall, vermutete der Wissenschafter. Dort gebe es mit der rechtsextremen Front National eine sehr starke politische Rechte, von der eine entsprechende Reaktion gegen den Islam zu erwarten sei - was Kalkül des IS sein könnte.

IS-Anschläge auf Österreich hält Schmidinger für "durchaus möglich", wenn auch nicht unbedingt wahrscheinlich. Österreich sei "zu klein und zu unbedeutend", größere und mächtigere Staaten seien "nahe liegendere Hauptziele".