Politik/Ausland

US-Soldaten auch "für Kampfeinsätze ausgerüstet"

Nach den Schreckensmeldungen aus dem Irak schicken die USA jetzt eine 275 Mann starke Spezialeinheit des Militärs in das Land. Barack Obamas Auftrag an die Soldaten? Der Schutz der US-Botschaft und der dort arbeitenden Amerikaner. Sie seien aber auch "für Kampfeinsätze ausgerüstet", schrieb Obama am Montag an den Kongress. "Diese Einheit wird im Irak bleiben, bis die Sicherheitslage es nicht länger erfordert", hieß es in dem Schreiben.

Die Einheiten würden bei der Verlegung von Botschaftspersonal von Bagdad in die Konsulate in Erbil und Basra sowie nach Amman in Jordanien helfen. Die Botschaft in Bagdad werde aber nicht geschlossen und die meisten Mitarbeiter würden dort bleiben. Der irakische Regierungschef Nuri al-Maliki habe der Entsendung der US-Soldaten zugestimmt. Im Irak wurden am Dienstag auch mehrere Armeekommandanten entlassen.

5000 Iraner zum Kampf gemeldet

Währenddessen haben sich etwa 5000 Iraner als Freiwillige zum Kampf im Nachbarland Irak gemeldet. Wie die iranische InternetseiteTabnakam Dienstag berichtete, folgten sie einem Aufruf der Organisation Volkshauptquartier zur Verteidigung schiitischer Heiligtümer gegen Angriffe sunnitischer Jihadisten.

Nach ersten Angaben warten die in Einheiten zusammengefassten Freiwilligen auf den Befehl von Irans geistlichem Oberhaupt Ayatollah Ali Khamenei zum Einsatz im Irak. Das geistliche Oberhaupt der irakischen Schiiten, Ayatollah Ali al-Sistani, hatte die Iraker bereits Ende vergangener Woche aufgerufen, sich der Armee im Kampf gegen die sunnitischen Jihadisten der Organisation Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien (ISIS) anzuschließen.

Annäherungen an den Iran?

Über die Krise berieten am Montagabend erstmals auch Vertreter der USA und des Iran, nachdem die Erzfeinde ihre Bereitschaft zu einer Zusammenarbeit gegen die Extremisten signalisiert hatten. US-Außenamtssprecherin Marie Harf sagte dem Nachrichtensender CNN, es habe in Wien eine "kurze Diskussion" gegeben. Beide Seiten hätten "ein gemeinsames Interesse", dass die militanten Islamisten "im Irak nicht mehr Fuß fassen können". Es bleibe aber abzuwarten, ob die Gespräche mit den Vertretern Teherans fortgesetzt würden.

UNO schickt Personal zurück

Nach der jüngsten Eskalation der Gewalt im Irak ziehen die Vereinten Nationen einen Teil ihres Personals aus der Hauptstadt Bagdad ab. 58 Mitarbeiter würden das Land verlassen, sagte ein UN-Sprecher am Montag in New York. Für weitere der insgesamt 200 Mitarbeiter gebe es ebenfalls Pläne, sie demnächst abzuziehen und vorübergehend an sicherere Orte zu bringen.

Anschlag in Bagdad

Bei einem Bombenanschlag in Bagdad wurden am Dienstag mindestens elf Menschen getötet und mehr als 20 weitere verletzt. Nach Angaben von Ärzten und Sicherheitskräften explodierte der in einem Fahrzeug versteckte Sprengsatz auf einem Markt im mehrheitlich schiitischen Stadtteil Sadr City im Norden der irakischen Hauptstadt.

Bei fünf weiteren Bombenanschlägen in Bagdad wurden sechs Menschen getötet und 14 weitere verletzt. Beim Beschuss der Stadt Falluja westlich von Bagdad starben vier Menschen. Falluja wird seit mehr als fünf Monaten von Gegnern der irakischen Regierung, darunter ISIS-Einheiten, gehalten.

Die Vereinten Nationen werfen der ISIS Massenhinrichtungen vor. Es sei fast sicher, dass mit der ISIL verbündete Kämpfer Kriegsverbrechen begangen hätten, indem sie Hunderte nicht am Kampf beteiligte Männer getötet hätten, teilte die UNO-Menschenrechtsbeauftragte Navi Pillay in Genf mit.

Kämpfe bis nach Syrien

Die nordirakische Stadt Tal Afar ist nach Angaben eines Regierungsvertreters nach heftigen Kämpfen weitgehend an die Aufständischen gefallen. Bei den Gefechten um die mehrheitlich schiitische Stadt, die auf einem strategisch wichtigen Korridor nach Syrien liegt, seien dutzende Kämpfer und Zivilisten getötet worden, sagte der Provinzrats-Vizevorsitzende von Ninive, Nuriddin Kabalan, am Dienstag.

Im Osten Syriens haben sich Kämpfer der ISIS Aktivisten zufolge außerdem heftige Kämpfe mit anderen Rebellen geliefert. Die ISIS-Kämpfer hätten am Montag in der östlichen Grenzprovinz Deir al-Zor (Deir Ezzor) "vorzurücken versucht", doch habe es schwere Kämpfe mit rivalisierenden Aufständischen gegeben, erklärte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Dienstag. ISIS liegt seit Jänner im offenen Konflikt mit anderen islamistischen und moderaten Rebellengruppen in Syrien, die der Gruppe die brutale Verfolgung ihrer Gegner vorwerfen.

Türkei verhängt Nachrichtensperre wegen ISIS-Entführungen

Die türkische Justiz hat eine Nachrichtensperre für Berichte im Zusammenhang mit der Entführung türkischer Diplomaten durch sunnitische Jihadisten im Nachbarland Irak verhängt. Ein Gericht in Ankara begründete den Schritt mit dem notwendigen Schutz der Sicherheit für die Betroffenen, wie die türkische Medienaufsichtsbehörde RTÜK am Dienstag mitteilte. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan warf der Opposition und regierungskritischen Medien vor, das Thema für politische Zwecke ausbeuten zu wollen und so Menschenleben zu gefährden.

Kämpfer der Gruppe ISIS hatten vergangene Woche knapp 50 Menschen im türkischen Generalkonsulat der nordirakischen Stadt Mossul als Geiseln genommen. Zudem befinden sich rund 30 türkische Lastwagenfahrer in der Gewalt der Extremisten.

Der Vormarsch von Islamisten im Irak bedroht nach Einschätzung der Internationalen Energieagentur (IEA) die Pläne der Regierung in Bagdad zur Ausweitung der Rohölförderung. Dabei sei das Land der Wachstumstreiber innerhalb der OPEC, schrieb IEA-Chefin Maria van der Hoeven im Vorwort des am Dienstag veröffentlichten Berichts zu den mittelfristigen Aussichten für den Ölmarkt.

Die IEA geht bisher davon aus, dass die Organisation der Erdöl exportierenden Länder (OPEC) ihre Produktion bis 2019 um 2,08 auf 37,06 Millionen Barrel (159 Liter) pro Tag ausweitet. Fast zwei Drittel dieses Zuwachses werde voraussichtlich der Irak beisteuern. Gleichzeitig hoben die Experten ihre Prognose für den weltweiten Rohöl-Bedarf auf 92,76 Millionen Barrel pro Tag an. Das ist eine knappe Millionen Barrel mehr als im vorangegangenen Bericht von 2013. Grund hierfür sei die anziehende Konjunktur.

"Die Lage der Ölmärkte ist in vielen Bereichen angespannter als zu Beginn des US-Schieferöl-Booms und deutlich angespannter als noch vor einem Jahr", hieß es in dem Bericht weiter. In ihrem vorangegangenen Mittelfrist-Ausblick hatten die IEA-Experten noch prognostiziert, dass die Förderung von Schieferöl in den USA einen Großteil des weltweiten Zusatzbedarfs abdecken könne und die OPEC-Staaten die Förderung daher nicht ausweiten müssten.

In den vergangenen zwölf Monaten hat sich die richtungsweisende Rohöl-Sorte Brent aus der Nordsee um knapp sieben Prozent auf aktuell etwa 113 Dollar (83,51 Euro) je Barrel verteuert. Neben den Kämpfen im Irak, dem zweitgrößten Öl-Lieferanten innerhalb der OPEC, trieben die ebenfalls von Unruhen ausgelösten Export-Ausfälle Libyens den Preis in die Höhe.

100.000 Polizisten schützen Ölanlagen

Nach dem jüngsten Vormarsch der ISIS hat der Irak die Sicherheitsvorkehrungen rund um seine zahlreichen Ölanlagen massiv erhöht. Mehr als 100.000 Polizisten würden zum Schutz von Ölfeldern, Förderanlagen und Energieunternehmen eingesetzt und seien in höchster Alarmbereitschaft, sagte der Chef der zuständigen Polizeiabteilung, Moussa Abdul-Hassan. Mit zusätzlichem Personal seien die Kontrollpunkte nahezu verdoppelt worden. Die Sicherheitskräfte seien zudem mit schwereren Waffen ausgerüstet worden.

Der rasante Vormarsch der Jihadisten im Norden des Landes hat auch die Ölmärkte alarmiert, weil eine Unterbrechung der Ölförderung aus dem Irak die Preise in die Höhe treiben könnte. Die meisten von ausländischen Firmen betriebenen Ölanlagen liegen aber wie Basra im Süden des Landes. In diesem überwiegend von Schiiten bewohnten Teil des Irak war es in den vergangenen zwei Jahren weitgehend ruhig geblieben.

Seit zehn Jahren ziehen die Kämpfer der ISIS (Islamischer Staat im Irak und Syrien) – unter wechselndem Namen – eine Blutspur hinter sich her. Sie haben in den vergangenen Jahren Zigtausende Iraker bei Anschlägen, Entführungen und Hinrichtungen ermordet und Tausende Menschen im Bürgerkrieg in Syrien. Die sunnitischen Gotteskrieger der ISIS, die aus dem Mittleren und Nahen Osten, aus Tschetschenien und auch Europa stammen, sind für ihre Brutalität berüchtigt. Ihr Ziel: ein islamisches Kalifat auf dem Gebiet Syriens und des Irak – und darüber hinaus.

Alle Inhalte anzeigen
Nur zehn- bis zwölftausend Mann stark soll die ISIS-Miliz sein. Was macht sie so mächtig, dass sie 60 Kilometer vor Bagdad steht? Ein entscheidender Faktor ist der Frust der sunnitischen Stämme über die leeren Versprechungen von Iraks Premier al-Maliki, einem Schiiten: Die Zahl der desertierten Soldaten in diesen Provinzen beträgt ein Vielfaches der ISIS-Kämpfer. Zudem mischt offenbar der Stellvertreter des gehenkten Ex-Diktators Saddam Hussein auf Seiten der ISIS mit. Izzet Ibrahim al-Duri, "Kreuz-König" im US-Kartenspiel der gejagten Iraker 2003, soll eine entscheidende Rolle spielen.

Machtspiele der Golfstaaten

Neben den Verbündeten vor Ort haben finanzstarke Unterstützer in der Region die ISIS stark gemacht – vor allem in den sunnitischen Golfstaaten Saudi-Arabien, Kuwait und Katar. Selbst wenn keine staatliche Unterstützung geflossen sei, so hätten die Länder doch zu wenig gegen den Spendenfluss an die Gotteskrieger unternommen. Faktum ist, dass Saudi-Arabien und Katar viel Geld und Waffen nach Syrien geschickt haben, um mit dem Sturz von Diktator Assad dessen Unterstützer Iran zu schwächen. Davon hat die ISIS profitiert. Ihre Kriegskasse haben die Gotteskrieger zudem mit Wegezoll, Schutzgeld, Erpressung und Entführung aufgefüllt. Bereits vor der Eroberung der nordirakischen Stadt Mossul soll ISIS Bargeld und Anlagen im Wert von 875 Millionen Dollar gehabt haben. In Mossul kam laut einem Informanten des Guardian noch Geld und Kriegsgerät im Wert von 1,5 Milliarden Dollar dazu.

Zum Islam bekennen sich weltweit etwa 1,3 Milliarden Menschen. Rund 90 Prozent von ihnen sind Sunniten. Die Spaltung der Muslime in Schiiten und Sunniten begann im siebenten Jahrhundert mit einer Auseinandersetzung um die Nachfolge des Propheten Mohammed.

Der schiitische Islam akzeptiert nur einen direkten Nachkommen. Sie berufen sich auf Ali ibn Abi Talib, den Schwiegersohn Mohammeds und vierten Kalifen, als ersten legitimen Erben des Propheten. Die Sunniten wünschen sich als Nachfolger des Religionsstifters einen fähigen Heerführer aus Mohammeds Stamm, der durch einen Rat (Shura) bestätigt wird. Eine Erbfolge verlangen sie nicht.

Außer im Iran und Bahrein stellen die Schiiten auch im Irak die Bevölkerungsmehrheit. Bis zu 20 Millionen der gut 32 Millionen Iraker sind schiitische Muslime. Ihr Kernland liegt um ihre heiligen Stätten Najaf und Kerbala südlich der Hauptstadt Bagdad. Die irakischen Sunniten leben vor allem in Bagdad sowie in den Provinzen westlich und nördlich der Hauptstadt.

Hussein war Sunnit

Ex-Diktator Saddam Hussein, ein Sunnit, hatte die Schiiten diskriminiert. Nach seinem Sturz 2003 verloren die sunnitischen Stämme Macht und Einfluss. Nach dem US-Abzug 2011 entbrannte der Machtkampf zwischen Schiiten und Sunniten aufs Neue. In den vergangenen Monaten eskalierte der Streit zwischen der von Schiiten dominierten Regierung unter Nuri al-Maliki mit sunnitischen Parteien. Sunnitische Terrorgruppen wie der Islamische Staat im Irak und der Levante (ISIL/ISIS) kämpfen gegen Schiiten, die sie als "Abweichler" von der wahren Lehre des Islams ansehen.

Im Bürgerkrieg in Syrien, wo Sunniten zwei Drittel der Bevölkerung stellen, kämpft ISIL gegen die Truppen des Machthabers Bashar al-Assad. Im benachbarten Libanon sorgte in den vergangenen Jahren ein Machtkampf zwischen pro-syrischen Schiiten-Parteien sowie westlich orientierten Bewegungen der Sunniten und maronitischen Christen für zunehmende Instabilität. Libanons Sunniten unterstützen mehrheitlich die syrische Opposition. Die Schiiten-Miliz Hisbollah hingegen, die in Beirut in der Regierung sitzt, ist mit dem Assad-Regime verbündet.