Politik/Ausland

Syrien: "Sie werden die Flucht ergreifen"

Die Kampfhubschrauber der Armee kamen am frühen Vormittag und deckten den kleinen Vorort von Hama mit einem Geschosshagel ein: "Innerhalb weniger Minuten brannte die Erde, und unser Haus stand in Flammen", erzählt Naif, der vor sechs Monaten mit einem Teil seines Clans aus Syrien fliehen konnte. "Bei dem Angriff wurden viele Rebellen, die sich in der Umgebung verschanzt hatten, getötet. Wir konnten uns im Keller vor den Granaten schützen", ergänzt die Frau des 33-Jährigen, eine Jordanierin.

"Bei Nacht brachte uns ein Sammeltaxi zur Grenze. Vor sechs Monaten war das noch möglich", erzählt Naif. "Heute lassen die Syrer niemanden mehr durch, sie schießen auf alles, was sich in Richtung Libanon bewegt." Er will gesehen haben, wie die Armee Strafgefangene einsetzte, um auf Flüchtlinge zu feuern.

Abbruchhäuser

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Nur mit dem, was sie am Leib trugen, strandete die Familie in Taalabaya, einer Kleinstadt in der Bekaa-Ebene, 16 Kilometer hinter der Grenze. Bekannte überließen ihnen auf einem Acker zwei abbruchreife Häuser, für die sie monatlich umgerechnet 200 Euro zahlen müssen. Geld, das die zwei jobbenden Männer der Familie kaum aufbringen können.

"Die Fliegen fressen uns hier auf. Vor einigen Tagen wurden meine Töchter, 8 Monate und 2,5 Jahre alt, Nachts von Ratten an den Füßen angenagt. Täglich streuen wir Gift, um uns gegen diese Plage zu wehren. Und Gift ist teurer als Lebensmittel", erbost sich Naifs Frau Hafsah.

"Keine Fotos von den Erwachsenen, nur von den Kindern. Wir haben Angst, dass man uns erkennt", bittet Naif. Syrer dürfen sechs Monate im Libanon bleiben. Eine Verlängerung für weitere sechs Monate können sie bei der Polizei beantragen. Danach müssen sie ausreisen. "Sollte sich die Lage bis dahin nicht bessern, tauchen wir in die I­llegalität ab, wir gehen auf keinen Fall zurück", sagt Naif.

Zu den in Syrien verbliebenen Familienangehörigen gibt es seit Wochen keinen Kontakt mehr, nur Gerüchte, wenn wieder jemandem die Flucht gelungen ist.

Offiziell ist die Familie über das UNHCR als Flüchtlinge registriert und auch die Caritas hat sie in ihr Hilfsprogramm aufgenommen. Laut UNO gibt es 28.000 registrierte Flüchtlingen im Libanon, die Dunkelziffer dürfte bei etwa 35.000 liegen. Viele haben, aus unterschiedlichen Gründen, Scheu, sich registrieren zu lassen. Insgesamt sind eine halbe Million Syrer auf der Flucht, auch die Türkei und Jordanien sind betroffen.

Kellerverlies

In einer Seitengasse von Taalabaya führen hinter einer Öl-verschmierten Stahltür Treppen in ein Kellerloch. Die Wände des 40 großen Raumes sind rußig. Der modrige Geruch wird von einem Standventilator auch noch gleichmäßig im Raum verteilt. Es ist die Bleibe von drei Flüchtlingsfamilien mit 18 Personen. Ein Bett mitten im Raum, eingehüllt von nahezu 100 % Luftfeuchtigkeit, ist reserviert für die Kleinsten. Die Familien kommen aus Baba Amr, einem brutalst umkämpften Stadtteil von Homs. Suad, 28, eine zierliche Frau, versucht, das Verließ so gut wie möglich bewohnbar zu halten. "Fotos bitte nicht", flüstert sie.

Maria Abu Diwan, 38, leitet das CLMC (Caritas Lebanon Migrant Center) in der Stadt. Sie berichtet von schwer traumatisierten Kindern und Erwachsenen, vor allem junge Mütter: "Die Lebensbedingungen sind einfach menschenunwürdig und unerträglich." Stefan Maier, Nahost-Koordinator der Caritas Österreich, konnte bisher 92.000 Euro an Hilfsgeldern zur Verfügung stellen. Lebensmittelpakete, Hygiene-Kits und Bettwäsche werden finanziert.

Im illegalen, aber geduldeten Flüchtlingslager von Terbol zeigen sich die Männer vom Sieg der Rebellen überzeugt. "Und wenn sie alles dem Erdboden gleichmachen, wir werden alles neu aufbauen", sagt Jama, 38. "A­lle Syrer wollen zurück." An Rache denkt er nicht: "Wenn wir zurückkommen, wird niemand mehr da sein, an dem wir uns rächen können. Sie werden die Flucht ergreifen."

Infos

Hilfspaket der Caritas:

Spenden unter PSK 7.700 004 BLZ 60.000

Kennwort: Nothilfe für syrische Flüchtlinge