Syrien: Massives Aufrüsten für den Bürgerkrieg
Tötungen, Folter und zerstörte Häuser: Amnesty International hat neue Beweise für die dramatische Eskalation der Gewalt in Syrien vorgelegt. Der Bericht zeige, dass die syrischen Regierungstruppen und regimetreue Milizen für schwere Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich seien, teilte die Organisation am Donnerstag in London mit.
"Wo ich auch hinging, habe ich verzweifelte Menschen getroffen, die gefragt haben, warum die Welt zuschaue und nichts mache", sagte Donatella Rovera von Amnesty International, die kürzlich in Syrien war, um Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen. "Der UN-Sicherheitsrat hat mehr als ein Jahr lang gezögert, während sich in Syrien eine Menschenrechtskrise entwickelt hat. Jetzt muss er handeln, um die Gewalt zu stoppen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen."
Vieh abgeschlachtet, Ernte verbrannt, Männer erschossen
Das Vorgehen der regimetreuen Kämpfer gleicht demnach einer regelrechten Zerstörungsorgie: Vieh werde abgeschlachtet und die Ernte verbrannt. Männer seien aus ihren Häusern gezerrt und vor den Augen ihrer Familien erschossen worden, heißt es weiter. Ihre Leichen seien verbrannt worden.
Für den Bericht haben Mitarbeiter der Organisation von Mitte April bis Mitte Mai 23 Städte und Dörfer im Nordwesten Syriens besucht und dabei mehr als 200 Interviews mit Angehörigen geführt. Familien hätten Amnesty beschrieben wie Verwandte verschleppt und von Soldaten erschossen worden seien. Zudem hätten Soldaten und Shabiha-Milizen Häuser in Brand gesteckt. Amnesty International hat nach eigenen Angaben die Namen von mehr als 10.000 Menschen erhalten, die während des Konflikts umgekommen sind.
Aufrüstung: "Man kann mit einer Kalaschnikow keine Panzer abschießen"
Weitere Hinweise für den Fortschritt des Bürgerkriegs sehen Militärexperten in der massiven Aufrüstung des Landes. "Es gibt keinen Zweifel, dass die syrischen Rebellen in den vergangenen Wochen Lieferungen von hoch entwickelten Waffen erhalten haben, sonst könnten sie solche Schläge nicht durchführen", sagt der pensionierte libanesische General Hisham Jaber. Die Kämpfer der "Freien Syrischen Armee" (FSA) wollen in den vergangenen Wochen Panzer und Kampfhubschrauber der Regierung abgeschossen haben. "Man kann mit einer Kalaschnikow keine Panzer abschießen", meint Jaber.
Die Rebellenkämpfer haben angeblich vermehrt Regierungstruppen in den Grenzgebieten zu der Türkei, dem Irak und dem Libanon angegriffen und erfolgreich Panzer und Truppentransporter zerstört. Die Waffen dafür sollen aus Saudi-Arabien und Katar stammen und über die Türkei auf Schmuggelwegen in die Hände der Aufständischen gelangen, behaupten sowohl ein ehemaliger Offizier der syrischen Armee als auch ein westlicher Diplomat in Beirut. Beide wollten nicht namentlich genannt werden. Man habe Geheimdienstinformationen, dass zwei Schiffe mit leichten und Mittelstreckenwaffen, darunter auch Granatwerfer, in einem türkischen Hafen angelegt hätten, so der Diplomat.
Russlang gilt als Hauptlieferant des Diktators
Ankara bestreitet jegliche Waffenlieferungen an syrische Rebellen. Die Unterstützung der Türkei sei rein humanitärer Art, heißt es. Auch Walid al-Bouni, Mitglied des oppositionellen "Syrischen Nationalrats" (SNC), will sich nicht direkt zu den angeblichen Lieferungen aus Saudi-Arabien und Katar äußern. Er besteht darauf, dass die meisten Waffen der FSA aus Angriffen auf Munitionsdepots der Regierung stammen. "Wir haben zwei Quellen für Waffen", erklärt der im Exil in Europa lebende Mann. "Eine ist von außen. Aber das ist eine oft sehr schwierige Mission, die Leben kosten kann. Die andere ist einfacher - wir beschlagnahmen nach unseren Angriffen auf Armeedepots die Waffen." Von Syriens Nachbarländern Libanon, Türkei und Irak gibt es nach seinen Worten keine Unterstützung, "die Waffen werden auf sehr gefährlichen, illegalen Wegen ins Land gebracht".
"Die Rebellen haben nun zwar bessere Waffen als zu Beginn des Aufstands im Frühjahr 2011, aber sie können sich immer noch nicht mit den russischen Waffen der Regierungstruppen messen", warnt der ehemalige Offizier Jaber in Beirut. Russland gilt als der Hauptwaffenlieferant von Präsident Bashar al-Assad. Die USA verdächtigen Russland, Kampfhubschrauber an das Regime zu liefern.
Eine weitere humanitäre Katastrophe droht durch die Zerstörungen in den Erntegebieten. Angesichts der schweren Kämpfe in den Anbauregionen versucht Syrien nun 600.000 Tonnen Gerste auf dem Weltmarkt zu kaufen. Experten zeigten sich am Mittwoch allerdings skeptisch, dass ein solches Geschäft zustande kommen würde. In Händler-Kreisen hieß es, Syrien stehe kein Zahlungsmechanismus zur Verfügung. Zudem gebe es zunehmend Probleme mit der Löschung von Ladungen in syrischen Häfen. "Daher ist es für sie nicht möglich, ein so große Menge wie 600.000 Tonnen zu kaufen." Syrien könne höchstens kleinere Mengen importieren. "Und das reicht nicht."
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