"Stunde des Sieges" oder langer Kampf
Von Andreas Schwarz
Es war im Sommer vor zwei Jahren, als rund 8000 Kämpfer des sogenannten "Islamischen Staates" in die nordwest-irakische Stadt Mossul einrückten und 30.000 Soldaten der schlecht ausgebildeten irakischen Armee in die Flucht schlugen. Die Millionenmetropole mit ihrer überwiegend sunnitischen Bevölkerung wurde zur Hochburg der Terrormiliz. Ihr Anführer Abu Bakr al-Baghdadi rief in der Al Nuri-Moschee das "Kalifat" aus und erklärte sich zum Anführer aller Muslime der Welt – die Schreckensherrschaft des IS über Teile des Irak und Syriens mit dem Zustrom von "Kämpfern" vor allem aus Europa nahm ihren Anfang.
In der Nacht auf Montag startete die Rückeroberung Mossuls – und, so hoffen der Irak und seine Verbündeten im Kampf gegen den IS, das Ende der Terrormiliz. Zumindest im Irak. "Verehrtes irakisches Volk! Die Stunde des Sieges hat geschlagen. Die Operation zur Befreiung Mossuls hat begonnen", sagte Ministerpräsident Haidar al-Abadi im Staatsfernsehen. Zum Premier in Uniform gab es Bilder von vorrückenden Panzern und Rauchsäulen über der Stadt. "Sehr bald werdet ihr unter euch sein und die irakische Flagge hissen."
Langer Kampf
Sehr bald? US-General Stephen Townsend, Kommandeur der an der Offensive beteiligten US-Truppen (Luftunterstützung), warnte, die Operation könne Wochen oder länger dauern. Es wird mit einem blutigen Kampf gerechnet und mit einer humanitären Katastrophe – mehr als eine Million Menschen könnten sich auf die Flucht machen.
Die Ausgangslage: In den vergangenen Monaten ist die irakische Armee vorwiegend von US-Einheiten ausgebildet und "auf Vordermann" gebracht worden; Experten der deutschen Bundeswehr bildeten kurdische Peschmerga aus, die das Umland von Mossul kontrollieren und gemeinsam mit den etwa 30.000 Mann starken irakischen Truppen vor-, aber nicht in die Stadt einrücken sollen. Lokale sunnitische Milizen und Stammeseinheiten kämpfen ebenso an der Seite der Armee. Und auch schiitische Milizen haben ihren Einsatz angekündigt, was bei den Bewohnern von Mossul ebenso wie bei der Armee wenig Gefallen finden wird.
In der Stadt selbst halten sich nach unterschiedlichen Schätzungen noch 4500 IS-Kämpfer auf. Sie sollen nicht nur tiefe Gräben in der Stadt ausgehoben, sondern auch ein Tunnelsystem errichtet haben, um sich unbemerkt schnell bewegen zu können. Gebäude und Straßen dürften sie mit Massen an Sprengfallen versehen haben.
Rückhalt verloren
Unklar ist, ob Mossuls Einwohner weiter den IS unterstützen werden. Als die sunnitische Terrormiliz 2014 einrückte, fand sie unter vielen Einheimischen starke Sympathie. Schließlich ist Mossul die größte sunnitische Stadt im Irak, sie war einst Hochburg der Anhänger von Machthaber Saddam Hussein. Viele Sunniten fühlen sich von der Mehrheit der Schiiten im Land ausgegrenzt, was den Dschihadisten starken Zulauf bescherte und ihren Vormarsch überhaupt erst ermöglichte. Geflüchtete Einwohner aus Mossul berichten jedoch, die Extremisten hätten in der Stadt stark an Rückhalt verloren, weil sie eine Terrorherrschaft errichtet hätten. Unter dem IS sei Mossul "zur Hölle" geworden.
Fest steht, dass Mossul die letzte Bastion des IS im Irak ist. Sollten die Extremisten von hier vertrieben werden, wären sie militärisch im Irak weitgehend besiegt. Dazu noch der Verlust der für den IS symbolisch wichtigen Stadt Dabiq in Nordsyrien am Wochenende (dort, wo der Endkampf zwischen den Muslimen und ihren Feinden gewonnen werden sollte) – steht der "Islamische Staat" vor seinem Ende?
"Auf dem Rückzug"
Brigadier Walter Feichtinger, ausgewiesener Kenner der Region und der Lage, verneint: "Der IS ist auf dem Rückzug." Er habe innerhalb des vergangenen Jahres etwa 30 Prozent seines Gebietes in Syrien und im Irak verloren, auch der Zulauf von Kämpfern aus dem Ausland sei massiv zurückgegangen, "aber der IS ist noch nicht so geschwächt".
Er reagiere taktisch geschickt, und seine Strategie beruhe auf drei Pfeilern: 1) Gebietskontrolle, mit zurzeit Rückschlägen. 2) Ausweichen, "und das tun sie nach Libyen, nach Afghanistan, nach Pakistan, in den Jemen". Und 3) Terror. Die Vision vom "Kalifat" mit versprengten Zellen und Kämpfern überall verstreut werde die Welt noch lange beschäftigen, sagt Feichtinger zum KURIER.
Für Mossul hält er einen Kampf über Monate, vielleicht Jahre für möglich, aber auch ein schnelles Ende, weil sich die IS-Kämpfer – vielleicht nach irgendwelchen Zusagen – zurückziehen.