Politik/Ausland

Party trifft auf Politik: Europäisches Jugendevent 2014

Stella zieht lachend an dem orangen Seil so fest sie kann, aber es hilft alles nichts, ihre Gruppe verliert beim inszenierten „Tauziehen-Krieg“. Dieser ist Teil der zahllosen Workshops auf dem Gelände des EU-Parlaments in Straßburg, wo erstmals der Europäische Jugendevent über die Bühne geht. Mehr als 5000 Jugendliche aus Mitgliedsstaaten und Kandidatenländern haben über das Wochenende das Parlament okkupiert und wuseln nun durch das Gebäudelabyrinth der Abgeordneten. Dass das Treffen so ein Großereignis werden würde, hat alle überrascht.

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Das Tauziehen sollte das Machtspiel zwischen Lobbys und europäischen Bürgern darstellen und mit einem Augenzwinkern vermitteln, wie unreguliert das Kräftemessen im EU-Parlament mitunter verläuft. Die 22-Jährige Bulgarin nimmt die Niederlage gegen die „Lobby“ locker und geht weiter zur nächsten Station des „Lobby-Zirkus“, einem Schießbuden-Spiel. Stella ist wie die meisten hier beim Event: Jung, interessiert, überzeugt europäisch.

Grenzen überschreiten

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„Wir wollen die Türen des Parlaments öffnen, damit die Jugend sich verstärkt in die Diskussion einbringen kann und Europa zu ihrem Anliegen macht, sich darüber austauscht“, sagt Othmar Karas im Vorfeld des Events zum KURIER. Er war als Parlaments-Vizepräsident maßgeblich an der Organisation beteiligt und konnte aus terminlichen Gründen nicht vor Ort sein (siehe Interview unten). Über den Event sagt er, es sei ein „Happening für die Zukunft Europas“. Man habe versucht, eine möglichst breite Mischung zusammenzubringen. „Die Jungen überschreiten leichter Grenzen, sie sind mit dem Euro aufgewachsen und den Grundfreiheiten Europas. Sie sollen sich das europäische Projekt zu eigen machen“. Dafür will das Parlament eine Plattform bieten.

Die Planungsphase für dieses riesige Polit-Festival betrug weniger als ein Jahr, viel scheint improvisiert. Doch das stört hier niemanden. Die Angereisten nehmen das Treffen als Chance wahr, einander und das Europäische Parlament kennenzulernen. Das ist auch das erklärte Ziel der Veranstaltung: Interesse wecken, Vorurteile abbauen, teilhaben.

Buntes Angebot

Das Angebot für die jungen Europäer ist auch breit gestreut: Party trifft Politik. Vor dem Parlament gibt es Zelte und Infostände über europäische Organisationen, über Interrail und Erasmus. Spiele, Performances und Musik sorgen für gute Laune. Der Abend klingt in der Straßburger Innenstadt bei Gratis-Konzerten aus.

Das war das EYE 2014:

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Auch im Parlament treten Bands aus Europa auf, doch die meisten Veranstaltungen hier konzentrieren sich auf den eigentlichen Zweck des Treffens: „Ideen für ein besseres Europa“ sammeln. Hier finden Podiumsdiskussionen, Ideenlabore, Rollenspiele, Debatten – oftmals mit Abgeordneten - statt. Werkzeug Nummer eins ist freilich das Netz: Über eine eigene App kann man sich über das enorme Programm informieren, auf Bildschirmen im ganzen Komplex sieht man, was die Teilnehmer gerade twittern, facebooken oder auf Instagram stellen. Anderswo stellen zwei junge Österreicher ihren Blog zur EU-Wahl 2014 vor – natürlich in perfektem Englisch - und ernten dafür viel Lob von den Gleichaltrigen aus anderen Ländern. In einem anderen Seminarraum debattiert man gerade über die digitale Revolution.

Die Themen drehen sich um die Rolle der EU in der Welt oder Nachhaltigkeit – die Diskussionen verlaufen freundlich, aber selbstbewusst. Man fühlt sogar etwas von einem europäischen Stolz, den Politiker gern in Reden heraufbeschwören.

Wunde Arbeitslosigkeit

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Das größte Interesse findet aber das wohl drängendste Thema dieser Generation: die hohe Jugendarbeitslosigkeit, besonders in den Krisenländern. Es ist das Problem, das sich Ricardo Ibarra Roca auf die Fahnen geschrieben hat: Der Chef des spanischen Jugendrates redet sich in Rage, wenn er über die Situation in seinem Land nachdenkt: „Wir sind an der Talsohle angelangt, aber es gibt keine Aufwärtsbewegung. Und es geht nicht nur um die Arbeitslosigkeit. 93 Prozent aller neuen Verträge sind temporär und schlecht bezahlt, es gibt keine soziale Sicherheit. Das ist mehr Sklaverei als Arbeit.“ Wenn es so weitergehe, brauche Spanien noch 20 Jahre, um sich zu erholen. Kein Wunder, dass so viele auswandern, aber eine freie Wahl sei das nicht. Er selbst werde wohl auch ins Ausland gehen, sagt der 29-Jährige. „Die Jungen wollen ihr eigenes Leben starten, können aber nicht.“ Sechs Jahre an Austeritätspolitik hätten keine Trendwende gebracht, ein neuer Plan müsse her, ähnlich wie der Marshall-Plan, sagt Ricardo überzeugt. Ob so ein Event etwas ändern könne an der Lage? Die EU hört – anders als in Spanien – wenigstens zu, meint er. Doch man muss die die Jugend zur Priorität machen, sonst wird nicht nur diese, sondern auch die nächste Generation verloren gehen.“

Sichtbar machen

Auch Giuseppe Porcaro, Chef des Europäischen Jugendforums, ist der Ansicht, dass diese Generation die erste in diesem Europa ist, die keine so rosigen Aussichten mehr hat. Aber verloren sieht er sie nicht: Man habe mehr Spielraum und Möglichkeiten, sich selbst zu retten. Der erste Schritt: Teilhabe. Die Jungen seien am ehesten Nichtwähler, deshalb stünden sie nicht im Fokus der Interessen der Parteien, meint der Italiener. Ein Event wie dieses habe die Möglichkeit, die Anliegen der Jungen sichtbar zu machen. Er kommt mit den meisten jungen Aktivisten hier überein, wenn er sagt: „Wieso die politische Macht nicht nutzen?“ Die Finnin Johanna Nyman von der Jungwähler-Liga ist ebenfalls überzeugt: „Zuletzt haben nur 29 Prozent der Jungen gewählt. Wären es 70 Prozent, hätte die Stimme viel mehr Gewicht gehabt. Wir sind doch ein Teil der Gesellschaft.“ Und auch die Sozialforscherin Anna Ludwinek von der Agentur Eurofound sieht die Zukunft der Krisen-Generation trotz allen Widrigkeiten positiv: Die heutigen Jungen sind gebildeter und haben Chancen als Europäer und in der Welt. Sie sind mobiler, offener und risikofreudiger. Der Gebrauch der sozialen Medien bietet eine Riesenchance, sogar für jene, die mit Politik nichts am Hut haben. Auch sie sind mit der Welt verbunden.“

Nun sind alle Mitwirkenden am Event erst einmal gespannt auf den Ausgang der EU-Wahl. Die Ergebnisse, die beim Jugendevent gemeinsam erarbeitet wurden, sollen den Abgeordneten des neuen Parlaments überreicht werden – mehr noch: man will sie darauf festnageln. „Vor der Wahl unterstützen die Politiker Vorschläge gegen die Jugendarbeitslosigkeit“, meint Johanna von den Jung-Wählern. „Wir werden das neue Parlament zur Rechenschaft ziehen.“ Bis dahin aber hätten die jungen Leute hier zunächst mal eine positive Erfahrung mit Europa, „und das nehmen sie mit nach Hause.“

Können Sie mir etwas über Sinn und Ursprung des Jugendevents erzählen und Ihre Rolle dabei?

Ich bin im Präsidium des Europäischen Parlaments, zusammen mit der griechischen Abgeordneten Anni Podimata lag es auch in meiner Verantwortung, dieses größte Jugendevent des Parlaments zu entwickeln und durchzuführen. Das Motto ist „Europa besser machen“, wir wollen die Türen des Europäischen Parlaments öffnen, damit die Jugend sich verstärkt in die Diskussion einbringen kann und Europa zu ihrem Anliegen macht, Ideen entwickelt und austauscht.

Es gibt 20 Aktivitäten in und um das Parlament in Straßburg, zum Beispiel Workshops, Aufführungen, oder das YO!-Fest. Das Ziel wird sein, die Ergebnisse, die erarbeitet werden, im nächsten Parlament in den zuständigen Ausschüssen vorzustellen. Die Jugend steht dabei im Mittelpunkt, man muss sie einbinden und zuhören. Es geht darum, wie die Zukunft Europas aussehen soll. Dementsprechend sind die Themen gewählt: Beschäftigung, Europas Rolle in der Welt, Bildung.

Ich war von Beginn an eingebunden und es ist kein Zufall, dass der Event am Europatag (9.Mai) stattfindet. Ich will aber einen jährlichen Event, es soll regelmäßig stattfinden, nicht nur vor der Wahl. Auch die Altersbestimmungen – die Teilnehmer sind zwischen 16 und 30 Jahren alt, sind bewusst gewählt. Österreich ist ja das einzige Mitgliedsland, indem die 16-Jährigen mitwählen dürfen. Und auch sie sollen miteinbezogen werden.

Es soll kein Wahlkampfevent werden, sondern ein Happening über die Zukunft Europas. Unser wichtigster Partner dabei ist das Europäische Jugendforum. Teilnehmen werden 17 österreichische Gruppen, 296 Teilnehmer.

Wieso sind Sie nicht dort? Sie waren als Redner angekündigt

Ich kann wahrscheinlich nicht dort sein, allein verkehrstechnisch. Der Europatag ist auch in den Mitgliedsländern wichtig, es gibt viele Veranstaltungen. Und im Wahlkampf bin ich allein diese Woche in sechs verschiedenen Bundesländern unterwegs. Aber meine Mitarbeiter sind vor Ort.

Ist das nicht ein Treffen der künftigen Elite der EU-Institutionen? Jugendliche aus Krisenländern, die nicht schon in Organisationen engagiert sind, könnten sich vielleicht nicht einmal die Reise leisten

Na einerseits gibt es auch viele Diskussionsforen auf den diversen Social-Media-Kanälen des Europäischen Parlaments, andererseits werden viele Teilnahmen von offiziellen Gruppen aus den verschiedenen Ländern gesponsert. Auch viele nationale und europäische Organisationen und Gruppen von Betroffenen wurden eingeladen. Das ist einmal der Startschuss.

Wir haben versucht, eine breite Mischung einzuladen, um eine Diskussion zu ermöglichen. Den Begriff „elitär“ sehe ich nicht bestätigt, schon allein durch die Vielfalt beim Event.

Wird das Leben für Jugendlich durch Europa besser? Im Moment hat das Gegenteil den Anschein, man spricht von einer verlorenen Generation.

Ich warne ja vor einer verlorenen Generation. Die Europäische Union soll mehr gegen die Arbeitslosigkeit tun, soll wettbewerbsfähiger werden. Ich trete dafür ein, dass die EU Bildungs- und Forschungsstandort Nummer eins in der Welt werden soll. Sie soll Schulden reduzieren und Strukturen reformieren. Wir wollen ja auch, dass etwa Österreichs duale Berufsausbildung europäisiert wird. Die Europäische Union hat eine Schieflage zwischen Wettbewerbsfähigkeitskompetenzen und Bildungskompetenzen. Eine Verbesserung ist nur mit Wettbewerbsfähigkeit und Investitionen möglich.

Dass Europa schuld sein soll, ist nachweislich falsch. Die größte Wunde der EU ist die Arbeitslosigkeit, besonders die der Jungen. Nur in Bezug auf Europa muss man schon ehrlich sein und sagen: Wenn Staaten pleitegehen, geben sie keinen Euro mehr aus für Bildung und Soziales. Der Europäischen Union ist es gelungen, dass keiner dieser Staaten bankrott gegangen ist. Und heuer ist es zum ersten Mal wieder so, dass die Beschäftigungszahlen steigen, die Investitionen dürften ab nächstem Jahr beginnen, zu greifen. Ohne die europäische Solidarität wäre die Situation schlechter. Und da habe ich auch die Vorschläge vorgelegt und gesagt, was zu tun ist und was schiefgelaufen ist. Dieser Prozess ist auch noch nicht abgeschlossen.

Ich kann Ihnen noch ein Beispiel aus Griechenland nennen: Wir haben etwa junge Menschen aus Griechenland nach Brüssel eingeladen zu einem Workshop, wie gegenseitige Hilfe aussehen kann. Daraus sind nicht nur Ideen entstanden, sondern zum Beispiel auch Unternehmensgründungen.

Im April wurde in Wien das Jugend-Bündnis der Rechten (FPÖ mit Gudenus, Front National, Schwedendemokraten und Vlaams Belang ) gegründet. Solche Jugendlichen sind nicht eingeladen. Ist das Angst vor einem Rechtsruck bei der Wahl?

Mir ist nicht bekannt, dass sich jemand nicht anmelden konnte. Es ist ein open event, jeder kann daran teilnehmen, jemand auszuschließen würden auch den europäischen Idealen widersprechen. Wir haben auch nicht Organisationen eingeladen, sondern Menschen und niemanden ausgeschlossen. Was den Rechtsruck betrifft: Der Populismus macht mir Sorgen. Wir wollen auf die Jungen zugehen und die EU besser machen, das bedeutet gestalten. Lautstärke hingegen schafft keine Kommunikation. Menschen, die bewirken, sind immer stärker, als die die immer nur gegen etwas sind.

Was bringt die EU-Wahl den Jungen? Spricht die ÖVP Jugendliche überhaupt im Wahlkampf an?

Das Europäische Jugendevent ist kein Wahlevent. Ich habe als Vizepräsident des EU-Parlaments Verantwortung für alle politischen Organisationen zu tragen. Die Jungen sollten wählen gehen, weil Europa ihre Zukunft ist. Wir wollen eine Chancen-Union bauen. Wir wollen die EU demokratisieren. Etwas zu bewegen, geht nur miteinander und das setzt Teilnahme voraus. Die Jungen überschreiten leichter Grenzen, sie sind mit dem Euro aufgewachsen und den vier Grundfreiheiten Europas. Das europäische Projekt soll zu eigen gemacht werden. Im Gegensatz zu meinen politischen Mitbewerbern spiele ich Europa hier nicht gegen Österreich aus.

Bleibt es bei der konservativen Mehrheit im Parlament?

Es gibt keine konservative Mehrheit im Europäischen Parlament, es gibt Christdemokraten, zu denen auch die ÖVP gehört, und Konservative. Ich nehmen an, dass es eine klare Mehrheit gibt für jene, die Europa besser machen wollen und eine Minderheit für jene, die nur Schulden machen wollen.

Postenwünsche für die Zukunft?

Erst einmal möchte ich die Wahl gewinnen und gestärkt daraus hervorgehen. Dann werde ich sehen, wie sehr mein Kurs bestätigt ist. Mein Kurs ist bekanntlich unabhängig und hat mir Sympathien über Parteigrenzen hinweg beschert. Das Wahlergebnis wird entscheiden über meinen künftigen Einfluss.

Zwei Wochen vor der EU-Wahl zeigt sich in Umfragen: ÖVP und SPÖ liegen nahe beieinander, angesichts von Schwankungsbreiten um die drei Prozent gibt es keinen eindeutigen Kandidaten für Platz eins. Die FPÖ liegt in vier aktuellen Befragungen auf Platz drei, Grüne und Neos matchen sich um den vierten Rang. Der KURIER veröffentlichte am Sonntag eine OGM-Umfrage, die für die SPÖ 26 Prozent ausweist, für die ÖVP 25 Prozent, für die FPÖ 20 Prozent, für die Grünen 13 und für die NEOS elf.

Einige Kandidaten versuchen über Vorzugsstimmen ein Mandat zu bekommen – beziehungsweise es gegen erfolgreiche Parteikollegen abzusichern. Bei den Grüne liefern sich Madeleine Petrovic und Michel Reimon ein Duell. In der ÖVP nützt Spitzenkandidat Othmar Karas auch das Vorzugsstimmenwerben für einen auf ihn zugeschnittenen Wahlkampf, der die Partei in den Hintergrund stellt.

In der SPÖ versucht Volkshilfe-Präsident Josef Weidenholzer, unterstützt vom Pensionistenverband, sich den Verbleib im EU-Parlament mit Vorzugsstimmen zu sichern. Er hat bei vier bis fünf prognostizierten Mandaten auf dem fünften Platz ein „Kampfmandat“. Falls er genügend Nennungen schafft, würde er die vor ihm gelistete Kandidatin verdrängen. Daher wirbt auch Karin Kadenbach (Platz 4) um Vorzugsstimmen für sich.