Politik/Ausland

Spionage-Affäre: „Das ist eine Blamage“

Als ihn der KURIER erreicht, ist Siegfried Beer wieder einmal auf dem Weg in die USA, Heimat des mächtigsten Auslandsnachrichtendienstes der Welt, der NSA.

2004 gründete der Historiker das einzige österreichische Institut (ACIPSS), das sich wissenschaftlich mit Geheimdiensten auseinandersetzt. Was sagt der Experte zum aktuellen Spionagefall im Bundesheer, der auch am Samstag hohe Wellen schlug?

Grund: Der verdächtige Ex-Offizier wurde in Oberösterreich festgenommen und wird verhört. Die Entscheidung über die U-Haft war am Samstagabend noch ausständig. Außerdem: Außenministerin Karin Kneissl telefonierte mit ihrem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow. Darin kritisierte Lawrow die „nicht bewiesenen Anschuldigungen“ im Spionagefall. Sein Land sei zu Unrecht öffentlich an den Pranger gestellt worden. Diese Vorgangsweise „entspricht nicht diplomatischen Gepflogenheiten“. Lawrow nennt das „Megafon-Diplomatie“.

KURIER: Herr Beer, Sie haben in einer ersten Reaktion gesagt, der aktuelle Spionagefall sei „aufgebauscht“. Wie das?

Siegfried Beer: Weil es keine Überraschung sein kann, dass einer der wichtigsten Nachrichtendienste der Welt in Österreich Informanten anwirbt. Darüber können wir uns nicht ernsthaft echauffieren. Aufregen müssen wir uns darüber, dass ein österreichischer Oberst 20 Jahre lang mit einem fremden Nachrichtendienst gemeinsame Sache macht und es niemandem auffällt. Das ist eine Blamage.

Wenn es eine Blamage war, warum macht die Politik den Fall dann auch noch öffentlich?

Diese Frage stelle ich mir bis heute, denn ich kann kein sinnvolles Motiv erkennen. Einen problematischen Mitarbeiter in den eigenen Reihen hängt man in diesem Geschäft tunlichst nicht an die große Glocke. Hinzu kommt, dass Teile der Bundesregierung auf Kuschelkurs mit Moskau sind, man Russland im konkreten Fall aber öffentlich kritisiert hat. Hier passt vieles nicht zusammen, ich kann also nur mutmaßen: Entweder ist die Regierung schlecht beraten. Oder sie versucht mit der Russland-Kritik von etwas anderem abzulenken.

Bislang ist davon auszugehen, dass der Oberst keine wirklichen Staatsgeheimnisse verraten hat. Aber wofür soll er dann Hunderttausende Euro bekommen haben?

Nachrichtendienste interessieren sich, flapsig gesagt, für jeden Schmarr’n. Das hat sich über all die Jahrhunderte nicht geändert. Informanten werden vorausschauend angeheuert. Man baut darauf, dass ein Informant später einmal aufsteigt und Karriere macht. Vergessen wir nicht: Hat jemand einmal Geld bekommen, kann er nie wieder aussteigen. Er bleibt für immer erpressbar.

Aber was interessiert Moskau am Bundesheer?

Nicht die Waffensysteme, soviel ist sicher. Über die Waffen unserer Armee weiß Moskau alles, was es zu wissen gibt. Trotzdem ist das Bundesheer als Quelle interessant. Unser Militär hat Verbindungen zur NATO, zu befreundeten Nachrichtendiensten in Europa, und wir sind bekannt dafür, uns am Balkan gut auszukennen – eine Region, die für Moskau geopolitisch sensibel ist.

Der Kalte Krieg ist Geschichte, trotzdem gilt Wien nach wie vor als Drehscheibe für Nachrichtendienste. Warum?

Zunächst einmal leben auch Nachrichtendienste von der Tradition. Was funktioniert, wird nicht einfach verändert. Nach dem Ende des Kalten Krieges haben die Nachrichten- und Geheimdienste weder Personal noch Budget abgebaut. Es gab keine Abrüstung, eher das Gegenteil ist der Fall. Zudem ist Wien immer noch Standort vieler wichtiger internationaler Organisationen wie der UNO, der OPEC oder der OECD. Und: Wir haben ein vergleichsweise mildes Spionage-Recht. Die Grundregel lautet: So lange man nicht gegen Österreich selbst spioniert, kann man in Wien vergleichsweise ungestört arbeiten.

Angesichts der Möglichkeiten, die das Internet und die Digitalisierung bieten, könnte man annehmen, dass lebende Spione an Bedeutung verlieren.

Die Geschichte lehrt uns: Der Mensch war und ist bei der Spionage unglaublich wichtig. Echte Geheimnisse werden nicht verschriftlicht oder über abhörbare Kanäle kommuniziert. Ja, die Spionage hat sich enorm technologisiert. Aber das schafft auch große Probleme: Je größer ein EDV-Apparat wird, desto aufwendiger und teurer wird die Wartung. Die NSA zum Beispiel ist eine einzige Baustelle, weil ständig irgendwelche Server und Netzwerke zusammenbrechen.