Politik/Ausland

Ein (fast) ganz normaler Israel-Besuch für Kurz

Atika Qvitt war ein Kind, als er 1938 Wien verlassen musste und auf abenteuerlichem Weg über Bratislava, Prag, Rumänien und viereinhalb Monate auf einem Schiff im Mittelmeer ins heutige Israel kam. Mordechai war auch erst sieben, und seine Flucht 1940 ging nicht so schnell – fünf Jahre hielten ihn die Engländer auf Mauritius fest, ehe er 1945 im Nahen Osten ankam. Und Hava versteckte sich mit ihrer Familie monatelang in einem Bunker, um dann nach einer Flucht durch halb Europa das "Gelobte Land" zu erreichen.

Es sind etwa 40 der rund noch 100 in Jerusalem lebenden Altösterreicher, die sich Montagnachmittag versammelt haben und von Außenminister Sebastian Kurz besucht werden. Sie alle haben erschütternde und berührende Geschichten zu erzählen. "Wer ist das, der da redet?", fragt Mordechai. Der Außenminister. "Der? So jung. Österreich ist ein junges Land."

Die meisten von ihnen sind auch wieder in Österreich gewesen. Die wenigsten verfolgen, was in ihrer früheren Heimat passiert. "Präsidentenwahl, höre ich. Hofer. Das ist vielleicht nicht gut für die Demokratie", sagt einer.

Wechselvolle Geschichte

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Zeitsprung: Es ist fast ein Vierteljahrhundert her, dass Franz Vranitzky als österreichischer Bundeskanzler Israel einen Besuch abstattete und in der Hebräischen Universität Jerusalem eine mit Spannung erwartete Rede zu halten hatte. Über jeden Beistrich wurde im Vorfeld dieses Auftritts im Juni 1993 spekuliert – schließlich hatte Israel erst ein Jahr davor die Beziehungen zu Österreich wieder normalisiert, die während der Amtszeit Bundespräsident Kurt Waldheims auf Geschäftsträger-Ebene herabgestuft worden waren. Wegen dessen Kriegsvergangenheit. Eine Stellungnahme des offiziellen Österreich zu seiner Rolle im Zweiten Weltkrieg, die immer als Opferrolle dargestellt worden war, war ausständig.

Verantwortung

Vranitzky anerkannte Österreichs "moralische Verantwortung, weil viele Österreicher den Anschluss begrüßten, das Naziregime unterstützen und bei seinem Funktionieren halfen" und bat "um Verzeihung jener, die überlebt haben, und um die Verzeihung der Nachfahren der Opfer". Ein Jahr später fand auch Thomas Klestil, der als erster Bundespräsident der Zweiten Republik Israel besuchte, deutliche Worte ("Manche der ärgsten Schergen der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft waren Österreicher. Diese Verbrechen können durch nichts entschuldigt werden."). Zwei Meilensteine in der gemeinsamen Geschichte der beiden Staaten.

Herabgestuft

Noch einmal rasselten die Beziehungen, die schon in den 70er-Jahren prekär waren (Kanzler Kreisky machte Jassir Arafats PLO salonfähig), in den Keller: Als die ÖVP die FPÖ mit an die Macht brachte, stufte Israel im Jahr 2000 die Beziehungen herab. Drei Jahre später wurden wieder Botschafter ausgetauscht – die von Kanzler Schüssel vorangetriebene Restitution von Opfern des Nationalsozialismus war wohl mitentscheidend.

Seither ist alles weitgehend gut in den Beziehungen Israels und Österreichs, die seit 60 Jahren "volle diplomatische" sind. Und aus deren Anlass Sebastian Kurz am Pfingstwochenende in Israel war. Und so war es (fast) eine ganz normaler Besuch, wie sie inzwischen üblich sind – nur die 41 Grad Celsius bei der Ankunft am Pfingstsonntag waren eher ungewöhnlich.

Kurz traf in Ramallah im Westjordanland mit dem palästinensischen Außenminister Al-Malki und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas zusammen, um über die neue französische Initiative für eine Wiederaufnahme der seit zwei Jahren stillgelegten Gespräche zwischen Israel und den Palästinensern zu reden. Und erfuhr tags darauf von Israels Premier und Außenminister Benjamin Netanjahu aus erster Hand, dass Israel diese Initiative (20 Staaten inklusive USA, Russland beginnen in Paris am 30. Mai mit einem Fahrplan, im Herbst kommen Israel und die Palästinenser hinzu) ablehnt. "Der einzige Weg zu einem echten Frieden sind direkte Verhandlungen, ohne Vorbedingungen", so Netanjahus Botschaft – zu denen seien die Palästinenser nicht bereit. Überhaupt ist Netanjahu zwar auf Österreich, nicht aber auf Europa gut zu sprechen, das Israel wegen des Siedlungsbaus kritisiere, aber nicht Israels Lage und Leistung in Nahost verstehe.

Kurz legte am Grab von Theodor Herzl einen Kranz nieder und besuchte die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Wiederholt betonte er, dass "Österreich aufgrund seiner historischen Verantwortung einen besonderen Auftrag im Verhältnis zu Israel und dem Judentum hat". Etwa den, gegen jeden Antisemitismus anzukämpfen. Die Sicherheitssituation von Juden in Europa habe sich verschlechtert, "das kann man nicht hinnehmen".

"Wer wird Präsident?"

Und Kurz feierte Montagabend bei einem Empfang im Israel Museum die erwähnten 60-jährigen Beziehungen mit prominenten Israelis und Vertretern Österreichs, darunter 30 junge Österreicher aus Wirtschaft und von Unis, die zum "Israel"-Schnuppern mitgekommen waren. Die viel gestellte Frage dort: Wie gehen die Präsidentschaftswahlen in Österreich aus?

Auch in den Gesprächen mit Netanjahu und Israels Offiziellen war die Entwicklung in Österreich Thema: Wie sind die Kompetenzen Kanzler/Präsident, was ändert sich, wie geht die Wahl aus? Wobei israelischerseits angedeutet wurde, dass auch bei einem Wahlsieg Norbert Hofers keine Änderung in den Beziehungen angestrebt würde – was immer das in der Realität dann heißt. So viel also zum "fast" normalen Besuch.

Die Realität für die Altösterreicher ist eine andere: "Ich hoffe, dass Österreich sich weiter seiner Verantwortung bewusst ist und uns Shoa-Überlebende nicht im Stich lässt", sagte Gideon Eckhaus (Zentralkomitee der Juden aus Österreich in Israel) zum Abschluss. Und Kurz wies darauf hin, dass er zur letzten Generation gehöre, die mit Holocaust-Überlebenden in Kontakt gekommen ist – und diese Erfahrung weitergeben werde.