Politik/Ausland

Die Angst vor zu vielen Deutschen

Wie viele Deutsche verträgt die Schweiz?“ Die pikante Frage, einst von der Boulevardzeitung Blick aufgeworfen, steht am Sonntag indirekt zur Debatte. Dann stimmen die Eidgenossen neben anderen Themen auch über die „Volksinitiative gegen Masseneinwanderung“ ab. Das Votum wurde von der rechtspopulistischen SVP initiiert – finanziert mit den Millionen des Parteipatrons Christoph Blocher. Dabei geht es freilich nicht allein um die Zuwanderung durch deutsche Bürger, es geht um die schiere Masse. 2013 zählte das Land netto 80.000 Zuwanderer.

Auswanderungsziel

Doch die Schweiz ist das beliebteste Auswanderungsziel für Deutsche, die hohen Gehälter locken vor allem hoch qualifizierte Fachkräfte an. Hinter den Italienern sind die Deutschen mit rund 300.000 Sesshaften die zweitgrößte Gruppe, gefolgt von anderen EU-Bürgern. Für Bulgaren und Rumänen gelten hingegen noch Übergangsfristen bis 2016. Deshalb feuert gerade die Anwesenheit der Deutschen die Debatte immer wieder gehörig an.

Kontingente

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Und dieses Thema gipfelt nun in der kommenden Abstimmung: Die SVP-Initiative fordert fixe Kontingente für jede „Kategorie“ von Zuwanderer. Zudem sollen Inländer bei der Jobvergabe bevorzugt werden, der Anspruch auf dauerhaften Aufenthalt und Familiennachzug soll beschränkt werden, wenn es nach der SVP geht. Das Problem: Diese Anliegen würden den Verträgen, die die Schweiz mit der EU einging, zuwiderlaufen. Daher ist man auch in Brüssel nervös über den möglichen Ausgang des Votums. Seit 2007 gilt auch für Helvetien die unbeschränkte Personenfreizügigkeit – vereinbart in den Bilateralen Verträgen I. Das bedeutet, unter bestimmten Voraussetzungen darf jeder seinen Arbeits- und Wohnort frei wählen. Sollten die Schweizer die SVP-Initiative absegnen, wären die Verträge gebrochen und müssten aufgekündigt werden, so die Gegner der Initiative. Sie fürchten um den Zugang zum EU-Binnenmarkt und den Schweizer Wohlstand, ein Fachkräftemangel drohe. Doch die SVP weiß, dass sie ein starkes Argument hinter sich hat: Die Zuwanderung ist seit 2007 sprunghaft angestiegen. Das Motto daher: „Es wird eng in der Schweiz.“ Anders als bei früheren Abstimmungen muss die SVP hier gar nicht auf schrillen Populismus zurückgreifen, sondern auf Alltägliches: überlastete Infrastruktur, hohe Wohnkosten, die gefühlte Verdrängung auf dem Jobmarkt. Zudem kalmiert die SVP: Die Verträge mit der EU müssten gar nicht aufgelöst werden, nur nachverhandelt. An einer Aufkündigung habe die Union gar kein Interesse.
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Ob das tatsächlich so ist, steht in den Sternen. Für die EU wäre eine Aufkündigung mühsam, alle Mitgliedsländer müssten erneut zustimmen. Auch hätte die Schweiz im Fall einer Zustimmung erst einmal drei Jahre Zeit, um entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Schwerer wiegt allerdings die Befürchtung in Brüssel, manche EU-Staaten könnten ebenfalls Sonderwünsche bei der Freizügigkeit aufbringen. Der freie Personenverkehr gehört zu den vier grundlegenden Freiheiten in der EU. Offener Handel ohne offene Grenzen – die Büchse der Pandora. Auch Kommissionschef Barroso machte bereits klar: Das eine nicht ohne das andere.

Tendenz zu Nein

Am Ende wird entscheiden, was mehr Gewicht hat: die Probleme oder die Vorteile der Zuwanderung.Ungeachtet dessen, dass National- und Bundesrat eine Ablehnung der Initiative empfehlen und alle großen Parteien, Wirtschaft und Gewerkschaften dagegen sind, gibt es noch viele Unentschlossene. Die Tendenz in den Umfragen neigt zu einem Nein für die SVP, doch das Potenzial ist noch nicht ausgeschöpft.