Selenskij lädt Putin zum Gespräch: "Ich beiße nicht"
Der Angriff auf die Ukraine verläuft nach den Worten von Russlands Präsident Wladimir Putin wie geplant. "Die spezielle Militäroperation verläuft streng nach Plan. Alle Aufgaben werden erfolgreich erfüllt", sagte Putin am Donnerstag in einer Fernsehansprache.
Unterdessen sendet der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij eine Einladung zu direkten Gesprächen an den Kremlchef: "Wenn Du nicht (mit Deinen Truppen aus der Ukraine) abhauen willst, setz Dich zu mir an den Verhandlungstisch, ich habe Zeit", sagte Selenskij am Donnerstag vor Journalisten. "Aber nicht auf 30 Meter Abstand wie mit Macron, Scholz - ich bin doch ein Nachbar", so Selenskij weiter.
"Sag mir, wovor Du Angst hast"
"Ich beiße nicht. Ich bin ein ganz normaler Typ. Setz Dich zu mir, sag mir, wovor Du Angst hast", meinte der 44-Jährige auf Putin bezogen. "Wenn Ihr den Himmel jetzt nicht schließen wollt, dann nennt eine Frist", postulierte er gegenüber der NATO. "Sagt mir, wie viele Menschen sollen in die Luft fliegen, wie viele Arme, Beine, Köpfe braucht Ihr, damit das zu Euch durchdringt?" Eine Flugverbotszone gilt als ausgeschlossen, weil es damit zu einer direkten Konfrontation von NATO-Truppen und russischen Streitkräften käme. An die USA und Polen richtete er die Forderung, seinem Land Flugzeuge zu überlassen.
Russland hatte vor einer Woche mit dem Angriff auf das Nachbarland Ukraine begonnen. Selenskij sagte, er verstehe Moskaus Forderungen an Kiew nicht. "Wir haben Russland nicht angegriffen, wir wollen es nicht angreifen", sagte der Präsident. "Wir in die NATO? Nein. Haben wir Atomwaffen? Nein." Russland fordert eine Demilitarisierung der Ukraine sowie einen Verzicht auf eine NATO-Mitgliedschaft und wirft dem Land vor, es wolle Atomwaffen herstellen.
Putin wiederholt Behauptung von "Entnazifizierung"
In seiner TV-Ansprache betonte Putin am achten Tag des russischen Krieges in der Ukraine erneut, dass es sich um einen Kampf gegen "Neonazis" handle, von denen das Nachbarland befreit werden müsse.
Ukrainer und Russen seien "ein Volk", sagte er weiter während einer Sitzung des russischen Sicherheitsrates. Russland hatte vor einer Woche mit einem Großangriff auf die Ukraine begonnen. Russische Bodentruppen drangen anschließend binnen weniger Stunden bis in den Großraum Kiew vor, seitdem stockt der Vormarsch jedoch. Experten sehen eine hohe Moral unter den ukrainischen Soldaten und der Bevölkerung und überraschende logistische Schwierigkeiten bei der russischen Armee. Putin warf den ukrainischen Streitkräften vor, Tausende von ausländischen Staatsbürgern als Geiseln genommen zu haben. Darunter seien auch Studenten, erklärte er weiter.
33 Tote bei Angriff im Norden
Bei einem russischen Angriff auf Wohngebiete in der Stadt Tschernihiw im Norden der Ukraine wurden nach ukrainischen Angaben mindestens 33 Menschen getötet. 18 weitere Menschen seien verletzt worden, teilte der Rettungsdienst der Stadt mit. Zuvor war von 22 Todesopfern die Rede gewesen. Den Angaben zufolge wurden bei dem Angriff zwei Schulen und ein Wohnhochhaus getroffen.
Die stellvertretende Bürgermeisterin von Tschernihiw, Regina Gusak, sagte der Nachrichtenagentur AFP, das 120 Kilometer von Kiew entfernte Tschernihiw sei Ziel eines russischen "Bombenangriffs" geworden. Gouverneur Wjatscheslaw Tschaus hatte zuvor von einem russischen Luftangriff gesprochen, bei dem zwei Schulen im Stadtteil Staraja Podusiwka und Wohnhäuser getroffen worden seien. Die Rettungskräfte veröffentlichten Bilder, auf denen Rauch zu sehen war, der aus zerstörten Wohnungen aufstieg. Sanitäter trugen Leichen durch Trümmer.
Nach Einschätzung aus US-Verteidigungskreisen sind bisher 90 Prozent der zuvor an der Grenze zur Ukraine versammelten russischen Truppen in das Land vorgerückt. Das sagte ein hochrangiger US-Verteidigungsbeamter in Washington. Die Tatsache, dass jeden Tag mehr Kräfte nachrückten, sei aber keinesfalls so zu deuten, "dass ihre Kampfkraft innerhalb der Ukraine so weit geschwächt ist, dass sie das Gefühl haben, dass ihnen der Saft ausgeht". Russland stünden weiter immense militärische Ressourcen zur Verfügung.
"Heißer Draht"
Einem Insider zufolge haben die Verteidigungsministerien der USA und Russlands eine Direktverbindung aufgebaut, um "Fehleinschätzungen, militärische Zwischenfälle und Eskalationen" zu verhindern. Die Verbindung sei am 1. März eingerichtet worden, so ein hochrangiger US-Militärvertreter, der namentlich nicht genannt werden wollte.