Präsident Mursi mobilisiert seine Muslimbrüder
Auf den Straßen von Ägypten gehen die Massenproteste gegen Präsident Mohammed Mursi unvermindert weiter. Die Unterstützer des Präsidenten halten nun aber dagegen: Für heute, Samstag, haben die Muslimbrüder zu einer Großkundgebung vor der Universität in der Hauptstadt Kairo aufgerufen.
Auf dem legendären Tahrir-Platz, auf dem die Opposition mit Massenkundgebungen 2011 den Sturz des langjährigen Präsidenten Husni Mubarak herbeigeführt hatte, konnten die Muslimbrüder aus Sorge vor Auseinandersetzungen mit der heutigen Opposition nicht demonstrieren. Beobachter fürchten, dass es dennoch zu Gewalt zwischen den beiden Gruppen kommen könnte.
Am Freitag waren erneut zehntausende Ägypter auf die Straße gegangen, um ihren Zorn gegen die Machtpolitik der Islamisten zu artikulieren. Wenige Stunden zuvor hatte die islamistisch beherrschte Verfassunggebenden Versammlung einen umstrittenen Verfassungsentwurf verabschiedet. Der Oppositionspolitiker Mohammed ElBaradei sprach von einem "Staatsstreich gegen die Demokratie".
"Diktatur der Muslimbruderschaft"
"Nieder mit der Verfassunggebenden Versammlung!", rief die Menge auf dem Tahrir-Platz. Auf Spruchbändern wurde die "Diktatur" der Muslimbruderschaft und des aus ihr stammenden Präsidenten Mursi angeprangert. Kundgebungen gab es auch in vielen anderen Städten Ägyptens. In der zweitgrößten Stadt Alexandria gingen Mursi-Gegner und -Anhänger mit Steinen aufeinander los.
Alle 234 Artikel des Verfassungsentwurfs wurden einstimmig beschlossen. Liberale und laizistische Kräfte boykottierten die Abstimmung unter Verweis auf zu viele undemokratische Passagen in dem Entwurf. Die koptische Kirche hatte ihre Vertreter aus der Versammlung ganz abgezogen.
Referendum noch im Dezember
Binnen zwei Wochen soll ein Referendum organisiert werden. Die neue Verfassung soll den alten Gesetzestext ersetzen, der nach dem Sturz des langjährigen Machthabers Hosni Mubarak im Februar 2011 abgeschafft worden war.
Artikel 2 des Verfassungsentwurfs besagt, dass die "Prinzipien der Scharia" die "wichtigste Quelle der Gesetzgebung" seien. Der Passus stammt allerdings noch aus der früheren Verfassung unter Mubarak und findet in Ägypten überwiegend Zustimmung. Der Artikel erklärt den Islam zudem zur Staatsreligion und das Arabische zur offiziellen Sprache.
Diskriminierung befürchtet
Kritiker fürchten, dass religiöse Minderheiten künftig diskriminiert werden könnten, weil der Entwurf nur die Religionsfreiheit des Islam, des Christentums und des Judentums explizit erwähnt. Zudem soll die zivile Militärgerichtsbarkeit aufrechterhalten bleiben. Diese Gerichte dienten während der Herrschaft Mubaraks oft zur Unterdrückung von Oppositionellen.
Der Verfassungsentwurf werde auf dem "Müllberg der Geschichte" landen, sagte der frühere Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA) und Friedensnobelpreisträger ElBaradei. Auch der frühere Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Moussa, nahm an den Protesten seiner Landsleute teil.
Die UNO-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay, forderte Mursi auf, seine selbstverordneten Sondervollmachten zu überdenken. Das vergangene Woche erlassene Dekret Mursis, das seine Entscheidungen von der Justiz unanfechtbar macht, provoziert seit Tagen den Unmut seiner Gegner. Mursi signalisierte, das Dekret werde nur bis zum Inkrafttreten der neuen Verfassung gültig sein.
Kritiker des „neuen Pharao“ Mohammed Mursi demonstrieren seit Tagen auf dem Tahrir-Platz in Kairo, die Anhänger des Präsidenten wollen heute, Samstag, Hunderttausende zu seiner Unterstützung auf die Straße bringen. Zusammenstöße zwischen Islamisten und dem säkularen Lager sind nicht ausgeschlossen. Beide Seiten spüren instinktiv, dass sich in diesen Tagen die künftige Ausrichtung ihres Landes vielleicht für Jahre entscheidet.
Mursi hat vor einer Woche in einem Handstreich den Verfassungsrichtern die Kompetenz abgesprochen, über die Rechtmäßigkeit seiner Entscheidungen zu befinden, und sich damit über das Gesetz gestellt. Zugleich hinderte er die Höchstrichter daran, das umstrittene Verfassungskomitee aufzulösen, in dem die Muslimbrüder und die Salafisten gemeinsam über eine stramm-islamistische Mehrheit verfügen.
Diese Mehrheit hat jetzt in einer Marathonsitzung bis zum Morgengrauen ihren Entwurf für ein neues, islamistisch geprägtes Grundgesetz durchgewunken. Unabhängig davon, wie viele heikle Artikel es tatsächlich enthält – die liberalen Gruppierungen Ägyptens und die Christen finden sich in dem Text jedenfalls nicht wieder. Sie haben das Komitee schon seit Wochen boykottiert.
Ziel verfehlt
Damit verfehlt die Verfassung von Anfang an ihr wichtigstes Ziel, nämlich die tragfähige Grundlage für ein Zusammenleben aller Ägypter zu bilden.
Mursi behauptet, er wolle mit seinen Maßnahmen die Revolution retten und diskreditiert die Höchstrichter als unzuverlässige Büttel des Mubarak-Regimes. Während der Präsident auf diese alte Gefahr verweist, erschafft er selbst eine neue – er spaltet die Gesellschaft und setzt Schritte in Richtung eines autoritären Systems.