Politkowskaja-Mord: Kinder boykottieren neuen Prozess
Von Evelyn Peternel
Es ist bereits der dritte Versuch der russischen Strafverfolgungs-Behörden, den Mord an Anna Politkowskaja vor Gericht aufzuklären: Im Oktober 2006 war die Kreml-kritische Journalistin in ihrem Stiegenhaus erschossen worden – wer die Tat verübt hat, ist bis heute nicht klar. Vor dem Richter stehen fünf Männer, die an der Tat beteiligt gewesen sein sollen; der Drahtzieher dahinter? Man weiß es nicht.
Note: Mangelhaft
Die Entscheidung des Moskauer Gerichtes lässt vieles vermuten. In den Augen der Kinder Politkowskajas deutet sie darauf hin, dass der politische Wille zur Aufklärung der Causa absolut „mangelhaft“ sei – und das ist noch recht milde ausgedrückt. Denn die Verteidigung der Angeklagten hatte darauf bestanden, die Sache vor einem Schwurgericht zu verhandeln; wie sich die Jury zusammensetzt, ist demnach mehr als entscheidend.
Auf jeden Fall aber reiht sich der Entscheid wunderbar in die Liste der fehlgeschlagenen Versuche der Obrigkeit ein, standesgemäß mit dem Fall umzugehen. Die ersten Ergebnisse der Untersuchung präsentierte die Staatsanwaltschaft erst knapp ein Jahr nach dem Mord – zuvor hatte sowohl die Nowaja Gazeta eine Belohung von mehr als 700.000 Euro für Hinweise auf die Täter ausgelobt als auch ein renommiertes Personenkomitee auf die Aufklärung gedrängt. Auf der Unterschriftenliste: die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichts Carla Del Ponte, Dissidenten wie Jelena Bonner, die Frau von Andrej Sacharow, oder der französische Ex-Außenminister Bernard Kouchner.
Tschetschenen, Oppositionelle, Ausländer
Verurteilt wurde 2009 dann ein Tschetschene: Rustam Machmudow, angeblich verantwortlich für den Todesschuss. Er steht – nachdem das oberste Gericht ein Jahr später das Urteil wieder aufgehoben hatte – erneut vor Gericht; genauso wie seine Brüder Ibrahim und Dschabrail. Auch auf der Liste der neuerlich Angeklagten sind Ex-Polizist Sergej Chadschikurbanow sowie der mutmaßliche Organisator des Attentats, Lom-Ali Gaitukajew, angeblich der Onkel der Gebrüder Machmudow.
Was die Angeklagten bei diesem Prozess zugeben werden, bleibt abzuwarten. Dass dabei geklärt wird, was tatsächlich passiert ist, ist indes nur eine vage Hoffnung: Wer den angeblichen Organisator Gaitukajew beauftragt hat, ist auch im Vorfeld dieses Prozesses nicht hinterfragt worden.