Politik/Ausland

Politkowskaja-Mord: Kinder boykottieren neuen Prozess

Es ist bereits der dritte Versuch der russischen Strafverfolgungs-Behörden, den Mord an Anna Politkowskaja vor Gericht aufzuklären: Im Oktober 2006 war die Kreml-kritische Journalistin in ihrem Stiegenhaus erschossen worden – wer die Tat verübt hat, ist bis heute nicht klar. Vor dem Richter stehen fünf Männer, die an der Tat beteiligt gewesen sein sollen; der Drahtzieher dahinter? Man weiß es nicht.

Alle Inhalte anzeigen
Am Mittwoch um 10.30 Uhr Ortszeit wird in Moskau verhandelt. Allerdings ohne Beteiligung jener zwei Personen, denen die Aufklärung des Falles am meisten am Herzen liegt: Vera und Ilja, die Kinder der Ermordeten. Beide haben am Dienstagabend öffentlich ihren Boykott erklärt: „Der Prozess ist illegitim“, ließen die beiden über die ZeitungNowaja Gazetaausrichten – dort war ihre Mutter bis zu ihrem gewaltsamen Tod beschäftigt und hatte über die Tschetschenien-Politik des Kreml berichtet. Die Jury, die über das Schicksal der fünf Angeklagten zu entscheiden hat, sei ohne ihre Konsultation zusammengesetzt worden. Dieses Recht stünde den beiden allerdings zu.

Note: Mangelhaft

Die Entscheidung des Moskauer Gerichtes lässt vieles vermuten. In den Augen der Kinder Politkowskajas deutet sie darauf hin, dass der politische Wille zur Aufklärung der Causa absolut „mangelhaft“ sei – und das ist noch recht milde ausgedrückt. Denn die Verteidigung der Angeklagten hatte darauf bestanden, die Sache vor einem Schwurgericht zu verhandeln; wie sich die Jury zusammensetzt, ist demnach mehr als entscheidend.

Auf jeden Fall aber reiht sich der Entscheid wunderbar in die Liste der fehlgeschlagenen Versuche der Obrigkeit ein, standesgemäß mit dem Fall umzugehen. Die ersten Ergebnisse der Untersuchung präsentierte die Staatsanwaltschaft erst knapp ein Jahr nach dem Mord – zuvor hatte sowohl die Nowaja Gazeta eine Belohung von mehr als 700.000 Euro für Hinweise auf die Täter ausgelobt als auch ein renommiertes Personenkomitee auf die Aufklärung gedrängt. Auf der Unterschriftenliste: die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichts Carla Del Ponte, Dissidenten wie Jelena Bonner, die Frau von Andrej Sacharow, oder der französische Ex-Außenminister Bernard Kouchner.

Tschetschenen, Oppositionelle, Ausländer

Alle Inhalte anzeigen
Die weiteren juristischen Schritte aber versprachen wenig Gutes. Zehn Tatverdächtige wurden festgenommen, interessanterweise hauptsächlich Tschetschenen. Spuren zu ausländischen Oppositionellen fanden sich, aber auch zwei Täter aus Verwaltungskreisen kamen infrage. Der Kreml vermutete hinter dem Mord stets ein Komplott, mit dem man die Staatsführung belasten wolle – Andersdenkende vermuteten ein Komplott des Kreml, um eine lästige Fragenstellerin loszuwerden.

Verurteilt wurde 2009 dann ein Tschetschene: Rustam Machmudow, angeblich verantwortlich für den Todesschuss. Er steht – nachdem das oberste Gericht ein Jahr später das Urteil wieder aufgehoben hatte – erneut vor Gericht; genauso wie seine Brüder Ibrahim und Dschabrail. Auch auf der Liste der neuerlich Angeklagten sind Ex-Polizist Sergej Chadschikurbanow sowie der mutmaßliche Organisator des Attentats, Lom-Ali Gaitukajew, angeblich der Onkel der Gebrüder Machmudow.

Alle Inhalte anzeigen
Belastet werden alle von einem bereits Verurteilten:Dmitri Pawljutschenkow, ehemals Polizist, der im Vorjahr zu elf Jahren Haft verurteilt worden ist, weil er die Mordwaffe organisiert haben soll. Ein Geständnis übrigens, das auf einer Abmachung mit der Anklage basiert.

Was die Angeklagten bei diesem Prozess zugeben werden, bleibt abzuwarten. Dass dabei geklärt wird, was tatsächlich passiert ist, ist indes nur eine vage Hoffnung: Wer den angeblichen Organisator Gaitukajew beauftragt hat, ist auch im Vorfeld dieses Prozesses nicht hinterfragt worden.