Politik/Ausland

Türkei geht in den Zweifrontenkrieg

War der Krieg in Syrien und im Irak mit all seinen Verflechtungen nicht bisher schon kompliziert genug, so ist er seit der Nacht auf Samstag um eine Nuance festgefahrener. Am Samstag kündigte die kurdische Arbeiterpartei PKK ihren Waffenstillstand mit der Türkei formell auf – eine Reaktion auf die Vorkommnisse der vorangegangenen Nacht.
Da hatten F16-Kampfjets der türkischen Luftwaffe den zweiten Tag in Folge Stellungen des IS in Syrien angegriffen – und erstmals seit Jahren auch der PKK im Irak. Von fünf Luftangriffen war seitens der PKK zunächst die Rede. Auch die symbolträchtigen Kandil-Berge, wo sich das Hauptquartier der Guerilla-Gruppe befindet, wurde bombardiert. Zudem kam Artillerie über die Grenze hinweg zum Einsatz. Die Regierung in Ankara bestätigte die Angriffe am Samstag – knapp nachdem die PKK den Waffenstillstand aufgekündigt hatte.
Die Friedensgespräche zwischen PKK und Ankara hatten 2012 begonnen, 2013 hatte die PKK einen Waffenstillstand ausgerufen. Vereinbart wurde auch ein Abzug ihrer Kämpfer in den Irak. All das ist jetzt hinfällig.
Ihren unmittelbaren Ausgang genommen hatte die jetzige Eskalation am vergangenen Montag. Bei einem Selbstmordanschlag in der kurdisch dominierten Grenzstadt Suruc nahe der symbolträchtigen kurdischen Bastion Kobane in Syrien starben 32 Menschen – überwiegend junge Kurden, die sich für einen humanitären Hilfseinsatz in Kobane gesammelt hatten. Damit stach der IS in einen Bienenstock: Es kam zu landesweiten Protesten überwiegend linker, liberaler und kurdischer Gruppen gegen die türkische Regierung. Das angesichts des bestehenden Vorwurfs, die Regierung des heutigen Präsidenten Erdogan und türkische Sicherheitsdienste hätten den Islamischen Staat jahrelang geduldet, wenn nicht sogar unterstützt – um die Etablierung kurdisch selbstverwalteter Gebiete in Nordsyrien, direkt an der Grenze zur Türkei zu unterbinden. Detail am Rande: Die syrischen Kurden stehen der PKK nahe.


Vergeltungsspirale

Als Rache für Ankaras Politik bezeichnete die PKK dann auch den Mord an zwei türkischen Polizisten am Mittwoch.
Am Donnerstag griffen IS-Verbände einen türkischen Stützpunkt an der Grenze zu Syrien an. In der Folge sollen türkische Spezialeinheiten auch auf syrisches Gebiet vorgestoßen sein. All das erstmals begleitet von türkischen Luftangriffen auf syrisches Gebiet – sowie Razzien in 13 türkischen Provinzen, bei denen bis Freitag knapp 600 Menschen festgenommen wurden: Anhänger des IS ebenso wie der PKK.
Dass sich die Türkei letztlich entschieden hat, sich der Koalition gegen den IS anzuschließen, freut die US-geführte Allianz. Deren Kampfjets können jetzt zwei ihnen lange verwehrt gebliebene, strategisch aber bedeutende türkische Luftwaffenbasen nutzen – etwa die in Diyarbakir, einer kurdischen Hochburg. Damit ist die Türkei nun Teil jener Allianz, die syrisch-kurdischen und damit auch PKK-nahen Verbänden in Nordsyrien den Weg gegen den IS freigebombt hat – und damit maßgeblich zur Festigung derer Strukturen beigetragen hat.
Die Türkei selbst rechtfertigte ihre Kursänderung in einem Schreiben an den UN-Sicherheitsrat und an UN-Generalsekretär Ban-Ki-Moon mit Artikel 51 der UN-Charta – dem Recht auf Selbstverteidigung.
Was bleibt, ist der Vorwurf seitens der türkischen Opposition gegen Präsident Erdogan, dem Treiben der radikalen Islamisten jahrelang zumindest zugesehen zu haben. Bei einer Anti-Kriegsdemo in Ankara kam es am Samstag zu Festnahmen. Die Polizei ging gegen die Demonstranten mit Tränengas und Wasserwerfern vor. Zusammenstöße gab es auch in Istanbul, wo ein für Sonntag geplanter Friedensmarsch wegen Sicherheitsbedenken verboten wurde.