Politik/Ausland

"Unser Widerstand wird in großem Krieg münden"

Nach den Autobahnen um Erbil geht es auf Überlandstraßen tiefer in die Berge – bis plötzlich hinter einer Kurve zwei Bewaffnete auf der Straße stehen. Der junge Mann mit Schnauzbart und Kalaschnikow fragt, wohin es gehen soll, wer die Reisenden sind. "Willkommen", sagt er nach einem Funkspruch und winkt den Wagen durch.

Das ist die PKK, die Arbeiterpartei Kurdistans. Im Nordosten der Autonomen Irakischen Region Kurdistan kontrolliert sie die Qandil-Berge. Eine abgelegene Region, die sich über mehrere Täler erstreckt, einige Dörfer umfasst, in denen im Sommer bis zu 10.000 Zivilisten leben und die zuletzt wieder vermehrt von der türkischen Luftwaffe bombardiert wurde. Denn hier sitzt aus türkischer Sicht das Gehirn von Staatsfeind Nummer eins: die Führung der PKK.

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"Wir kontrollieren dieses Gebiet militärisch, nicht in der Verwaltung", so ein Kämpfer. Öffentliche Einrichtungen würden von der kurdischen Regionalregierung in Erbil gestellt. Seit 15 Jahren ist der Kämpfer hier. Er spricht von der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, einem neuen Gesellschaftsmodell, von der Natur und davon, dass "die Guerilla" seine Familie sei.

An einem Kontrollposten vor einem Dorf stehen zwei Burschen. Der eine ehemaliger Student der Politikwissenschaften aus einer türkischen Stadt, die er nicht nennen will, der andere hat als Bauarbeiter gearbeitet. Auf die Frage, woher sie kämen, antworten beide: "Nordkurdistan." Gemeint sind kurdische Gebiete in der Türkei.

Es habe zu viele Gründe gegeben, sich der PKK anzuschließen, sagt der Politologe. Er nennt das Vorgehen der türkischen Armee in der Osttürkei. Er spricht von seiner Zeit an der Uni, als er sich dafür eingesetzt hatte, Kurdisch als Unterrichtssprache zu erlauben und festgenommen wurde. Er sei kein Nationalist, sagt er, er liebe die Freiheit – der türkische Staat habe ihm keine andere Wahl gelassen, als in die Berge zu gehen.

Sich der PKK anzuschließen bedeutet, eine praktisch lebenslange Bindung einzugehen. Es ist verboten, zu heiraten; Besitz ist Besitz der Organisation. In der Türkei würde diese Kämpfer jahrelange Haft erwarten.

Dass sich die PKK hier festgesetzt hat, stößt bei der Regionalregierung in Erbil, die sich mit der Türkei zu arrangieren versucht, auf wenig Gegenliebe. Es ist wohl aber weniger die militärische Stärke der Gruppe in den schwer zugänglichen Qandil-Bergen als der Einfluss und der Symbolwert, den diese Gemeinschaft auf Kurden im Iran, in Syrien, in der Türkei und vor allem auch im Irak hat – mit entsprechendem Mobilisierungspotenzial.

Die PKK-Führung gibt sich entsprechend vorsichtig. Mobiltelefone muss man als Gast abgeben, wenn man eine der Spitzen treffen möchte. Riza Altun kommt in Begleitung eines Leibwächters. Man hält Ausschau nach türkischen Drohnen. Riza Altun ist Mitbegründer der PKK, ein enger Vertrauter und Weggefährte des inhaftierten Abdullah Öcalan und Mitglied des Exekutivrates der PKK.

KURIER: Die Region durchlebt gerade diese Wochen intensive Zeiten. Der Anschlag in Ankara, den die türkische Regierung Ihnen zuschreibt, türkische Bombardements hier: Auf welcher Eskalationsstufe stehen wir gerade?

Riza Altun: Die Entwicklungen sind die Folge von (Präsident) Erdogans Politik und der AKP-Administration – im Mittleren Osten und in der Türkei. Die Politik Erdogans ist an einem Punkt angelangt, an dem es keinen Ausweg mehr gibt. Er hat nach den Wahlen in der Türkei (bei der die AKP zunächst die Mehrheit verloren hat, dann gab es Neuwahlen) gesagt, es gibt keine Kurdenfrage – und alle Wege, Frieden zu erreichen, in den Wind geschlagen. Die AKP wusste, dass sie nur gewinnen kann, wenn sie antikurdische, rassistische Gefühle schürt.

Wie würden Sie das nun nennen. Ist das ein offener Krieg?

Ja. Es war ein ziviler Putsch. Gegen die Kurden. Es ist Krieg. Ungeachtet aller Repressionen haben die Kurden versucht, in Bezirken und Dörfern ihre Selbstverwaltung aufzubauen. Erdogan hat das als Vorwand verwendet, sie anzugreifen. Städte wurden in Grund und Boden gebombt. Die PKK hat sich in diesen Konflikt nicht eingemischt. Der Widerstand kommt von jungen Leuten und anderen Teilen der Gesellschaft. Die Guerilla (meint die PKK) war bisher nicht involviert. Aber als Verteidigungskräfte können wir nicht stillhalten angesichts dieser Aktionen. Wir sehen es als unsere historische Verantwortung, unsere Leute und unser Land zu verteidigen. Aufgrund gewisser Umstände, es war Winter, konnten wir nicht aktiv sein, aber mit Beginn des Frühlings ist es sehr wahrscheinlich, dass wir als Volksverteidigungskräfte aktiver werden.

Sie sagen also, dass Sie ab sofort wieder Kämpfer in die Türkei entsenden werden?

Wir haben bereits Guerillas vor Ort. Wir werden alles tun, was notwendig ist, in diesem bevorstehenden Krieg.

Ist da irgendeine Chance, irgendein Fenster für einen Friedensprozess zu dieser Zeit?

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Unser Ziel ist die Demokratisierung der Türkei und eine Lösung für die Kurden. Wir unterstützen alles, was dazu beiträgt. Es liegt aber an Erdogan und der AKP. Wir wollen keinen Konflikt. Wir verteidigen uns. Dieser Krieg wurde uns diktiert.

Nachdem bereits jetzt schwere Kämpfe toben, Sie aber sagen, Sie seien noch nicht involviert, stellt sich die Frage: Wie viel Einfluss hat die PKK?

Bisher haben wir nicht aktiv eingegriffen. Aber nach 40 Jahren Kampf besteht ein breites Bewusstsein in der kurdischen Jugend was die kurdische Angelegenheit angeht. Die Forderungen, die jetzt erhoben werden, basieren auf dem Bewusstsein, das wir gesät haben. Aber wie ich gesagt habe, mit Frühlingsbeginn werden wir eine andere Position diesem Krieg gegenüber haben, und wir werden neue Taktiken und Strategien anwenden. Wir tun das, weil wir keine Alternative haben. Während des Winters wurden viele Städte in Kurdistan dem Erdboden gleichgemacht. Politisch ist kein Raum geblieben für demokratische Kritik. Wir können uns ergeben, oder wir leisten Widerstand. Wir werden nicht aufgeben. Und unser Widerstand wird in einen großen Konflikt, in einen großen Krieg münden.

In den vergangenen Jahren hat sich die PKK gewissen Respekt erarbeitet – von einer gelisteten Terrororganisation zu einer Gruppe, von der gar US-Militärs sagen, dass sie zumindest in Syrien ihr einziger vertrauenswürdiger Partner ist. Riskieren Sie nicht all das?

Man muss das gesamte Bild sehen. Wir haben unser Image verbessert, nachdem wir den IS in Syrien und im Irak bekämpft haben. Okay. Aber jetzt bekämpfen wir den IS in der Türkei. Die AKP und Erdogan sind doch die Essenz dieser Kräfte in der Türkei.

Sie vergleichen also Erdogan mit dem IS und El Kaida?

Es ist ein Faktum, dass sie Verbindungen unterhalten. Es geht darum, was Erdogan tut oder was der IS tut. Erdogan und der IS agieren gleich, wenn es um die Forderungen von Intellektuellen oder der Opposition geht, es ist Faschismus. Das Image also, das wir uns jetzt erarbeitet haben, werden wir uns auch behalten, wenn wir gegen die faschistische und despotische Politik Erdogans kämpfen.

In Syrien sieht es derzeit so aus, als würde die YPG (syrische Schwesternorganisation der PKK) mit der Armee kooperieren, etwas, das bisher vermieden wurde. Wieso?

Wir kämpfen in vier Teilen Kurdistans – im Iran, im Irak, in Syrien und in der Türkei. Wir sagen: Wenn diese Länder demokratisch sind, wird sich auch die kurdische Frage lösen. Die Regime in der Türkei, im Irak, dem Iran und in Syrien sind aber nicht demokratisch. Wir sind gegen sie. Was das syrische Regime angeht: Das Regime hat uns zuvor als Flüchtlinge behandelt und unsere Rechte nicht respektiert. Es ist unmöglich für die Kurden, mit einem solchen Regime alliiert zu sein. Der IS und andere wollen einen salafistischen Staat in Syrien, in dem die kurdischen Forderungen keinen Platz haben. Die Kurden in Syrien haben ihre Selbstverwaltung ausgerufen und diejenigen, die sie nicht attackieren, die greifen sie auch nicht an. Das Regime hat uns bisher nicht attackiert. Sollten wir vom Regime angegriffen werden, werden wir uns verteidigen.

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Wie würden Sie die Beziehungen der PKK zu Russland bezeichnen? Ist Moskau als Rivale der Türkei ein potenzieller Partner für die PKK?

Wir sind bereit, mit jedem Land Beziehungen aufzubauen, das sich für die Lösung der kurdischen Frage basierend auf Demokratisierung in dem jeweiligen Land einsetzt. Es geht nicht darum, dass wir mit jedem Land, das mit der Türkei rivalisiert, Beziehungen unterhalten.

Würden Sie sagen, dass die einstige Forderung der PKK nach einem unabhängigen Staat in Anbetracht der regionalen Turbulenzen eines Tages wieder aktuell werden könnte?

Wir fordern die Demokratisierung der Staaten und regionale Selbstbestimmung. Die derzeitige syrische Form, die in ein föderales System münden könnte, ist vielleicht das beste Modell, das wir uns für eine Lösung der Kurdenfrage vorstellen können.