Historischer Wahlgang am Rande des Untergangs
Von Stefan Schocher
Saima liebt Tiere. Hunde vor allem. „Ich bin selbst ein Hund hier“, sagt die junge Frau aus Lahore im Osten Pakistans. Wenn sie nicht gerade an einer lokalen Uni jobbt, hegt sie Hundewelpen im Hof ihres Elternhauses. Päppelt sie auf, diese im Islam an sich geächteten Tiere. Da ist die Welt dann heil, wie sie sagt. Es ist ihr persönliches kleines Paradies, in dem nur Stromausfälle an das „Draußen“ vor der Tür erinnern: die pakistanische Realität. Und die ist hart.
Am Samstag wird in Pakistan ein neues Parlament gewählt. Eine historische Wahl. Ist es doch die erste in der Geschichte des Landes, in der eine demokratisch gewählte Regierung nach einer vollen Legislaturperiode ihre Agenden an einen Nachfolger übergeben wird. Grund zu Freude und Optimismus sollte man meinen. Aber den Wahlkampf haben weniger Debatten über die Zukunft des Landes bestimmt als Terror. Angesichts der Gewalt hatten die regierenden Parteien zuletzt auch auf öffentliche Auftritte ihrer Kandidaten verzichtet. Auch das ist neben Stromausfällen pakistanische Realität: Das Land befindet sich faktisch in einem Bürgerkrieg mit den pakistanischen Taliban.
Und obwohl diese auch über Handlanger nicht bei den Wahlen antreten, haben sie die demokratischen Gehversuche Pakistans fest im Griff. Von einem „Klima der Angst“, in dem diese Wahl stattfinden würde, sprechen viele. Auch Saima. Und genau das ist der Grund, weswegen sie nicht vor die Tür geht dieser Tage, wenn es nicht unbedingt sein muss. Mehr als 100 Menschen starben bei Anschlägen während des Wahlkampfes. Kandidaten wurden gezielt ermordet. Und letztlich hingen bis zuletzt über dem ganzen Prozess Befürchtungen, die Militärs könnten jederzeit putschen – wieder einmal.
Im Visier
Die Taliban nahmen gezielt säkulare Parteien ins Visier – so die regierende Volkspartei PPP sowie die eher linke ANP und die liberale MQM. Parteien, die für die Taliban zu „weltlich“ sind. Die Wähler warnten sie, an den Wahlen nicht teilzunehmen, die Teil eines „unislamischen demokratischen Systems“ seien, das nur den Interessen von Feinden des Islam“ diene.
Die PPP brachte Spitzenkandidat Bilwal Bhutto, Sohn der Ermordeten Benazir Bhutto und von Präsident Asif Ali Zardari, aus Sicherheitsgründen außer Landes. Am Donnerstag wurde der Sohn des Ex-Premiers, Ali Haider Gilani gewaltsam entführt, der für die PPP kandidiert. Unangetastet von den Taliban dagegen blieben die beiden großen Oppositionsparteien, die PTI von Cricket-Legende Imran Khan und die Muslimliga PML-N von Ex-Premier Nawaz Sharif. Beide hatten sich im Wahlkampf äußerst moderat gegeben, was ein Vorgehen gegen Extremisten angeht, die weite Teile des Landes an der Grenze zu Afghanistan faktisch kontrollieren. Khan rief zu einem Ende der Militäraktionen auf, Sharif zu Gesprächen. Das zu einem Zeitpunkt, als Politiker anderer Parteien bereits gezielt ermordet worden waren. Und das, obwohl sich gerade Khan wiederholt als Liberaler gegeben hatte. Ideologie wolle er wieder in die pakistanische Politik bringen. Wobei er dabei nur vage blieb.
Gerade bei jungen Wählern gilt Khan als Star. Und die machen einen beträchtlichen Teil der pakistanischen Wählerschaft aus. Umfragen aber sehen Sharif als aussichtsreichsten Kandidaten.
Vor einem Fiasko
Der PPP-Regierung steht Prognosen zufolge ein Fiasko bevor. Präsident Zardari, Witwer der ermordeten Oppositionsikone Benazir Bhutto, trägt den wenig schmeichelhaften Spitznamen „Mr. Zehn Prozent“ – infolge massiver Korruptionsvorwürfe. Die Regierung unter PPP-Führung war von ständigen Korruptionsskandalen begleitet – und von lautem Protest gegen diverse Maßnahmen. So ist auf den Straßen der lauteste Vorwurf gegen die PPP, sie habe den USA Tür und Tor geöffnet für die Drohnenangriffe im Nordwesten. Intellektuelle dagegen kritisieren, dass es die PPP nur in Ansätzen geschafft habe, die allmächtigen Militärs zu zügeln, die nach wie vor wie ein Staat im Staat agieren. Das völlig undurchsichtige Verteidigungsbudget wurde Berichten zufolge weiter angehoben, während weite Bevölkerungsteile unter der Armutsgrenze leben, ein staatliches Bildungssystem faktisch inexistent ist und die Wirtschaft stagniert .
Beobachter sehen in diesem Gemisch für Pakistan die größte Gefahr: Eine junge, von Armee oder Extremisten zusehends militarisierte Gesellschaft, in der junge Menschen kaum Chancen und Extremisten Zulauf haben.
Saima wird am Samstag bei ihren Tieren bleiben. Wählen wird sie nicht. Aus Angst, wie sie sagt. Und aus Mangel an Alternativen: „Wen soll ich wählen?“.
Seine damals schärfste politische Gegnerin Benazir Bhutto war bei ihrer Rückkehr aus dem Exil 2007 frenetisch empfangen worden. In etwa so hatte sich wohl auch Pervez Musharraf seine Heimkehr aus dem Exil vorgestellt. Geworden ist daraus nichts. Nur einige Hundert Anhänger warteten vor dem Flughafen Karachis auf den Heimkehrer. Und später waren es just die Umstände um Benazir Bhuttos Tod, die den einstigen Militärmachthaber Pakistans schwer in die Defensive brachten: Erst ein Haftbefehl, dann ein Politikverbot. Alles wegen Vorwürfen, er habe mit der Ermordung Bhuttos etwas zu tun gehabt. Derzeit sitzt Musharraf unter Hausarrest. Geträumt hatte er von einer Rückkehr an die Macht.
Dass ein ehemaliger Top-Militär in Pakistan juristisch verfolgt wird, gilt dabei jedoch als kleine Sensation. Denn bisher waren Vertreter der Armee – auch pensionierte – praktisch unantastbar für die pakistanische Justiz. Pakistans Justiz ihrerseits erschien in den vergangenen Tagen alles andere als unantastbar.
In besonders eigenartigem Licht erscheint daher vor der pakistanischen Öffentlichkeit auch die Ermordung just jenes Staatsanwaltes, der im Fall Bhutto gegen Musharraf ermittelt hatte. Er wurde auf dem Weg zum Gericht erschossen. Neben dem Bhutto-Fall hatte er auch die Anschläge von Mumbai 2008 untersucht, die der pakistanischen Terrorgruppe Lashkar-e-Tahiba zugesprochen werden.
Neben dem von Skandalen geplagten politischen Establishment ist vor allem Pakistans Armee und Sicherheitsapparat ein zentraler Machtfaktor in der Innen- wie Außenpolitik – ein nicht gerade durchsichtiger mit einer Reihe an Allianzen mit extremistischen Gruppen wie etwa Lashkar-e-Tahiba.
Für den Mord an Bhutto, deren Witwer der gegenwärtige Präsident Asif Ali Zardani ist, war der Anführer der Pakistanischen Taliban, Baitullah Mehsud, verantwortlich gemacht worden. Die Taliban hatten das zurückgewiesen. Der jetzt ermordete ermittelnde Staatsanwalt hatte die Vermutung nahegelegt und von „Indizienbeweisen“ dafür gesprochen, dass Musharraf zumindest nicht für ausreichend Schutz für Bhutto gesorgt hatte.
Musharraf selbst hatte nach der Verhängung des Hausarrests über ihn gesagt, dass damit unnötige „Spannungen zwischen den unterschiedlichen Grundfesten des Staates“ und eine mögliche „Destabilisierung des Landes“ herbeigeführt werden würde. Beobachter sehen im Mord an dem Ermittler eine Warnung der Militärs an die Justiz.
Flut von Waffen
Im Zuge des von den USA massiv mit Geld und Waffen unterstützen Krieges der Mudschaheddin gegen die Sowjets (1979–1989) in Afghanistan war Pakistan mit Waffen überschwemmt worden. Für die Gruppen, die in Afghanistan kämpften, war Pakistan Rückzugs- und Trainingsgebiet. Nach dem Abzug der Sowjets blieben diese Gruppen aktiv und Pakistans Geheimdienst ISI begann, sie gegen Indien in Kaschmir und in Afghanistan einzusetzen. Pakistan hatte ja ganz offiziell und bis heute Berichten zufolge inoffiziell die afghanischen Taliban unterstützt. Laut Insidern gab es einen Deal zwischen dem ISI und Extremisten: Solange sie sich aus den inner-pakistanischen Angelegenheiten heraushielten, konnten sie mit Unterstützung durch den ISI rechnen. Manche entzogen sich dem Einfluss pakistanischer Stellen. Das Resultat ist der Zustand, in dem sich Pakistan heute befindet.