Politik/Ausland

Die schwierige Brücke nach Russland

Sergej Lawrow ist ein Meister darin vorzuführen, wie schnell die globale Architektur Risse bekommen kann. Als der russische Außenminister bei der Konferenz der 57 OSZE-Länder in Hamburg die Vorwürfe pariert, Russland mische sich via Social Media in den deutschen Wahlkampf ein, sagt er lässig: Stimmt nicht, alles eine Erfindung der deutschen Medien – die seien nämlich die "Speerspitze der russlandfeindlichen Bewegung." Und: Selbst Bundeskanzlerin Merkel habe die Vorwürfe "öffentlich als Unsinn zurückgewiesen".

Die Irritation danach ist groß: Hat Merkel das wirklich gesagt? Oder hat Lawrow gerade vorgeführt, wie man im sogenannten postfaktischen Zeitalter Fakten schafft?

Kein "Schönreden"

Was Russland sagt – und was es nicht sagt – , wird im kommenden Jahr vor allem einen beschäftigen: Österreichs Außenminister Sebastian Kurz, der mit 1. Jänner den Vorsitz des Gremiums von seinem Amtskollegen Steinmeier übernimmt. Dessen Herangehensweise – Russland zumindest verbal massiv zu Leibe zu rücken – will Kurz allerdings nicht fortsetzen: "Es ist notwendig, auf Russland zuzugehen", sagt er im Gespräch mit dem KURIER (das ganze Interview lesen Sie unten. Davon, dass er damit Steinmeier in den Rücken falle oder die Krisen kleinrede, für die Russland verantwortlich ist, will Kurz nichts wissen. "Es geht ja nicht darum, das Fehlverhalten der vergangenen Jahre schönzureden, sondern um das Bewusstsein, dass Friede auf unserem Kontinent nur mit und nicht gegen Russland zu erreichen ist", sagt Kurz . Österreich habe traditionell gute Beziehungen zum Osten wie zum Westen. Und das wolle er nutzen, um "Brückenbauer" zu sein. "Das Blockdenken soll wieder dorthin, wo es hingehört – in die Geschichtsbücher."

Wie schwierig das wird, sah man am Verhandlungsmarathon, der am Freitag zwar drei Stunden länger als geplant dauerte, aber ohne Beschluss zu Ende ging. Der Grund dafür ist simpel. Die Organisation ist zum Reden verdammt – sie hat sich selbst auferlegt, alle Beschlüsse einstimmig zu fassen. Jedes Mitglied wird so zur Vetomacht. Das gilt vor allem für Russland, das in allen Krisen, die die OSZE beschäftigen, eine signifikante Rolle spielt – in der Ukraine ohnehin, aber ebenso in den eingefrorenen Konflikten in Transnistrien oder Georgien.

Die Veto- und Störer-Rolle könnte bald auch den USA zukommen – und zwar, wenn Donald Trump als Präsident angelobt wird. Was das betrifft, darüber will Kurz nicht spekulieren: "Trump hat unterschiedliche Aussagen zu Russland getroffen – wenn es sein Ziel ist, das Verhältnis zu verbessern, dann ist das natürlich positiv", sagt er. "Aber jetzt schon davon auszugehen, wäre falsch."

Große Bühne für Kurz

Ist das Amt des OSZE-Vorsitzenden also nur eine undankbare Last ohne Nutzen? Jein, könnte man sagen. Denn zum einen bietet die OSZE auch abseits ihrer Kernaufgaben eine Bühne für Verhandlungen, die oft verfahren scheinen – das sah man am Donnerstag in puncto Syrien. Zum anderen könnte sich Kurz mit seiner Agenda profilieren – auf der steht nicht nur Krisen-Lösung samt der Besuch der Ostukraine, sondern auch der Kampf gegen Radikalisierung in Europa.

Dass man sich durch Sisyphos-Arbeit verdient machen kann, hat jedenfalls sein Vorgänger bewiesen. Steinmeier holte die OSZE aus dem medialen Schatten. Diese Scheinwerfer strahlen nun auf Kurz. Bei der Staffelübergabe hatte er deshalb auch nur einen Rat für ihn: "Gute Nerven."

KURIER: Sie wollen als neuer OSZE-Vorsitzender auf Russland zugehen, trotz der „roten Linien“, die überschritten wurden. Fallen Sie damit nicht Ihrem Vorgänger Steinmeier - der ja sehr scharfe Worte gegenüber den Russen gewählt hat - in den Rücken?

Sebastian Kurz: Das Gegenteil ist der Fall. Wir haben uns eng abgestimmt. Es geht ja nicht darum, das Fehlverhalten der vergangenen Jahre schönzureden, sondern um das Bewusstsein, dass Friede auf unserem Kontinent nur mit und nicht gegen Russland zu erreichen ist. Es ist notwendig, auf Russland zuzugehen. Österreich hat traditionell gute Beziehungen zum Osten wie zum Westen, das werden wir nutzen, um Brückenbauer zu sein.

Wird die Trump-Administration dieses Brückenbauen erleichtern - oder erschweren?

Ich will mich nicht auf Spekulationen einlassen. Wir wissen, was die Position der Republikaner ist, sie haben eine klare Haltung gegenüber Russland. Trump hat unterschiedliche Aussagen dazu getroffen - wenn es sein Ziel ist, das Verhältnis zu verbessern, dann ist das natürlich positiv. Aber jetzt schon davon auszugehen, wäre falsch.

Am Rande der Tagung wurde über Aleppo verhandelt. Wird die Syrien-Krise auf den OSZE-Vorsitz Österreichs Einfluss haben, wird man da auch vermitteln?

Die OSZE hat in diesem Konflikt keinerlei Kompetenz. Die 57 Mitgliedsstaaten haben zahlreiche Aufgaben, die dringlichste davon ist die Ukraine, auch die Radikalisierung in Europa ist auch ein großes Problem. In Syrien nimmt die OSZE aber keine Vermittlerrolle ein.

Die Lage in der Ukraine ist nach wie vor instabil. Wie sieht es mit der Polizeimission aus, an der ja auch Österreich teilnehmen wollte?

Es gibt nach wie vor keine Einigung darüber, insbesondere keine Zustimmung von russischer Seite für eine Polizeimission, wir müssen daher noch weiter diskutieren. Das vordringlichste Ziel ist es, die Konfliktparteien zu einem Waffenstillstand zu bringen, die OSZE spielt dabei eine wichtige Rolle.

Hat die österreichische Innenpolitik - Stichwort Bundespräsidentenwahl - beim Treffen eine Rolle gespielt?

Da und dort gab es Interesse. Während des Wahlkampfs war der Fokus aber natürlich stärker darauf.

Welche Schwerpunkte werden Sie als OSZE-Vorsitzender neben der Ukraine noch setzen?

Wir haben drei Prioritäten: Wir wollen die bestehenden Konflikte - vor allem die Ukraine - entschärfen. Zudem wollen wir gegen Radikalisierung und Terrorismus vorgehen. 10.000 Foreign Fighters aus den OSZE-Staaten haben sich dem IS angeschlossen; sie vergewaltigen, morden und verfolgen Minderheiten - dadurch stellen sie als Rückkehrer auch für unsere Gesellschaften eine Sicherheitsbedrohung dar. Und wir wollen eine Brücke zwischen Ost und West sein, mehr Vertrauen schaffen. Das Blockdenken soll wieder dorthin, wo es hingehört - in die Geschichtsbücher.