"Prora ist das gebaute Böse"
Von Evelyn Peternel
"Reißt das Ding doch ab", sagt ein älterer Herr mit Hund. Er spaziert den vier Kilometer langen Weg entlang, rechts von ihm ist das Panorama immer dasselbe: Wohnblock folgt auf Wohnblock, einige noch in altem DDR-Grau, einige hübsch renoviert.
"Ja, es gibt viele Meinungen zu Prora", sagt Alexander Neumann, als er seinen Container neben dem riesigen Bau betritt. Auf seinem Tisch liegen Baupläne verstreut; alle paar Minuten kommt jemand herein. "Was kostete der Quadratmeter bei Ihnen? Oder sind schon alle Wohnungen verkauft?"
Neumann lächelt dann, händigt Zettel aus, erklärt. Was er tut, ist für ihn nicht ungewöhnlich; er ist Makler, er handelt mit Wohnungen. Für andere ist sein Job aber mehr als zwiespältig. Neumann verkauft Wohnungen an einem Ort, der so vorbelastet ist wie kaum ein zweiter in Deutschland: im ehemaligen Nazi-Ferienheim Prora.
Totaler Urlaub
Vier Kilometer lang ist der graue Klotz, den Adolf Hitler Ende der 1930er hier hat errichten lassen, um die "totale Volksbeglückung" zu ermöglichen. Ein Koloss in Stahlbeton, der den Deutschen für 1000 Jahre Erholung garantieren sollte, so seine Vision. 20.000 Menschen sollten hier zeitgleich wohnen, eine Million pro Jahr, in dem "Gewaltigsten und Größten von allem bisher Dagewesenen", wie Hitler sagte. Dass das nicht ohne Hintergedanken auskam, scheint nur logisch: Niemand sollte hier seine Freizeit verbringen, der nicht dem arischen Rassenideal entsprach, und auch der Volkserziehung sollte Prora dienen. Vom Aufstehen über den Sport bis hin zur Abendgestaltung, alles wurde vom allmächtigen NS-Staat durchgeplant und beobachtet – die Gestapo sollte auch im Nazi-Idyll an der Ostsee ihr Regiment führen.
Dass von Hitlers "Monster am Meer", wie Prora später oft genannt wurde, nur ein Rohbau blieb, ist dem Kriegsbeginn und fehlenden Mitteln geschuldet. 9000 Zwangsarbeiter waren am Bau beschäftigt gewesen; ein Umstand, den die DDR nur wenig störte – sie nutzte die Anlage bereits kurz später als Kaserne, in der die nationale Volksarmee (NVA) ihren Nachwuchs ausbildete. Prora, die erste Massentourismusanlage der Welt, wurde so zum Synonym für DDR- Drillanstalt – berüchtigt selbst in der NVA und auf keiner Landkarte zu finden.
Demagogie in Beton
"Nach vorn schauen"
4000 Euro pro Quadratmeter muss man in etwa hinlegen, will man eine der Wohnungen dort kaufen; und das Interesse ist groß. Ungewöhnlich? Mitnichten. Eine "humanistische Entwicklung" sei das, sagt Ulrich Busch gern in Interviews, wenn man ihn fragt, ob er nicht Bauchschmerzen bei dem Bau habe. 2004 hat der Projektentwickler aus Berlin dem Staat den Bau abgekauft; der wollte den denkmalgeschützten Koloss loswerden, weil die Erhaltung zu kostspielig war. Dass es gerade Busch ist, der daraus nun eine Luxusanlage macht, lässt viele verdutzt zurück: Dessen Vater, die DDR-Musikikone Ernst Busch, war schließlich selbst im KZ. Busch argumentiert das, indem er von der "Überwindung des NS-Gedankenguts" spricht, davon, dass man "nach vorn schauen" müsse.
Alexander Neumann, dessen Firma einen Teil des Kolosses umbaut, stimmt ihm da zu. Für ihn und seine Kunden zähle die Gegenwart, sagt er, als er durch die ewig langen Gänge geht. Dort, wo man 14 Tage Urlaub um 80 Reichsmark bekommen sollte, wo die DDR ihre Jugend gedrillt hat, zahlt man nun Hunderttausende Euro für ein Apartment. "Die Balkone, die nachträglich hinzukamen, sind unbezahlbar", sagt Neumann; und ja, der Blick auf den Ostseestrand ist wirklich traumhaft.
An der Geschichte stören sich die wenigsten, sagt Neumann. Natürlich gebe es die Nostalgiker, die hier einst in der DDR-Armee gedient hätten und sich deshalb eine Wohnung kaufen wollen; aber die meisten Interessenten seien jünger, zwischen 45 und 55, sie kaufen die Wohnungen als Geldanlage, als Vorsorge fürs Alter. Hauptsächlich Deutsche seien es, die anfragen, sagt er. Wohl auch, weil nur Deutsche von einer Vergünstigung profitieren, die manchem Kritiker geschmacklos scheint: Wer sich hier einkauft, bekommt wegen des Denkmalschutzes steuerliche Vergünstigungen. Den luxuriösen Umbau von Hitlers Vision finanziert so auch ein wenig der Steuerzahler mit.
"Totalitärer Albtraum"
Das ist Kritik, die man nicht nur von Anwohnern um Prora hört, sondern auch von renommierten Architekten. Prora, das sei die steingewordene Propaganda, ein "totalitärer Albtraum", "das gebaute Böse", sagte etwa Daniel Libeskind vor Kurzem. "Das Ding verbaut einem nur die Sicht auf die Ostsee", sagt auch der Herr mit Hund, der in der Nähe Proras wohnt.
Natürlich, zubauen und verschleiern will man nichts, meint auch Alexander Neumann. "Wir sehen die Verpflichtung die Geschichte zu dokumentieren", sagt er.
Nur wie, das wird nicht ganz klar. Derzeit herrscht auf der Vergangenheits-Baustelle nur die Gegenwart.