Politik/Ausland

"Bereit zu umfassendem Krieg"

Gegenseitige Drohungen haben auf der koreanischen Halbinsel Tradition, aber eine derartige Eskalation hat es seit Ende des Korea-Krieges 1953 noch selten gegeben: Das kommunistische Regime in Pjöngjang hat nach Atomschlags-Drohungen gegen die USA und Südkorea am Freitag den Nichtangriffspakt mit dem Süden aufgekündigt. Damit reagierte das Regime Kim Jong Uns auf die Verschärfung der UN-Sanktionen gegen Nordkorea vom Vortag.

„Sämtliche Abkommen über einen Angriffsverzicht zwischen dem Norden und dem Süden werden annulliert“, erklärte das staatliche Komitee für die friedliche Wiedervereinigung Koreas. Auch der „Heiße Draht“, das direkte Telefon zwischen Pjöngjang und Seoul, wurde gekappt. Der Verbindungskanal im Grenzort Panmunjom wird geschlossen. Nordkorea sei im Falle der geringsten Provokation bereit für einen „umfassenden Krieg“, drohte Kim Jong Un.

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Aber auch die internationale Empörung über die nordkoreanischen Kriegsdrohungen ist einhellig wie nie. Selbst China, Nordkoreas einziger Verbündeter, der durch sein Einlenken erst die UN-Sanktionen ermöglicht hatte, mahnte alle Parteien zu „Ruhe und Zurückhaltung“. Schon einen nordkoreanischen Atomtest vor drei Wochen hatte Peking verhalten kritisiert. China, das Nordkorea von einem Reformkurs nach chinesischem Vorbild überzeugen wollte, ist zunehmend frustriert von der Halsstarrigkeit des Nachbarn.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel zeigte sich über Nordkoreas Drohungen „sehr besorgt“. Die EU-Außenminister werden Montag über weitere Sanktionen beraten.

Südkorea reagierte scharf: Das Regime von Kim Jong Un werde „zugrunde gehen“, sollte es Südkorea mit Atombomben angreifen. Nordkorea habe zuletzt Truppenübungen von „beispielloser Intensität“ durchgeführt, U-Boote, Kampfjets und Spezialeinheiten mobilisiert.

Die Eskalation hatte mit dem Atomtest Nordkoreas begonnen, der das Land nach Experteneinschätzung mit einsatzfähigen Raketen Atomschlag-tauglich macht. Der Test war auch eine „Vorab-Antwort“ auf die jährlichen Frühlingsmanöver südkoreanischer Streitkräfte mit US-Einheiten. Es folgten Atomschlagsdrohungen und dann die UN-Sanktionen: zusätzliche Reiseverbote und Kontensperrungen gegen Diplomaten sowie Exportverbote für eine Reihe von Luxusgütern für Bonzen des bettelarmen Landes.

Norden gegen Süden

Status quo Kim Jong-Un herrscht seit Ende 2011 diktatorisch über den Norden Koreas. Bis heute gibt es keinen Friedensvertrag, de iure befinden sich Norden und Süden noch im Kriegszustand.

Vorgeschichte Japan, das Korea erobert hatte, kapitulierte am Ende des Zweiten Weltkriegs. Der Süden des Landes wurde von US-Truppen, der Norden von sowjetischen Truppen besetzt. Im Korea-Krieg 1950–53 eskalierte das Spiel der Kräfte mit drei Millionen Todesopfern. Schließlich wurde ein Waffenstillstandsabkommen geschlossen, das den 38. Breitengrad als Grenze festlegte.

Offiziell existieren sie nicht einmal. Hartnäckig leugnet das Regime in Pjöngjang, Regimegegner und andere unliebsame Landsleute in Straflagern verschwinden zu lassen. Doch Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International legen immer neue Beweise für diese Gulags nach stalinistischem Muster vor. Was ihnen dabei hilft, sind die über Google-Earth zugänglichen Bilder des Landes, die Satelliten aus der Erdumlaufbahn liefern.

Was darauf in letzter Zeit zu entdecken war, beschreibt eine Amnesty-Nordkorea-Expertin gegenüber der britischen Presse: „Wir erwarteten, neue oder vergrößerte Lager zu finden, doch, was wir jetzt entdeckt haben, ist noch viel besorgniserregender.“ In einer Gegend etwa 70 Kilometer nördlich der Hauptstadt seien ganze Dörfer in ein bereits vorhandenes Lager eingegliedert worden – einfach indem man die Lagermauer auch um sie herum baute. Dazu wurden Wachtürme und militärisch gesicherte Einfahrten errichtet.

Ebenfalls zu Dutzenden neu errichtete Arbeiterquartiere deuten darauf hin, dass die örtliche Bevölkerung in die Arbeitsbrigaden, die in der zum Lager gehörigen Erzmine schuften, eingegliedert wurde.

Hungertod

Etwa 200.000 Nordkoreaner, so die Schätzungen der Menschenrechtsgruppen, seien derzeit in Lagern interniert. Darunter gibt es Arbeitslager, wie das beschriebene, Umerziehungslager, in denen das Regime versucht, vermeintliche Gegner durch Zwangserziehung auf Linie zu bringen, aber auch Straflager, in die die Insassen eigentlich nur gebracht werden, um dort vor sich hin zu vegetieren und zu sterben. In diesen Lagern, in denen die Menschen sich nach Berichten von Überlebenden von Ratten oder Körnern aus dem Kot von Tieren ernähren, sterben 40 Prozent der Insassen an Unterernährung. Tatsächliche Verbrechen haben die wenigsten der Lagerinsassen begangen. Viele werden verhaftet, weil sie mit einem Regimegegner bekannt waren. Oft werden auch ganze Dörfer oder Stadtviertel kollektiv zur Strafe interniert. Grund genug für die UNO von „einer der schlimmsten, aber am wenigsten bekannten Menschenrechtsverletzungen“ zu sprechen.

Hunde, die bellen, beißen nicht – dieses Sprichwort ließ sich bisher auch auf Nordkoreas Kriegsgeheul anwenden. Das Regime drohte und provozierte – und das nicht nur mit Worten, sondern auch mit Atom- und Raketentests. Doch Pjöngjang pokerte hoch, um Zugeständnisse zu erpressen, nicht um Kriege loszutreten. Denn ein Waffengang in Nordkorea, aus dem sich weder China noch Südkoreas Verbündeter USA heraushalten könnten, wäre das Ende der Kim-Diktatur. Und das ist das Letzte, was sich Kim Jong-Un und Co. wünschen.

Warum aber nun dieses Kriegsgetöse; Maßnahmen, die in Richtung Konfrontation zielen? Der Jung-Diktator mag versuchen, mit besonderer Härte nach außen sein politisches Standing im Inneren zu festigen. Oder, sein neues Führungsteam, in dem eindeutig Hardliner mitreden, hat kein Gefühl dafür, wann rote Linien überschritten sind. Darin liegt die echte Gefahr: Ein Terror-Regime wie jenes in Nordkorea wird wirklich gefährlich, wenn es seine Selbsteinschätzung verliert – und meint, sich tatsächlich mit der ganzen Welt anlegen zu können.