Politik/Ausland

Martin Schulz: "Instinkteuropäer" und vielleicht Kanzlerkandidat

"Einer von uns, der weiß, wie das Leben läuft."

Was Margaretha Kopeinig, Korrespondentin des KURIER in Brüssel, über Martin Schulz schreibt, würden wohl die meisten der vielen Zuhörer unterschreiben, die am Freitag zur Buchpräsentation in Berlin gekommen sind. Der Mann am Podium, derzeit Präsident des EU-Parlaments, geizt schließlich nicht mit Geschichten darüber, wie er wurde, was er ist: Dass er kein Abitur hat, mit 24 Jahren "in der Gosse gelandet" und dem Alkohol verfallen war, gehört ebenso zur Erzählung seines Lebens wie die Geschichte seiner Rettung durch eine Lehre als Buchhändler, seinem ersten eigenen Laden und dem Amt als Bürgermeister in seiner Heimatstadt Würselen.

"Team Europa"

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Ein "Instinkteuropäer" sei er, sagt Schulz in der Biografie; und das spürt man in den vielen Anekdoten, die er von seinem Aufwachsen an der Grenze zu Frankreich preisgibt. Viele dieser privaten Erinnerungen hat Kopeinig zusammengetragen, von der strengen Mutter, die ihn im katholischen Sinne der CDU erzog, von der Rebellion gegen sie, der Hinwendung zur SPD und seinem Aufstieg. Mit seinen oft bissigen Kommentaren aus seiner Brüsseler Zeit und Einschätzungen von Weggefährten – Jean-Claude Juncker spricht im Vorwort vom "Team Europa", das er mit ihm bilde – ergeben sie ein kompaktes Bild jenes Mannes, der mit 60 Jahren gerade vor der wohl wichtigsten Entscheidung seiner Karriere steht: Brüssel – oder doch Berlin?

Das war auch die Frage, die bei der Präsentation am öftesten gestellt wurde. Seine Zeit als Parlamentschef ist bald zu Ende, eine Verlängerung fraglich – denkbar wäre deshalb das Wagnis der SPD-Kanzlerkandidatur, denn Parteichef Sigmar Gabriel zögert noch. Die SPD insgesamt scheint noch unentschlossen, was das angeht – einige Stunden vor der Präsentation bekam Schulz von Altkanzler Gerhard Schröder zu hören, dass "die Europäer gut beraten wären, wenn er das Amt des EU-Parlamentspräsidenten über 2017 hinaus ausübt". Auch Gabriel selbst gibt sich im Buch auf die Fragen der Autorin sehr wankelmütig: "Ich kann ihn mir gut in der deutschen Innenpolitik vorstellen", sagt er da; später fügt er hinzu: "Gerade in diesen turbulenten Zeiten ist deutlich, dass jemand wie Martin Schulz in Brüssel gebraucht wird."

Schulz selbst gab sich am Freitag noch ganz zurückhaltend. Auf seine Antwort darf man gespannt sein.

Buchtipp: Margaretha Kopeinig: "Martin Schulz – vom Buchhändler zum Mann für Europa". Czernin, 22,90 €, im Fachhandel erhältlich