Politik/Ausland

Globalisierungsangst lässt Europa nach rechts driften

Wer wählt rechts – und vor allem: warum? An dieser Frage haben sich nach dem Wahlsieg Donald Trumps und dem Brexit viele den Kopf zerbrochen. Allein, an richtig guten Antworten darauf mangelt es – und vergleichbare Statistiken gab es kaum.

Material dafür hat nun die deutsche Bertelsmann-Stiftung geliefert. Sie hat auf Basis einer Befragung von knapp 15.000 Personen in allen EU-Staaten ein zentrales Motiv für das immer weiter nach rechts rutschende Europa zutage gefördert: Wer rechtspopulistisch wählt, tut das offenbar nicht aus Angst vor dem Verlust konservativer Werte – sondern aus Sorge vor den negativen Konsequenzen der Globalisierung.

Sorgenvolles Österreich

Besonders stark ausgeprägt ist diese Angst demnach in Österreich. Während im EU-Durchschnitt 55 Prozent sagen, dass sie die Globalisierung als Chance wahrnehmen, und 45 Prozent sie als Bedrohung sehen, ist das Verhältnis in Österreich genau umgekehrt – 55 Prozent fürchten die negativen Auswirkungen der weltweiten Vernetzung. "Kaum ein Land ist ähnlich globalisierungs- und europaskeptisch", sagt Isabell Hoffmann, die Autorin der Studie. Das sieht man vor allem bei den FPÖ-Anhängern: Unter ihnen geben sogar 69 Prozent an, Globalisierungspessimisten zu sein; Wertetreue und die Angst, wirtschaftlich "abgehängt" zu werden, sind für sie wesentlich unwichtiger.

Angst vor Migration

Dass in Europa die Globalisierungsangst derart stark ist, hat selbst die Autoren überrascht. In den USA sei es nämlich durchaus die Debatte über das "linksliberale Meinungsdiktat" gewesen, die Trump zum Sieg verholfen habe – in Europa kümmern Dinge wie Homo-Ehe oder Feminismus hingegen nur noch eine Minderheit. "Das sind keine Aufregerthemen mehr", sagt Hoffmann.

Hier habe vor allem die Migrationsdebatte großen Einfluss, die – quasi im Fahrwasser der Globalisierung – den Rechtspopulisten Zulauf verschaffe, so die Studie. Die Angst vor den negativen Konsequenzen der Zuwanderung zieht sich dabei quer durch alle Länder; Migration wird dabei als wesentlich beängstigender beschrieben als Kriege, Armut oder Kriminalität: 54 Prozent der Globalisierungspessimisten geben an, sich im eigenen Heimatland fremd zu fühlen – das ist ein durchaus hoher Wert.

Verfestigt habe sich dieses Gefühl übrigens eher bei der älteren Generation – jene, die mit der Globalisierung aufgewachsen sind, die "Generation Praktikum" etwa, sehen die weltweite wirtschaftliche Vernetzung gelassener, so die Forscher. "Je niedriger das Bildungsniveau, je geringer das Einkommen und je älter die Menschen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie Globalisierung als Bedrohung wahrnehmen", heißt es. Diese Gruppen wählen demnach nicht nur rechtspopulistische oder gar rechtsextreme Parteien , sondern befürworten zumeist auch einen Austritt aus der EU.

Vertrauen fehlt

Wie die etablierte Politik mit diesen Erkenntnissen umgehen soll, darauf liefert die Studie allerdings nur wenig Hinweise. Zwar heißt es, dass die immer kleiner werdenden Großparteien diese Ängste "auflösen" müssten; nur dann könnten sie "Wähler von den populistischen Parteien zurückgewinnen", so die Forscher.

Dass das durchaus schwierig werden könnte, darauf liefern die Daten der Bertelsmann-Stiftung allerdings selbst genügend Hinweise. Denn quer durch alle EU-Länder mangelt es den Befragten nämlich massiv an Vertrauen in die Politik – von den Globalisierungs-Pessimisten vertrauen lediglich neun Prozent den gewählten Volksvertretern; und nur 38 Prozent zeigen sich mit der Demokratie in ihrem Land zufrieden. Selbst bei den Globalisierungs-Befürwortern sind die Zustimmungsraten nicht viel besser – nur ein Fünftel vertraut der Politik. Auch das mag ein Grund sein, warum sich viele Wähler zu Rechtspopulisten hingezogen fühlen.

Henne-Ei-Problem

Auch eine andere wichtige Frage bleibt in der Studie leider unbeantwortet: Und zwar, ob die "populistische Revolte", wie die Autoren die Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit nennen, die Folge aus den Globalisierungs- und Abstiegsängsten der Menschen ist – oder ob es nicht etwa umgekehrt ist, nämlich dass die Rechtspopulisten eben diese Ängste befeuern. Das Henne-Ei-Problem des Rechtspopulismus bleibt so leider ungelöst.

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Es klingt absurd. In keinem anderen Land fürchten sich die Menschen mehr vor der Globalisierung. Und zugleich zählt Österreich zu den Freihandels-Champions: Das Weltwirtschaftsforum (WEF) veröffentlichte am Mittwoch eine Studie, die Österreich auf Platz 7 von 136 Ländern reiht. Nur Singapur, Niederlande, Hongkong, Luxemburg, Schweden und Finnland sind als Volkswirtschaften dem Außenhandel gegenüber noch offener aufgestellt. Bei der ETH Zürich liegt Österreich sogar auf Platz vier (von 207).

"Natürlich ist das ein Widerspruch", sagt Handelsexperte Fritz Breuss zum KURIER. "Unser Land lebt vom Export, aber das nehmen die Menschen nicht zur Kenntnis oder als gegeben hin. Sie haben trotzdem Angst." Medien und Politiker, die diese schüren, spielten sicher eine Rolle. Das Wort "Freihandel" habe einen negativen Beigeschmack bekommen, stellte kürzlich Christoph Neumayer von der Industriellenvereinigung fest. Frage man die Österreicher, ob sie Exporte gut finden, falle die Antwort viel positiver aus.
Je kleiner, umso offener

Als Haupttreiber der Verunsicherung vermutet Breuss den Schock durch die Migrationswelle: "Da wird vieles mit Globalisierung vermischt, auch wenn es ganz andere Ursachen wie den Krieg in Syrien hat." Auf Außenhandel verzichten, das könnten sich – wenn überhaupt – nur große Länder leisten. Die USA hätten 13 Prozent Exportquote, Österreich hingegen 53 Prozent. "Je kleiner ein Land ist, umso abhängiger ist es vom Außenmarkt", sagt Breuss. Das erklärt, warum kleine Staaten in den Ranglisten ganz vorne liegen. Eine Abschottung ginge zulasten der Konsumenten, die wegen der Strafzölle und nationalen Bevorzugung höhere Preisen bezahlen müssten.

Offener Handel kennt freilich auch Verlierer. "In Österreich hat die Osterweiterung, eine Art Mini-Globalisierung, den Druck auf die Löhne erhöht. Das trifft schlechter gebildete Menschen am härtesten", sagt Breuss. Die richtige Antwort wäre, dies besser zu kompensieren. Anders als die USA hat die EU dafür einen Globalisierungsfonds. Der ist mit 150 Mio. Euro pro Jahr aber massiv unterdotiert.

Wie könnte eine Reaktion aussehen, falls Trump die USA abschottet? Sollte Europa auch Schranken hochfahren? "Ich würde es nicht empfehlen. Dann wäre nur der EU-Binnenmarkt groß genug, um alles selber zu produzieren. Österreich allein, das können wir vergessen." Großer Verlierer wäre Export-Weltmeister Deutschland. Und indirekt die Zuliefernationen. Also Österreich.