Politik/Ausland

Deutschlands Mitte wird immer radikaler

Gut ein Drittel hält Deutschland generell für "überfremdet", jeder Zehnte wünscht sich einen Führer, 50 Prozent fühlen sich durch die Zuwanderung von Muslimen bereits "wie ein Fremder im eigenen Land": Die Zahlen, die die neue "Mitte-Studie" der Uni Leipzig zutage gefördert hat, seien keineswegs beruhigend, sagen Oliver Decker und Elmar Brähler. Die beiden Forscher erheben seit dem Jahr 2002 das rechtsextreme, antidemokratische Potenzial der Deutschen – das hat sich zwar, entgegen aller Befürchtungen, im Jahr der Flüchtlingskrise nicht verschlimmert, ist aber deutlich sichtbarer geworden: Brandanschläge auf Asylheime, Übergriffe auf Ausländer und Hassparolen im Netz seien der traurige Ausdruck einer "enthemmten Mitte", wie die Forscher sagen.

"Das Zündeln hat sich Bahn gebrochen"

Der Grund liege in einer starken Polarisierung. "Das politische Klima verschiebt sich", so die beiden. Auf der einen Seite seien die "demokratischen Milieus" größer geworden – also die Menge jener, die Vertrauen in Politik und Institutionen haben und ihr Engagement – siehe Flüchtlingskrise – auch offen zeigen. Auf der anderen Seite sei die Entfernung zu jenen, die nicht an demokratische Strukturen glauben, größer denn je: "Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus gab es immer. Nur jetzt hat sich das Zündeln Bahn gebrochen", sagen Decker und Brähler – und mit ihr auch die Gewaltbereitschaft.

Dass aus der Mitte der Gesellschaft, die lange "Schutzraum der Demokratie" war, großes antidemokratisches Potenzial erwachse, beunruhigt die Forscher. Völkisches Denken sei 2016 nicht mehr nur mehr an den Rändern anzutreffen, sondern überall; und dass Rechtsextreme in der AfD eine politische Heimat gefunden hätten, sei nicht minder problematisch. "Damit wollen wir keine Aussage über die AfD treffen", sagt Oliver Decker – früher hätten Rechtsextreme ja genauso SPD und CDU gewählt. Doch dass die AfD Ressentiments bediene, trage schließlich auch zur "Enthemmung" bei.