Nach Gysi-Abschied: Die Linke auf Strategie-Suche
Von Evelyn Peternel
Es ist die Zeit gekommen, den Vorsitz in jüngere Hände zu übergeben." Gregor Gysi, über Jahre bestimmender Faktor der deutschen Linksfraktion, kündigte am Sonntag seinen Rückzug von der Spitze der Partei an. Er werde im Herbst nicht mehr für den Fraktionsvorsitz kandidieren, sagt er in einer emotionalen Rede, bei der es dem eloquenten Redner die Tränen in die Augen trieb.
Zehn Jahre lang leitete der streitbare Berliner die Linksfraktion im Parlament. Der Weg bis zum heutigen Erfolg der Partei war steinig: Aus der verhassten DDR-Partei SED hatte Gysi nach der Wende die PDS geformt. Nach einem Zwischenspiel als Senator in Berlin, wo Gysi über eine Bonusmeilen-Affäre stolperte, legte er 2002 alle Ämter zurück. Drei Jahre später kehrte er in die Bundespolitik zurück: Gemeinsam mit Oskar Lafontaine gestaltete er das Bündnis der "Linken" – heute stellt die Gruppierung mit 64 Abgeordneten die größte Oppositionspartei im Bundestag.
Mit Bodo Ramelow hat sie zudem erstmals einen Ministerpräsidenten in ihren Reihen. Er regiert in Thüringen mit einem Bündnis aus SPD und Grünen – etwas, das Gysi im Bund auch stets vorschwebte. Doch nicht alle Parteigenossen leisteten ihm dabei Gefolgschaft; mit ein Grund,weshalb der 67-Jährige seit geraumer Zeit als amtsmüde galt.
Doppelspitze
Diese Frage wird auch seine Nachfolger beschäftigen. Jene beiden Kandidaten, die sich als Doppelspitze anbieten, stellen passenderweise die beiden Gegenpole der Debatte dar: Dietmar Bartsch gilt als Reformer im Sinne Gysis, sein deklariertes Ziel ist eine Öffnung in Richtung SPD. Die in der Öffentlichkeit deutlich bekanntere Sarah Wagenknecht, die auch als mögliche Co-Fraktionschefin gehandelt wird, kann dem jedoch wenig abgewinnen: "Die Linke ist sicher nicht gegründet worden, um in dieser trüben Brühe mitzuschwimmen", sagte die 45-Jährige mit Blick auf den Regierungskurs der SPD. Wagenknecht, die mit Ex-Linken-Chef Oskar Lafontaine verheiratet ist, hat die Regierungsbeteiligung damit zur Grundsatzfrage erhoben.
Mögliche Rückkehr
Gysi hinterlässt zumindest in diesem Punkt eine gespaltene Partei. Doch ganz allein lässt er seine Genossen damit nicht: Bis zu Wahl 2017 behält er sein Mandat als Bundestagsabgeordneter. Und obwohl er versicherte, ein Amt als Minister interessiere ihn nicht im geringsten, scheint eine Rückkehr nicht ausgeschlossen: Es wäre nicht sein erstes Comeback.
Diese beiden stehen bei der Linken schon in den Startlöchern:
Dietmar Bartsch
Gysi wünscht sich Bartsch als einen seiner Nachfolger - obwohl das Verhältnis der beiden nicht ungetrübt ist. Vor fünf Jahren maßregelte Gysi Bartsch öffentlich, weil dieser vertrauliche Informationen über den damaligen Parteichef Oskar Lafontaine an die Öffentlichkeit weitergegeben habe. Doch das ist lange vorbei und Gysi sähe Bartsch gern als einen Erben.
Bartsch Auftritt auf dem Bielefelder Parteitag konnte bereits als Bewerbungsrede verstanden werden. Er vermied ein klares Plädoyer für seinen rot-rot-grünen Kurs und rief stattdessen zur Geschlossenheit auf: "Wir sind erfolgreich, wenn wir zusammenstehen", rief er den Delegierten zu. "Nichts brauchen wir weniger als Schubkästen."
Sahra Wagenknecht
2011 wurde sie stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, später meldete sie ihren Anspruch auf den Fraktionsvorsitz an. Von einer tatsächlichen Kandidatur nahm sie vor drei Monaten zwar überraschend Abstand. Sie könnte dies aber nach Gysis Rückzugankündigung nun revidieren. Zumindest wiederholt sie ihr Nein vom März derzeit nicht.
In Bielefeld machte Wagenknecht den Delegierten sehr klar, worauf sie sich mit ihr einlassen würden. Sie ging deutlich auf Distanz zu rot-rot-grünen Gedankenspielen und machte klar, dass sie sich SPD-Chef Sigmar Gabriel wegen dessen Eintretens für das US-Freihandelsabkommen TTIP nur schwer als Regierungspartner vorstellen kann. Mit Blick auf den Kurs der SPD in der Europapolitik oder das Tarifeinheitsgesetz von Deutschlands Arbeitministerin Andrea Nahles (SPD) fügte Wagenknecht, die gern gesehener Gast in Fernseh-Talkshows ist, hinzu: "Die Linke ist ganz sicher nicht gegründet worden, um in dieser trüben Brühe mitzuschwimmen."
Trotz ihrer Distanz zu Rot-Rot-Grün ist auch Wagenknecht eine Wunschkandidatin Gysis für die künftige Doppelspitze - obwohl er selbst sich vehement gesträubt hatte, mit ihr gemeinsam die Fraktion zu führen. Mit Spannung wird erwartet, wie das Duo Bartsch/Wagenknecht harmoniert. Nicht allein, dass sie für völlig unterschiedliche Strömungen stehen, es könnte auch persönlich schwierig werden. Denn Bartsch war als Bundesgeschäftsführer einst Erzrivale des Vorsitzenden Lafontaine. Und der ist schließlich Wagenknechts Ehemann.