Politik/Ausland

Moskau gibt im Gasstreit Ton an

Der Ukraine steht ein kalter Winter bevor – buchstäblich sowie politisch und nicht nur klimatisch. Energietechnisch befindet sich die Ukraine praktisch im Belagerungszustand. Russlands staatlicher Gas-Riese Gazprom hat die Lieferungen an die Ukraine im Juni im Streit um offene Gasrechnungen und unklare Transitgebühren eingestellt.

In Berlin startete am Freitag eine neue Runde im Versuch, den Konflikt beizulegen – oder zumindest zu entschärfen. Unter Vermittlung von EU-Energiekommissar Oettinger trafen einander die Energieminister Russlands und der Ukraine, Nowak und Prodan. Auch Gazprom-Chef Miller war zugegen. Am Ende hieß es, Eckpunkte eines Abkommens würden stehen. Demnach müsste Kiew bis Jahresende 3,1 Milliarden Dollar an Russland zahlen. Russland würde nach Eingang der ersten zwei Milliarden bis Ende Oktober gegen Vorkasse wieder Gas an die Ukraine liefern. Nowak bezeichnete das als „zufriedenstellend“.

„Winterpaket“

Bis nächste Woche haben Moskau und Kiew Zeit, dem sogenannten „Winterpaket“ zuzustimmen. Dann sollen die Verhandlungen bei einem weiteren Treffen in Berlin abgeschlossen werden.

Eingetrommelt worden war das gestrige Treffen mit Drohungen Moskaus. Nowak hatte dem Westen mit Versorgungsunterbrechungen gedroht, sollten Staaten wie Polen, die Slowakei oder Ungarn ihre Lieferungen an die Ukraine nicht einstellen. Nach Beendigung der russischen Gas-Exporte hatten die Gazprom-Kunden Polen, Slowakei und Ungarn russisches Gas an die Ukraine weiterverkauft – was die Verträge der Länder mit der Gazprom nicht erlauben.

Nun hat Ungarn den Weiterverkauf in der Nacht auf Donnerstag eingestellt. Begründet wurde das damit, dass die Auffüllung eigener Speicher angesichts der russischen Drohungen Priorität habe. In Kiew reagierte man irritiert. Die staatliche Gas-Gesellschaft Naftogaz verwies auf einen Besuch Millers in Budapest letzten Montag – wobei es vor allem um den Bau der South-Stream-Pipeline gegangen sei.

Diese würde das nach wie vor zentrale Transitland Ukraine umgehen. Gerade Ungarn ist bemüht, die Energiekooperation mit Russland auszubauen. Bereits jetzt bezieht Ungarn 80 Prozent seines Gas-Bedarfs von Russland. Zudem soll mit einem russischen Darlehen von 10 Mio. Euro das Atomkraftwerk Paks ausgebaut werden.

In den russisch-europäischen Beziehungen wiederum gibt es kalt-warm. Am Donnerstag verwehrte Russland der Fraktionschefin der Grünen im EU-Parlament, Harms, ohne Begründung die Einreise. Sie wollte als Beobachterin dem Mordprozess gegen die ukrainische Pilotin Nadeschda Sawtschenko beiwohnen. Diese war in der Ukraine von pro-russischen Rebellen abgeschossen, gefangen und der russischen Justiz übergeben worden.

Am 30. September will die EU ihrerseits über eine Lockerung der Sanktionen gegen Russland beraten.

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Wer geschossen hat? Ljubaw Nasarjewa ist das egal: "Was weiß ich? Die von links nach rechts, und die von rechts nach links." Wer immer die Granate abfeuerte, ob die Soldaten der ukrainischen Armee oder die pro-russischen Rebellen – getroffen wurde das Waisenheim, das Nasarjewa seit mehr als zwanzig Jahren führt. Der hintere Flügel des Gebäudes liegt in Schutt und Trümmern.

Wären die Kinder da gewesen, schildert die Heimleiterin unter Tränen, "nicht auszudenken, wie viele umgekommen wären." So aber hatten die 40 ukrainischen Waisen Glück inmitten des riesigen Unglücks namens Krieg, der im Sommer ihre Heimstadt Slowjansk überrollte: Die Kinder waren gerade auf Ferienlager.

An eine baldige Rückkehr ist nicht zu denken. Während sich im Heim "Topoljok" noch immer die Trümmer stapeln, werden in einigen Nachbarhäusern bereits Dächer neu gedeckt, Fensterscheiben ausgetauscht, eingeschossene Mauern neu hochgezogen.

Auch das Haus von Natalia Cernjakova und ihrem Mann bekommt dieser Tage – mithilfe der Caritas – neue Fensterstöcke. Mit ihrer Pension von umgerechnet knapp hundert Euro im Monat hätte das Pensionistenpaar keine Scheiben kaufen können. Und an heizen ist für die beiden sowieso nicht zu denken: Kein Geld für Brennmaterial, kaum genug zum Essen. Tagelang hatten sich die beiden vor den Kämpfen in den Gärten der Nachbarn versteckt. Jetzt sind sie zurück – und finden dennoch keine Ruhe. "Wir haben noch immer Angst", seufzt Cernjakova. Dass der Krieg nun vorbei sein soll, dass nicht wieder von irgendwo Schüsse auf ihr Haus niedergehen, will das ältere Paar nicht so recht glauben.

Noch immer Kämpfe

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Seit knapp drei Wochen gilt in den Kampfgebieten derOstukraineoffiziell ein Waffenstillstand. Doch für die wenigsten der rund 260.000 Binnenflüchtlinge in der Ukraine fühlt sich das auch so an. "Ich würde lieber heute als morgen nach Hause gehen", sagt Nathalia. Vor drei Monaten flüchtete die junge Mutter mit ihrer zweijährigen Tochter vor den Kämpfen aus ihrer Heimatstadt Donezk. Unterkunft fand sie zusammen mit 300 anderen Flüchtlingen in einem ehemaligen Pionierlager in den Wäldern nahe Charkiw.

Hier sei sie zwar in Sicherheit, erzählt die 32-Jährige, doch die ständige Angst nagt an ihr. "Fünf bis sechs Mal am Tag" telefoniere sie mit ihrer 17-jährigen Tochter, die in Donezk zurückbleiben musste, um die sterbenskranke Großmutter zu pflegen. "Waffenstillstand?", stößt Nathalia bitter hervor, "dass ich nicht lache. Wie oft, wenn ich mit meiner Tochter rede, höre ich durch das Telefon Schüsse oder den Einschlag von Granaten? Wir wohnen in der Nähe des Flughafens von Donezk, und um den wird nach wie vor gekämpft."

Nur wegen ihrer kleinen Darina bleibe sie noch hier im einstigen Ferienlager, sagt Nathalia. Dank Lebensmittelspenden gibt es genug zu essen. "Aber die Kälte ist unerträglich."

"Immer ist uns kalt"

Heizmöglichkeiten gibt es in der für Sommerurlaube ausgerichteten Anlage keine. Die Feuchtigkeit hat sich tief in die Mauern der altersschwachen Häuser gefressen. In ihrem Bett, im Zimmer, draußen, drinnen – "immer ist uns kalt", kämpft Nathalia gegen die Tränen.

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Tausende Ukrainer, die im Sommer über Nacht aus ihren umkämpften Dörfern oder Städten flohen, befinden sich in einer ähnlich verzweifelten Lage. Der harte ukrainische Winter steht vor der Tür. Viele Flüchtlinge aber konnten nur in Ferienlagern untergebracht werden, in ungeheizten Hallen oder in verlassenen Gebäuden. "Erst jetzt", wo die Temperaturen täglich ein bisschen tiefer sinken, "entsteht das Bewusstsein, dass es hier eine humanitäre Katastrophe gibt", sagt der Chef der Caritas Ukraine, Andrij Waskowycz. "Unser Ziel muss es sein, den Menschen zumindest ein warmes Zimmer pro Wohnung zu ermöglichen."

Drüben, jenseits unzähliger Straßensperren, wo schwer bewaffnete Soldaten jeden Passanten kontrollieren und wo die pro-russischen Rebellen das Sagen haben, sieht es nicht anders aus. "Die Hälfte der Bewohner hat Lugansk verlassen", erzählt Sozialarbeiterin Vera. Gekämpft werde nicht mehr, mittlerweile funktionierten sogar wieder zwei Drittel der Strom- und Wasserversorgung. "Aber keiner von uns vertraut darauf, dass die Kämpfe endgültig vorbei sind." Anfang September hat die sogenannte "Regierung der Volksrepublik Lugansk", die mit der Führung in Kiew nichts mehr zu tun haben möchte, in der Stadt die Kontrolle übernommen. Wie die Menschen in Lugansk damit leben, beantwortet Vera ausweichend: "Bestimmte Leute akzeptieren die neue Macht. Manche nicht – aber dann spricht man nicht darüber."

Eindrücke aus der Ostukraine

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