Politik/Ausland

Mehr Russland oder mehr EU - heikle Parlamentswahlen in Bulgarien

Mehr Brüssel oder mehr Moskau: vor dieser Frage steht Bulgarien diesen Sonntag. Bei vorgezogenen Parlamentswahlen im ärmsten EU-Land wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der Mitte-rechts-Partei GERB, die bis November regierte, und den Sozialisten (BSP) erwartet – und damit zwischen pro-europäischen und ausgeprochen pro-russischen Kräften. In Umfragen lagen beide Parteien zuletzt bei rund 30 Prozent der Stimmen.

Korruptionsskandale

Das ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass es erst drei Jahre her ist, dass die Sozialisten nach Korruptionsskandalen mit nur 15 Prozent der Stimmen klar abgewählt wurden. Dass sie diesen Anteil nun verdoppeln könnten, liegt vor allem am populären Staatspräsidenten Rumen Radew. Der klare Sieg des Ex-Luftwaffen-Generalmajors über die GERB-Kandidatin bei den Präsidentenwahlen hatte im November zum Rücktritt der Regierung unter Premier Boiko Borisow geführt.

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Radew trat zwar als Unabhängiger an, allerdings mit Unterstützung der Sozialisten. Deren Spitzenkandidatin Kornelia Ninowa spricht mit ihrem pro-russischen Wahlkampf jene Menschen an, deren Hoffnung auf ein besseres Leben in der EU auch von GERB nicht erfüllt werden konnten.

Borisow, der als Spitzenkandidat antritt, kann zwar ein stabiles Wirtschaftswachstum von drei Prozent im Jahr sowie stark gesunkene Arbeitslosenzahlen vorweisen. Ausländische Investitinen hinken allerdings immer noch deutlich denen im benachbarten Rumänien (das wie Bulgarien 2007 der EU beitrat) sowie in anderen osteuropäischen Staaten hinterher. Und nach wie vor grassiert die Korruption in Politik, Wirtschaft und Alltag; das Justizsystem gilt als schwach.

Russische Großprojekte

Viele der Bulgaren – nicht nur Ältere mit nostalgischen Gefühlen für die Sowjetunion – wollen nun einer stärkeren Hinwendung zu Moskau eine Chance geben. Sollten die Sozialisten eine Regierung anführen, will die russische Regierung mehrere für Bulgarien wichtige Energie-Großprojekte vorantreiben. Zu diesen zählt die Gaspipeline South Stream oder das Atomkraftwerk Belene.

Das würde Russlands Stellung in Osteuropa weiter festigen, sowohl wirtschaftlich als auch politisch. Weshalb das populistische nationalistische Bündnis der "Vereinten Patrioten" und auch GERB-Vertreter zuletzt immer wieder behaupteten, der Kreml habe den sozialistischen Wahlkampf massiv finanziell unterstützt.

Egal, welche Seite gewinnt, die neue bulgarische Regierung wird vermutlich erneut äußerst labil sein. Bis zu fünf weitere Parteien dürften den Sprung ins Parlament schaffen, darunter auch die „Vereinten Patrioten“. Die Nationalisten attackierten im Wahlkampf vor allem die DPS, die Partei der türkischen Minderheit in Bulgarien, sowie deren radikalere Splittergruppe DOST. DOST unterstützt klar den autoritären Kurs des türkischen Präsidenten Erdogan.

Spannungen mit der Türkei

Die Stimmen der türkisch-stämmigen Bulgaren sind heftig umkämpft, stellen diese doch rund 10 Prozent der 7,2 Millionen Einwohner des Landes. Ihre Vorfahren waren während des Osmanischen Reiches angesiedelt worden. Viele blieben nach dessen Zerfall, rund 300.000 verließen Bulgarien jedoch in der kommunistischen Ära, teils unter Zwang. Sie bekamen die türkische Staatsbürgerschaft, konnten die bulgarische aber behalten – und sind damit stimmberechtigt.

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Dieser Tage kehrten deshalb viele von ihnen vorübergehend zurück, in Dutzenden Reisebussen, die die Grenze zur Türkei überquerten. Was bei früheren Wahlen kaum für Aufsehen sorgte, löste heuer einen diplomatischen Konflikt mit der Türkei samt Verbalattacken Erdogans aus.

Angefeuert wurde der von den Nationalisten, die mehrmals Grenzübergänge blockierten und der türkischen Regierung vorwarfen, sich in bulgarische Angelegenheiten einzumischen und den Wahlkampf der ihr treuen Gruppierungen zu finanzieren. Das soll wütende Wähler ansprechen, die die "Vereinten Patrioten" gut brauchen können: Anders als die Partei der türkischen Minderheit, die ihren Stimmenanteil heute im Vergleich zu 2014 auf 15 Prozent verdoppeln könnte, liegen die Nationalisten wie vor drei Jahren bei gut elf Prozent.