Martin Schulz: "Die Rechten werden nun entlarvt"
Von Ida Metzger
Zum Finale des SPÖ-Parteitags spielte Werner Faymann seine Karte als Regierungschef und Staatsmann aus. Für ein paar Stunden kam Martin Schulz, Präsident des Europaparlaments, nach Wien und hielt vor den SPÖ-Delegierten eine Rede. Kurz vor seiner Abreise gab er dem KURIER ein Interview.
KURIER: Herr Schulz, Werner Faymann wurde mit 84 Prozent als SPÖ-Parteichef wieder gewählt. Ist Faymann nun angezählt?
Martin Schulz: Für einen Nicht-Österreicher ist die hiesige Debatte nicht nachvollziehbar. Gerhard Schröder hatte als Bundeskanzler 74 Prozent bekommen. Ein Regierungschef als Parteichef, der Kompromisse eingehen muss, kann nicht erwarten, dass ihm die Parteikollegen zu Füßen liegen.
Erst vor wenigen Tagen meinten Sie selber, die EU hat ein Image-Problem. Wie kann man das Projekt Europa noch retten?
Wie kann das EU-Parlament hier gegensteuern?
Wir tun eine Menge, wie die Durchsetzung der Bankenunion. Sie reguliert, dass die Anleger, Einleger und die Inhaber der Banken für die eingegangenen Risiken der Bank haften und nicht wie bisher der Steuerzahler. Aber erstaunlicherweise dringen die Lösungsansätze für die Krise nie durch. Was allerdings immer durchdringt ist die Krise. Das macht mir große Sorgen.
Kommissionspräsident Juncker stellte seinen Investitionsplan über 315 Milliarden vor. Wird die Umsetzung gelingen oder ist das nur ein Zahlenzauber?
Wie beunruhigt sind Sie darüber, dass sich Putin mittels Krediten ein rechtes Netz in Europa aufbaut?
Ich bin froh, dass diese anti-bürgerliche, diese anti-demokratische und diese anti-pluralistische Haltung der rechtspopulistischen Parteien jetzt endlich ans Tageslicht kommt. Dieser Putinismus, der für die wiedererstrahlende nationale Größe gegenüber der Dekadenz der westlichen Welt steht, fällt auf einen Resonanzboden bei den Rechtspopulisten. Das überrascht mich nicht. Aber es ärgert mich die Kaltschnäuzigkeit, mit der beide Seiten vorgehen. Man muss den Menschen in unseren Ländern sagen, dass sich diese Leute im Moment entlarven. Frau Le Pen will keine demokratische Strukturen, sie will einen autoritären Staat. Wer diese Parteien wählt, bekommt den Putinismus.
Die Befürworter und die Gegner der Sanktionen gegen Russland sind in beiden Lagern sehr prominent. Hat die EU bei den Sanktionen überreagiert?
Ein vetoberechtigtes Mitglied des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen ist verpflichtet, das Internationale Völkerrecht zu verteidigen. Es hat nicht die Freiheit, es zu brechen. Wenn das passiert, muss man schon sagen: Es reicht. So geht es nicht. Der Weg zu den Sanktionen war lange, aber er war am Ende auch unvermeidlich. Nur: Russland ist da. Es ist unser Nachbarstaat. Man kann Russland nicht mit dem Zauberstab von einem Tag auf den anderen verändern. Wladimir Putin hat außerdem einen großen Rückhalt in der Bevölkerung. Also müssen wir einen Modus vivendi finden. Deswegen ist der Weg von Frank-Walter Steinmeier auch mein Weg. Wir müssen Grenzen ziehen, aber auch gleichzeitig die Tür für Verhandlungen offen halten. Ich bin als deutscher Sozialdemokrat von Willy Brandt geprägt: Wandel durch Annäherung. Je näher die Demokratie einem autoritären Regime kommt, desto gefährlicher wird es für das Regime.
Befinden wir uns wieder in einem Kalten Krieg?
Wir sind in einer sehr angespannten Lage, die wir nicht entgleiten lassen dürfen. Russland ist eigentlich unser Partner, dass sollten wir ihm auch signalisieren. Partnerschaft funktioniert aber nur auf gleicher Augenhöhe.
Vergangene Woche hielt Papst Franziskus eine Rede vor dem EU-Parlament. Es war ihr viertes Treffen. Was bedeutet Ihnen als Sozialdemokrat dieser Austausch mit dem Papst?
Papst Franziskus ist ein außergewöhnlicher Mann. Er fasziniert mich. Ich glaube, dass seine Botschaft für mehr Respekt in der Gesellschaft ganz wichtig ist. Eine meiner Erfahrungen als Politiker ist, dass sich die Menschen schon seit längerem nicht mehr respektiert fühlen. Weder in der Nachbarschaft noch am Arbeitsplatz. Es herrscht die Stimmung: Für mich interessiert sich niemand. Ich zähle doch nichts. Für den Manager bin ich nur ein Kostenfaktor mit zwei Ohren. Würde durch Arbeit ist eine weitere wichtige Botschaft des Papstes. Im Europaparlament hat der Papst die rhetorische Frage gestellt: Wie kann man in Würde leben, wenn man ohne Arbeit ist? Damit meint Franziskus: Ein Arbeitsplatz ist nicht nur wichtig zum Überleben, sondern in seiner Arbeit kann der Mensch seine Verwirklichung und seine Würde finden. Wann hat man zuletzt solche Worte von einer solchen Persönlichkeit gehört?