Terrorverdacht nach Angriff auf Flughafen Orly
Letztes Update: Sonntag, 14:32 Uhr
Nach dem Angriff auf Soldaten am Pariser Flughafen Orly suchen Ermittler das Motiv des 39-jährigen Täters. Nach ersten Hinweisen ist es möglich, dass der erschossene Angreifer einen dschihadistischen Anschlag plante. Er hatte nach Angaben der attackierten Soldaten gerufen: "Ich bin da, um für Allah zu sterben" und auch angekündigt: "Es wird Tote geben."
Unklar blieb zunächst, ob der vorbestrafte Ziyed Ben Belgacem am Samstag als Einzeltäter unterwegs war, oder ob er als Teil eines Terrornetzes handelte. Eine Autopsie sollte klären, ob der Angreifer unter Alkohol- oder Drogeneinfluss stand.
Soldaten als Ziel
Eingeleitet wurden die Ermittlungen wegen terroristischen Mordversuchs. Dies sei auch durch zwei weitere Elemente begründet, sagte Anti-Terror-Staatsanwalt Francois Molins bei einer Pressekonferenz: Dass der Angreifer Soldaten als Ziel ausgesucht habe, wozu dschihadistische Organisationen anstiften, und dass es bei einem früheren Gefängnisaufenthalt des Mannes Anzeichen einer Radikalisierung gegeben habe. Näheres müssten aber die Ermittlungen zeigen, betonte Molins.
"Er ist äußerst gewalttätig", ergänzte der Staatsanwalt. Ermittelt wird unter anderem wegen Mordversuchs in Verbindung mit einem terroristischen Vorhaben. Der Mann hatte auf dem Flughafen auch einen Kraftstoffbehälter dabei, berichtete Molins.
Der Angreifer habe ein langes Vorstrafenregister gehabt. Eine Durchsuchung im Rahmen des Ausnahmezustandes habe im Jahr 2015 aber nichts ergeben. Bei einer Razzia nach der Flughafenattacke fanden Beamte in seiner Wohnung in Garges-les-Gonesse bei Paris einige Gramm Kokain und eine Machete.
Verwandte befragt und wieder freigelassen
Ermittler befragten am Sonntag nach Medienberichten einen Bruder und einen Cousin des Mannes. Beide waren in Polizeigewahrsam genommen worden, wurden aber am Abend laut Nachrichtenagentur AFP wieder entlassen. Der Vater wurde schon vorher wieder auf freien Fuß gesetzt. "Mein Sohn war niemals ein Terrorist", sagte er dem Radiosender Europe 1. Der Sohn habe getrunken und nicht gebetet. "Und unter dem Einfluss von Alkohol und Cannabis - da kommt man hin", meinte der Vater.
Soldaten auf Airport Orly angegriffen
Der mehrfach vorbestrafte 39-jährige Franzose hatte am Samstagmorgen eine Soldatenpatrouille auf dem Flughafen Orly angegriffen. Nach Molins Schilderung attackierte er von hinten eine Soldatin, packte sie am Hals und hielt ihr einen Schrotrevolver an die Schläfe. Außerdem bedrohte er die beiden anderen Soldaten der Patrouille, die zunächst nicht das Feuer eröffnen konnten, weil der Angreifer die Soldatin als menschliches Schutzschild benutzte.
Nach einem heftigen Kampf konnte der Angreifer das Sturmgewehr der Soldatin an sich reißen, bevor er schließlich von den beiden anderen Soldaten erschossen wurde. Der Angriff dauerte nach Molins' Angaben rund zwei Minuten. Auf Bildern der Überwachungskameras sei zu erkennen, dass der Mann entschlossen gewesen sei, auf Menschen zu schießen. An der Leiche des Attentäters seien ein Koran und 750 Euro in bar gefunden worden. Zudem habe der Mann einen Benzinkanister bei sich gehabt.
"Dummheit mit einem Gendarmen"
Zuvor hatte der Mann bei einer Straßenkontrolle nördlich von Paris mit seinem Schrotrevolver auf Polizisten geschossen und einen Beamten leicht verletzt, außerdem die Gäste einer Bar bedroht und ein Auto geraubt. Der Vater des Angreifers berichtete, sein Sohn habe ihn am Samstagmorgen angerufen und ihn um Verzeihung gebeten. "Ich habe eine Dummheit mit einem Gendarmen gemacht", habe der Sohn gesagt.
Im Zuge der Ermittlungen seien der Vater, der Bruder und ein Cousin des Betroffenen festgenommen worden. Der Vater wurde mittlerweile von der Polizei entlassen, wie die Nachrichtenagentur AFP am Sonntag aus Justizkreisen erfuhr. Die Polizei hatte die drei Verwandten des Täters in Gewahrsam genommen, wie es in solchen Fällen üblich ist. Alle drei Männer hatten sich bei der Polizei gemeldet.
Im Bann des Terrors
Fünf Wochen vor der französischen Präsidentenwahl erregte der blutige Zwischenfall großes Aufsehen. Die Rechtspopulistin Marine Le Pen kritisierte die Sicherheitspolitik der Regierung, Premier Bernard Cazeneuve wies das zurück. Frankreich war in den vergangenen Jahren Schauplatz einer beispiellosen Terrorserie, die mehr als 230 Tote forderte. Erst vor einigen Wochen war nahe dem Pariser Louvre-Museum ein Mann niedergeschossen worden, der sich mit Macheten auf eine Militärpatrouille gestürzt hatte. Ein Terrorattentat auf dem Flughafen und in der U-Bahn der belgischen Hauptstadt Brüssel hatte vor knapp einem Jahr 32 Menschen das Leben gekostet.
Wegen der Terrorgefahr patrouillieren Soldaten auf Flughäfen, Bahnhöfen und anderen gefährdeten Orten. Seit der Pariser Terrornacht vom 13. November 2015 gilt in Frankreich der Ausnahmezustand. Damals hatten Extremisten der Terrormiliz Islamischer Staat bei Anschlägen 130 Menschen ermordet. Der Ausnahmezustand war mehrfach verlängert worden und ist aktuell bis zum 15. Juli in Kraft.
Flughafen Orly wiederholt Ziel von Anschlägen
Der Pariser Flughafen Orly ist der zweitgrößte Flughafen Frankreichs - und wurde in der Vergangenheit wiederholt Ziel von Anschlägen. Im Jänner 1975 feuerten Angreifer mit einer Panzerfaust auf ein Flugzeug der israelischen Fluggesellschaft El-Al, trafen aber eine andere Maschine und verletzten drei Menschen. Zu der Attacke bekannte sich die radikale Palästinenserorganisation Schwarzer September. Wenige Tage später wurden bei einem erneuten Angriff auf ein El-Al-Flugzeug 20 Menschen verletzt.
Im Mai 1978 feuerten Angreifer auf Passagiere, die nach Tel Aviv fliegen wollten, und töteten drei Fluggäste und zwei Polizisten. Im Juni 1980 wurden bei einer Bombenexplosion, zu der sich die linksextreme Gruppierung Action directe bekannte, zwölf Menschen leicht verletzt. Im Juli 1983 schließlich tötete eine Bombe nahe des Schalters der Fluggesellschaft Turkish Airlines acht Menschen und verletzte 54 weitere. Wegen des Anschlags wurden später drei Armenier verurteilt.
Der zwölf Kilometer südlich von Paris gelegene Flughafen wurde im vergangenen Jahr von 31,3 Millionen Fluggästen genutzt. Er hat zwei Terminals: Orly-West für Inlandsflüge und Orly-Süd für Mittel- und Langstreckenflüge. Insgesamt fliegen 36 Fluggesellschaften von Orly aus 157 Städte in 55 Ländern an. Größer ist in Frankreich nur der nördlich von Paris gelegene Flughafen Charles-de-Gaulle mit 65,9 Millionen Passagieren im vergangenen Jahr.