Politik/Ausland

Terrorwelle heizt Wahlkampf-Finale an

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Bei aller Tapferkeit der schwer erschütterlichen britischen Metropole herrschte unter den Pendlern, die gestern den wieder geöffneten Bahnhof an der London Bridge passierten, doch merklich gedrückte Stimmung. Die schiere Primitivität der Attacke vom Wochenende erzeugt auf den Straßen ein allgemeines Gefühl der Verwundbarkeit. Daran erinnern nicht zuletzt die vielen am Ort des Anschlags hinterlegten Blumen. Nach und nach dringen die tragischen Geschichten einzelner Opfer an die Öffentlichkeit, von dem schwer verletzten Polizeioffizier außer Dienst, der die Attentäter mit bloßen Händen bekämpfte, bis zu jener 30-jährigen Kanadierin, die in den Armen ihres Verlobten starb.

Täter polizeibekannt

Während der Borough Market mit seinen sonst so gut besuchten Lokalen und die benachbarte Kathedrale von Southwark am Montag immer noch wegen Spurensuche geschlossen blieben, hatten sich die polizeilichen Ermittlungen im Umfeld der vorerst noch anonymen Attentäter in den Osten der Stadt verlegt. Die Polizei führte Razzien in den Vororten Newham und Dagenham durch, am Sonntag kam es zu zwölf vorübergehenden Festnahmen in Barking, wo einer der Attentäter gewohnt und den für das Attentat angemieteten Lieferwagen geparkt hatte.

In Interviews mit britischen Medien behauptete ein Nachbar, den Mann schon vor zwei Jahren bei der Terror-Hotline der Polizei gemeldet zu haben. Der aus Pakistan stammende Vater zweier Kinder soll ausnehmend sozial und sympathisch gewesen sein, bis er zuletzt immer verschlossener gewirkt habe. Einer der Attentäter soll sogar für eine TV-Dokumentation über britische Dschihadisten gefilmt worden sein. Er stammt aus Marokko und war ebenfalls verheiratet. Seine Frau wurde verhaftet.

May zeigt sich hart

Angesichts dieser Enthüllungen kommen zwangsläufig Fragen über die Effektivität der Polizeiarbeit auf – ein besonders heikles Thema nur zwei Tage vor den britischen Unterhauswahlen. Premierministerin Theresa May hat sich seit dem Attentat als die einzige verlässliche Garantin für die Sicherheit des Landes präsentiert. Dies, sagte sie gestern in Anspielung auf ihren aufschließenden Rivalen Jeremy Corbyn, sei keine Zeit "für einen Novizen".

Sie kündigte nicht nur eine Erhöhung des Strafrahmens für terroristische Vergehen an, sondern richtete auch die Forderung an die globalen Technologie-Giganten, die Verbreitung extremistischer Inhalte zu unterbinden. Dabei wiederholte sie auch ihre kontroverse Forderung nach einer Öffnung des entschlüsselten Datenverkehrs in sozialen Netzwerken.

Schwerpunkt der öffentlichen Debatte blieb allerdings Mays eigene Rolle in ihren sechs Jahren als Innenministerin. Während ihrer Amtszeit wurden im Zuge von Sparmaßnahmen 19.000 Polizisten abgebaut. Vor zwei Jahren hatte sie behauptet, jene Polizistenvertreter, die sich über Einsparungen beschwerten, würden bloß "falschen Alarm" auslösen.

Andy Trotter, Ex-Chef einer Polizeieinheit, ist eine von mehreren Stimmen aus der damals gedemütigten Exekutive, die nun ihre Gelegenheit zur Revanche wittern: "Wir brauchen eine Steigerung der Ressourcen für die Polizei in allen Bereichen, weit mehr, als wir derzeit haben", sagte er gestern in der BBC, "stattdessen ist die Zahl der Polizeibeamten in den letzten Jahren erheblich gesunken. Wenn man sich die Polizisten ansieht, die im Zentrum der Stadt arbeiten, dann kommen die aus allen möglichen Gegenden der Stadt, die zur gleichen Zeit entblößt bleiben."

Steve Hilton, Polit-Stratege von Mays Vorgänger David Cameron, griff die Premierministerin via Twitter an: "Theresa May ist verantwortlich für das Sicherheitsversagen von London Bridge und Manchester. Sie sollte zurücktreten, anstatt zur Wiederwahl anzutreten."

Labour-Kandidat Jeremy Corbyn konnte nicht umhin, sich dieser Rücktrittsforderung prompt anzuschließen. Kein Zweifel, dass der Terroranschlag die Wahlen beeinflussen wird. In welche Richtung, bleibt aber abzuwarten.