Kurz: "Ich muss auch Dinge tun, die keine Freude machen"
Die jährliche Generalversammlung der Vereinten Nationen im Frühherbst hat nicht nur bei den New Yorkern einen zweifelhaften Ruf. Zu keiner anderen Jahreszeit steht der Verkehr in Midtown Manhattan derart oft total still. Dutzende Absperrungen und Sicherheitsschleusen zwingen zudem zu zeitraubenden Umwegen. Beim Wort UN erfasst auch viele außerhalb von Big Apple das große Gähnen: viele große Worte, Ergebnisse, die oft nur mit der Feinlupe auszumachen sind.
Heuer überwiegt ein ganz anderer Eindruck. Russlands Staatschef Wladimir Putin war nach zehn Jahren erstmals wieder da. Der Krieg in Syrien und die Flüchtlingskrise dominiert abseits der Tagesordnung alle Gespräche und sorgt für außerordentlich hohe Aufmerksamkeit.
Sebastian Kurz bringt gut eine Woche als Außenminister bei der UNO in New York zu. Auf dem Kalender stehen jeden Tag Treffen mit den Größen der Weltpolitik: "Die UNO-Generalversammlung ist eine einmalige Gelegenheit, bestehende Kontakte zu pflegen und neue zu knüpfen." Im Paarlauf mit Heinz Fischer spult Kurz ein Marathonprogramm aus Rednerauftritten, bilateralen Gesprächen, EU-Meetings, Lunches und Abendessen ab (siehe auch Bericht unten).
Die Flüchtlingskrise ist politisch und medial auch in den USA allgegenwärtig. Die New York Times widmete dem neuerlichen Vormarsch der FPÖ eine große Story.
Wähler-Watschen
Kurz ist dieser Tage in New York bei seinen internationalen Gesprächspartnern wiederholt auch als Repräsentant einer Regierungspartei gefragt, die soeben vom Wähler massiv abgestraft wurde.
Warum hat die oberösterreichische Volkspartei vergangenen Sonntag ein Viertel ihrer Wähler verloren, die FPÖ ihren Wähleranteil gleichzeitig verdoppelt?
Kurz redet nicht lange um den heißen Brei herum. Das war eine "Watschen für die Regierung", vor allem für den Umgang mit der Flüchtlingsfrage. Der schwarze Sonnyboy präsentiert sich in der Schlüsselfrage der Politik pointierter denn je. Verbindlich um seinen Standpunkt werbend, aber unmissverständlich klar in der Sache. Es wäre nicht die ÖVP, gäbe es nicht Parteifreunde, die deswegen intern gegen ihn so Stimmung machen: Würde Kurz in der deutschen Politik eine Rolle spielen, wäre sein Platz nicht an der Seite von CDU-Chefin Angela Merkel, sondern an der des bayrischen CSU-Chefs Horst Seehofer: hart und mitunter auch unherzlich.
Gruppenbild mit Dame: Kurz mit Ronald Lauder vor Klimts Adele
Zustrom steuern
"Es geht in der Flüchtlingsfrage nicht um CDU oder CSU, um hart oder soft, rechts oder links, nicht um Hetze oder Träumerei. Es geht jetzt darum, die richtigen Maßnahmen zu setzen", sagt Sebastian Kurz zu den intern umgehenden doppelbödigen Vergleichen.
Der betont coole Außenminister wird im KURIER-Gespräch selten emotional: "Ich bin von meiner Prägung ein sehr sozialer Mensch und kümmere mich gerne um Dinge, die schön sind. Dazu gehört auch, auf vielen Ebenen konkrete Beiträge zur Integration zu leisten. Ich habe aber auch die Pflicht, im Interesse unseres Landes Maßnahmen zu setzen, die keine Freude machen, aber notwendig sind, damit der Zustrom von Flüchtlingen geringer wird. "
Dringender Wechsel
"In der Asylfrage braucht es dringend einen Systemwechsel", proklamiert Kurz auch in New York, wo immer er dazu Gelegenheit findet. Der bisher praktisch ungeregelte Zustrom von täglich Tausenden Menschen über die Balkanroute Richtung Österreich und Deutschland führe humanitär und politisch in die Katastrophe.
Auf eine "Obergrenze" für Flüchtlinge will sich Kurz zahlenmäßig nicht festlegen. Er macht aber in jedem Gespräch klar: Europa und Österreich sind "schon jetzt mit den Flüchtlingsströmen der letzten paar Wochen überfordert. Wir müssen uns selbst stärker fordern, was die Hilfe vor Ort betrifft."
Österreich wird heuer allein für die Grundversorgung der erwarteten 80.000 neuen Flüchtlingen etwa 400 Millionen Euro ausgeben. "Mit der gleichen Summe können wir in der Türkei 19-mal so viele Menschen versorgen", rechnet Kurz vor: "Wir müssen daher als EU dringend mehr gemeinsam tun."
Gleichzeitig müsse es mehr Kooperationsbereitschaft der Herkunftsländer bei der "Rückstellung von Flüchtlingen" geben. Derzeit stoße der Wunsch, Asylwerber mit einem negativen Bescheid etwa nach Afghanistan zurückzuschicken, auf derart hohe bürokratische Hürden, dass das praktisch unmöglich sei.
Verheerende Wirkung
Sebastian Kurz weiß, dass mit Ansagen wie diesen wenige Tage vor der Wien-Wahl das Steuer nicht mehr herumzureißen ist. Neuerliche Signale an blauanfällige Wähler können aber zumindest nicht schaden. Denn die Angst, die Souveränität im eigenen Land zu verlieren, macht sich auch in vielen bürgerlichen Wohnzimmern breit.
Die Bilder von Polizisten, die zwar abwehrend die Hände heben, an denen aber Hunderte Flüchtlinge ungehindert vorbeiströmen, haben eine verheerende Wirkung hinterlassen, analysiert Außenminister Kurz: Ein wehrloser Staat erzeugt nicht nur bei eingefleischten blauen Parteigängern massives Unbehagen.
Grenzzäune, wie zuletzt der Sicherheitssprecher der Wiener ÖVP verlangte, würde Kurz nie fordern. Der Außen- und Integrationsminister sucht seine Rezepte zur Bewältigung der Flüchtlingskrise realistischer zu verpacken und meidet populistische Sackgassen.
Es werde Schnellverfahren an den Binnen-Grenzen der EU geben müssen, wenn es nicht gelinge, an den Außengrenzen der EU wie etwa in Griechenland klare Verhältnisse mit wirksamen Grenzkontrollen zu schaffen – derart pointiert warnte Kurz schon vor Monaten und erntete dafür einen Shitstorm in den sozialen Medien.
Vorbildwirkung
Heute ist es nur noch eine Frage des Zeitpunkts, wann Deutschland und Österreich mitten in Europa wieder Kontrollen aufziehen, um dem ungebremsten Flüchtlingsstrom wieder Herr zu werden. Es erfülle ihn nicht mit Genugtuung, sagt Kurz, dass heute EU-weit common sense ist, wofür er jüngst öffentlich noch geprügelt wurde.
Ob und wann es freilich gelingen könnte, das Übel endlich an der Wurzel zu fassen, bleibt auch nach der UNO-Konferenz weiter völlig offen. Mehr als an alle Kriegs-Parteien in Syrien zu appellieren, sich nach Vorbild der Atomgespräche mit dem Iran an einen Tisch zu setzen, kann ein österreichischer Außenminister nicht tun. Er ist mit den Folgen des Bürgerkriegs in Syrien, der mit viereinhalb Jahren bereits länger dauert als der Erste Weltkrieg, beschäftigt genug.
Als Sebastian Kurz geboren wurde, diente Heinz Fischer gerade als Wissenschaftsminister unter Kanzler Fred Sinowatz und hatte schon sein halbes politisches Leben hinter sich: Klubsekretär, Klubobmann, SPÖ-Vize und als Vertrauensmann Bruno Kreiskys für heikle Fälle graue Eminenz des linken Lagers. Als ÖVP-Chef Michael Spindelegger 2013 den 25-jährigen Sebastian Kurz als Integrations-Staatssekretär in die Regierung berief, soll Fischer als Bundespräsident vor der Angelobung noch etwas ratlos die Hände zusammengeschlagen haben. Als Kurz zum Außenminister aufstieg, gab es nur noch die eine oder andere besorgte Nachfrage bei Fischers ÖVP-Vertrauten.
Lob und Respekt
Inzwischen wirken die beiden bei Auslandsreisen so, als würden sie seit Jahren politisch gemeinsam an einem Strang ziehen. Dabei trennen die beiden nicht nur altersmäßig fast ein halbes Jahrhundert, sondern auch unterschiedliche Weltanschauungen. Als JVP-Obmann hatte Kurz wie viele in der ÖVP gerne das billige Klischee vom Politiker Heinz Fischer benutzt, der immer, wenn es heikel wird, plötzlich an einen stillen Ort entschwindet.
Heute spricht Kurz öffentlich und intern über den Bundespräsidenten in den höchsten Tönen – zum gelegentlichen Missfallen in den eigenen Reihen. Gleiches wird auch vom Bundespräsidenten berichtet.
Wo immer es geboten ist, lässt der Jüngere dem Erfahreneren den Vortritt. Fischer wiederum lässt den jungen Politiker den Altersunterschied nie spüren. Bei einem gemeinsamen Drei-Tages-Trip vor drei Wochen in den Iran hielt sich Kurz auffällig zurück. Ein Jahr davor hatte der Außenminister die Bühne in Teheran als Eisbrecher noch alleine für sich genutzt.
Bei der UNO-Generalversammlung in New York, die sie zum zweiten und zugleich letzten Mal gemeinsam absolvieren (Fischer übergibt im Juli 2016 das Amt in der Hofburg) ist Fischer als Delegationsführer die Nummer 1 ; protokollarisch immer Zweiter der formal erstzuständige Außenminister.
Trotz der Termine im Halbstundentakt, vieler kurzfristiger Änderungen und einer Vielzahl von heiklen Themen kommt auch in New York keine einzige wahrnehmbare Panne oder politische Dissonanz zwischen den beiden auf.