Politik/Ausland

"Herausforderung da, Jammern dort"

Mir fehlt die Substanz, wie Europa mittel- und langfristig aufgestellt sein soll.“ Das sagte Karl-Theodor zu Guttenberg, Star-Minister im Kabinett Angela Merkels (ehe ihn die Plagiatsaffäre um seine Doktorarbeit vor zwei Jahren aus der politischen Bahn warf) am Dienstag Abend als Stargast einer KURIER-Podiumsdiskussion in der Wiener Hofburg.

Guttenberg lebt zur Zeit in den USA und ist Mitglied des renommierten US-Thinktanks „Center for Strategic and International Studies“ in Washington. Er diskutierte mit Außenminister Michael Spindelegger zum Thema „Europa/USA: Neue alte Freunde?“ (Moderation: KURIER-Chefredakteur Helmut Brandstätter) und erzählte zunächst seine Europa-Prägung: „Das war der Fall der Mauer. Meine Heimat lag an der tschechoslowakischen Grenze, und das hat mich emotional unheimlich aufgewühlt, mein europäisches Bewusstsein gestärkt.“

Europa erzählen

Heute merke man, „dass den Menschen der Narrativ fehlt, warum man das, was wir in Europa erreicht haben, mit aller Kraft verteidigen sollte“, sagte Guttenberg. Junge nähmen Europa als gegeben hin, „wir müssen eine neue Sprache finden, um die Menschen für Europa zu gewinnen“.

Außenminister Spindelegger goss es in Zahlen: „Sieben Prozent der Weltbevölkerung leben in Europa, 25 Prozent der Wirtschaftsleistung kommen von hier, 50 Prozent der Sozialleistungen vereinigt Europa auf sich – unser Leben ist so entwickelt wie nirgendwo anders auf der Welt. Wir brauchen mehr Selbstvertrauen.“

Mentalitäts-Unterschied

Genau an diesem Selbstvertrauen mangelt es in Guttenbergs Augen in Europa. Er machte es an der sehr unterschiedlichen Herangehensweise an die Krise in den USA und Europa fest: In den Vereinigten Staaten würde sie als Herausforderung gesehen, „sich selbst aus dem Sumpf zu ziehen“, da gebe es eine positive Grundstimmung; in Europa dagegen sehe man sie jammernd als Problem. Das sei eine Mentalitätssache.

Alle Inhalte anzeigen
Zudem: „Europa ist heterogen aufgestellt – wunderbar. Aber man begreift hier Europa nicht als eine Nation, wie die Amerikaner ihre Nation.“ Dazu brauche es viel Erklärung und Strukturreformen. Obschon letztere nicht leicht seien. „Seit Beginn der europäischen Einigung mit sechs und zwölf Staaten gab es ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten.“ Aber wenn Europa von Krisenlösung zu Krisenlösung eile, statt seine Strukturen zu besprechen, an einer europäischen Außenpolitik und einer europäischen Wirtschaftspolitik zu arbeiten, „dann wird’s schwierig für Europa“. – Aber er dürfe jetzt „nicht zu professoral werden, und ich spreche auch nicht in Fußnoten“, sagte er selbstironisch in Anspielung an seine Plagiatsaffäre.

Sorge vor dem Ruf „Raus aus dem Euro“ haben beide nicht. Spindelegger sagte in der vom Außenamt im Rahmen seiner „Darum Europa“-Serie mitveranstalteten Diskussion, mit einem Verlassen der Euro-Zone sei man allen Spekulationen ausgeliefert, „wo ist da die Stabilität?“. Und das sei auch erklärbar.

Euro-Gegner

Guttenberg sieht in der neuen Partei von Euro-Gegnern in Deutschland keine wirkliche Gefahr, auch wenn sie ein Stachel im Fleisch der Parteien sei und, wenn sie drei oder vier Prozent erreiche, auch der CDU wehtun könne. „Aber ich bin froh, dass solche Parteien bei uns keine begnadeten Demagogen haben.“

Das von US-Präsident Obama angekündigte Freihandelsabkommen USA-EU nannte Spindelegger eine alternativlose Chance, von der „wir nur profitieren können“. Auch Guttenberg sieht die Chance für Europa, sich global zu positionieren („Viele kommen nicht mehr“), aber auch viele Hürden für das Abkommen sowohl in den USA als auch in Europa.

Alle Inhalte anzeigen
„Ich war überrascht von Obamas ambitionierten Ziel, aber es kommen Wahlen in Europa, dann irgendwann die lame-duck-Phase in den USA. Und wenn Einzelheiten verhandelt werden wie Agrarfragen, dann ist das in den USA mit viel Kraft verbunden, und die 27 europäischen Interessen unter einen Hut zu bringen, auch – ich wünsche Waidmanns Heil“. Von einem Abkommen erwartet sich Spindelegger für Europa 105 Milliarden Euro Wachstumspotenzial.

Für Guttenberg ist das Abkommen auch wichtig, weil sich die USA zugleich über den Pazifik orientierten und daran seien, durch Schiefergas energieunabhängig zu werden – je mehr die USA unabhängig würden, desto weniger würden sie sich um anderes oder Europa kümmern.

Und wann kehrt Guttenberg nach Europa und in die Politik zurück? „Ich bin sehr zufrieden, Distanz zu haben, mir Substanz aneignen und aus Fehlern lernen zu können. Ich bin nicht sicher, ob ich in die Politik zurückkehren werde.“

Karl Theodor zu Guttenberg entstammt dem fränkischen Adelsgeschlecht Guttenberg (Vater: der Dirigent Enoch Freiherr von und zu Guttenberg). Der 1971 in München geborene Guttenberg (voller Name: Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Josef Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg) begann seine politische Karriere in der CSU seines Heimatortes Guttenberg.

2002 kam er in den deutschen Bundestag, 2008 wurde er CSU-Generalsekretär. Ein Jahr später bestellte ihn Kanzlerin Merkel zum Wirtschaftsminister, acht Monate später zum Verteidigungsminister. Er reformierte die Bundeswehr zur Berufsarmee. Guttenberg inszenierte sich über die Medien als strahlender, anpackender Politiker und füllte mit Frau Stephanie auch die Society-Seiten.

Rücktritt Im März 2011 trat er zurück, nachdem die Uni Bayreuth „über die ganze Doktorarbeit verteilte“ Plagiate nachgewiesen hatte. Er verlor sein Doktorat von 2007. Gutten- berg zog in die USA, wo er heute u.a. für den Thinktank „Center for Strategic and International Studies“ in Washington tätig ist. EU-Kommissarin Neelie Kroes ernannte ihn 2011 zum Berater in Internet-Fragen.