Politik/Ausland

Kurdistan oder nicht Kurdistan

Mit einer lapidaren Ansage hatte der Präsident der kurdischen Autonomie im Nordirak, Masud Barzani, seine Position am Sonntag einzementiert: "Wir sind Nachbarn mit dem Irak von diesem Moment an", sagt er mit Blick auf das zu erwartende Ergebnis des Unabhängigkeitsreferendums in der Region am Montag.

Ein historischer Tag war dieser Montag – in vielerlei Hinsicht. Geschätzte 5,2 Mio. Menschen waren im Nordirak am Montag aufgerufen, über die kurdische Unabhängigkeit abzustimmen. Für die allermeisten Kurden im Nordirak ein Grund zu feiern – wie für viele Kurden in aller Welt. Auch in

Wien
.

Dass die Abstimmung mit einem überwältigenden "Ja" ausgehen würde, daran bestand kein Zweifel. Bereits 2005 war die Bevölkerung parallel zu den irakischen Parlamentswahlen in der Sache befragt worden. Das Ergebnis: Knapp 99 Prozent waren damals für die Loslösung vom Irak.

Zugleich aber war es ein Tag, der von schwerwiegenden Einschnitten überschattet war. Die Türkei schloss am Montag die Grenzen zur Autonomen Region Kurdistan im Nordirak und suspendierte ein Programm zur Ausbildung kurdischer Sicherheitskräfte. Auch der Iran schloss alle Grenzen und kappte alle Luftverbindungen nach Erbil. Generell wurde das Referendum international abgelehnt. Die USA hatten bis zuletzt versucht, es zu verhindern. Unterstützung kam nur von Israel.

Und Bagdad? Iraks Premier Haidar al-Abadi hatte nur Stunden vor Beginn der Abstimmung geschworen, jeden Zentimeter irakischen Territoriums zu verteidigen, was auch immer es koste. Ein großes Fragezeichen dabei ist, wie sich schiitische Milizen verhalten, die mit der irakischen Armee verbündet sind, materiell und ideologisch aber massiv vom Iran unterstützt werden. Am Nachmittag wurden erste Kämpfe solcher Milizen und kurdischer Peschmerga-Einheiten bei Kirkuk gemeldet. In Mossul wurde beobachtet, dass sich schiitsche Milizen auf eine Offensive vorbereiteten.

Streitfälle

Kirkuk ist ein Streitfall zwischen Erbil und Bagdad. Denn abgestimmt wurde am Montag auch in Gebieten, die zwar mehrheitlich kurdisch sind, aber nicht mehr zur kurdischen Autonomie gehören – die aber im Zuge des Krieges gegen den IS und dem damit einhergehendem Zerfall der irakischen Armee unter Kontrolle Erbils gerieten. Dazu zählen Kirkuk, Sinjar, Diyala sowie Gebiete um Mosul. Zudem stehen existenzbedrohende gegenseitige Geldforderungen im Raum, die Bagdad und Erbil aber aufgrund der eigenen Verschuldung nicht aufgeben können.

Nicht zu unterschätzen ist der Einfluss, den der Iran auf Bagdad hat. Und dem Iran ist wohl mehr noch als der Türkei daran gelegen, einen kurdischen Staat zu verhindern. Vor allem fürchtet Teheran Signalwirkung für die iranischen Kurden. Zudem ist der Iran an einer Stärkung Bagdads interessiert. Der Generalmajor der Revolutionsgarden und höchste Militär des Iran, Mohammad Bagheri, nannte das Referendum "inakzeptabel" und den "Beginn einer Krise".Die Türkei hingegen hatte sich in den vergangenen Jahren mit der faktisch bestehenden Eigenständigkeit der Kurden im Nordirak unter Barzani abgefunden. Die Region ist zu einem wichtigen Exportmarkt für die Türkei geworden. Kurdistan wiederum exportiert nur über die Türkei Öl. Was Ankara und Erbil eint, ist ihre Ablehnung der linksgerichteten Untergrundorganisation PKK. Die Türkische Position brachten Analysten vor der Abstimmung so auf den Punkt: Ankara könne das Resultat wohl tolerieren, solange man die Kurden in Erbil kontrollieren könne.

Und diese Führung unter den Barzanis (der Neffe des Präsidenten ist Premierminister) will sich anscheinend ein Denkmal schaffen. Zugleich braucht sie aber die Mobilisierung für die eigene Sache. Denn Masud Barzanis Amtszeit war eigentlich im August 2015 ausgelaufen. Er blieb aber im Amt, was durch den Krieg mit dem IS argumentiert werden konnte. Dieser Krieg aber kommt nun zu einem Ende.