Politik/Ausland

Kroatien: Euphorie fühlt sich anders an

Der erste Blick täuscht. Gewaltig. Auf den ersten Blick wirkt die Zagreber Unterstadt wie ein riesiges Kaffeehaus, in dem auch werktags die Novokomponirani (die Neureichen) neben den Touristen und EU-Delegationen ihren fabelhaft feinen Cappuccino genießen.

Doch nur wenige Schritte weiter bröckelt immer noch der Verputz von den Häusern der kroatischen Hauptstadt. Dubravka und Ivanka führen seit vielen Jahren in der Medulićeva ulica einen Herren-Friseursalon. Die Finanzkrise ist auch hier angekommen: „Früher haben sich die Herrschaften alle drei, vier Wochen die Haare schneiden lassen“, erinnert sich Ivanka. „Diese Zeiten sind lange vorbei.“

Glück im Unglück

Das Ausbleiben der Kunden verwundert nicht: Jeder Fünfte hat in Kroatien keine Arbeit. Und die, die arbeiten, finden mit einem Job oft nicht das Auslangen. „Das Durchschnittseinkommen ist zwar höher als das der Slowaken und Ungarn“, weiß Roman Rauch, der österreichische Wirtschaftsdelegierte in Zagreb. „Jedoch sind die Lebenshaltungskosten bei uns deutlich höher“, ergänzt die Zagreber Wirtschaftswissenschaftlerin Mira Lenardić. Tatsächlich reicht ein Blick in die Regale von Billa, Spar, Lidl oder Konzum, um ein Gefühl dafür zu bekommen.

Auch der kroatische Mittelstand ist unter Druck geraten. Die Sommerurlaube am Meer werden kürzer, selbst der Restaurantbesuch der Familie nach einer Taufe ist heute nicht mehr drinnen. Noch härter trifft die zum Teil hausgemachte Krise der kroatischen Wirtschaft die Bewohner der Außenbezirke. Wie Novi Zagreb, am südlichen Ufer der Save.

Ivica erzählt dort sonntags, am Rande eines lokalen Fußballturniers, dass er Glück gehabt habe: „Ich stand nicht auf der Kündigungsliste.“ Der Mittfünfziger arbeitet als Schlosser in einem Staatsbetrieb, der Eisen- und Straßenbahnen produziert und der jetzt versucht, gegen harte Konkurrenz aus dem Ausland zu bestehen.

Ivicas Glück hatte allerdings seinen Preis: „Die, die bleiben durften, haben fünf Monate unbezahlt gearbeitet.“ Freunde hätten ihm und seiner Frau Geld geborgt, damit sie mit ihren drei Kindern über die Runden kommen.

Wahre Freundschaft

Die finanzielle Not hat viele Kroaten zusammengeschweißt. Ivica, der seine Schulden inzwischen zurückzahlen konnte, sagt: „Heute weiß ich, was wahre Freundschaft ist.“ Auch der Zusammenhalt in den Familien ist noch immer stark. Großeltern, Kinder, Enkelkinder unter einem Dach ist die Regel, Alten- und Kinderbetreuung dadurch nur selten ein Problem.

Novi Zagreb, das ist das Floridsdorf der kroatischen Hauptstadt. Eine Plattenbau-Schlafstadt für 300.00 Menschen. Mit persönlichem Engagement hat der NK Utrine ein Fußballfest für die Man­dzukićs und Modrićs von morgen organisiert. Auch ein Klub aus Sarajewo ist da.

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Heute, quasi am Vorabend des EU-Beitritts, soll auch gefeiert werden. Doch die Blicke und die Körpersprache der meisten Eltern verraten nicht unbedingt Feierlaune. Der Anteil der Kroaten an und unterhalb der Armutsgrenze ist deutlich höher als in Österreich.

Die Beschreibungen der „Arbeitslosen von Marienthal“ (eine österreichische Studie aus den 1930er-Jahren) treffen 1:1 auf die Plattenbau-Bewohner zu: Ihre Schritte werden kürzer, Stimmung und Erwartungen sinken.

Dora, Allgemeinmedizinerin in Zagreb, sagt: „Die Menschen sind nach all den Jahren des Krieges und des Wartens auf den wirtschaftlichen Aufschwung müde.“

Euphorie fühlt sich anders an.

Infos

Lesen Sie im nächsten Teil: Was Kroatiens Wirtschaft noch fehlt.

BUCHTIPP: KURIER-Redakteur Uwe Mauch, der mit einer Zagreberin verheiratet ist, hat den ersten Zagreb-Stadtführer in deutscher Sprache verfasst. Trescher-Verlag (Berlin): 7,95 Euro

Werden die Staus während der Sommermonate an der kroatischen Grenze der Vergangenheit angehören?

Auch als neues EU-Mitglied wird Kroatien vorerst nicht der Schengenzone angehören. Die Grenzen Kroatiens zu Italien, Slowenien und Ungarn werden also für Reisende nicht automatisch wegfallen. Ein Beitritt zum Schengenraum wird für 2015 angepeilt. Für die Sommerurlauber, die heuer im Auto anreisen, die gute Nachricht: Die Staus an der slowenisch-kroatischen Grenze werden kürzer werden. Der Wegfall der Zollkontrollen und die geplanten gemeinsamen Grenzkontrollen von slowenischen und kroatischen Polizisten bedeuten, dass die Reisenden künftig nur noch einmal an der Grenze anhalten und ihre Dokumente vorzeigen müssen.

Brauchen EU-Bürger für Reisen nach Kroatien noch einen Pass?

Ein Personalausweis genügt – wenn man, wie Österreicher, aus einem EU-Land kommt, das auch Schengenmitglied ist. Rumänen, Bulgaren, Iren, Briten und Zyprioten benötigen weiterhin einen Pass. Wer nach Dubrovnik fahren will, braucht aber in jedem Fall einen Pass: Die kroatische Grenze wird bei Neum unterbrochen, die Route nach Süden führt einige Kilometer durch Bosnien.

Bekommt Kroatien auch den Euro?

Vorerst bleibt das von einer schweren Wirtschaftskrise gebeutelte Kroatien bei seiner Landeswährung, der Kuna. Die Einführung des Euros ist theoretisch geplant, liegt aber noch in weiter Ferne.

Werden kroatische Arbeitsuchende nach Österreich strömen?

Zu einem „Ansturm“ wird es nicht kommen, die Arbeitnehmerfreizügigkeit wird für Kroaten erst später eingeführt. Es gelten Übergangsfristen nach dem „2+3+2-Modell“: Für vorerst zwei Jahre ist der österreichische Arbeitsmarkt für Kroaten nicht zugänglich. Diese Regelung kann um drei und dann nochmals um zwei Jahre verlängert werden – maximal also sieben Jahre. Nur in den EU-Staaten Schweden, Irland und der Slowakei haben Kroaten sofort Zugang zum Arbeitsmarkt.

Dürfen EU-Bauern in Kroatien Flächen kaufen?

Sieben Jahre lang ab dem Tag des Beitritts darf Kroatien Beschränkungen aufrecht erhalten. Für selbstständige Landwirte mit EU-Staatsangehörigkeit, die sich in Kroatien niederlassen wollen, gelten hingegen die gleichen Regeln wie für Kroaten. Beim Erwerb von Immobilien sind Österreicher kroatischen Käufern bereits seit drei Jahren rechtlich gleichgestellt.