Politik/Ausland

Krieg im Jemen: „Wir haben das Recht, uns zu verteidigen“

Oberst Turki Al-Malki von der saudi-arabischen Armee ist seit Juli 2017 der Sprecher der von Saudi-Arabien geführten Militärkoalition, die einen Krieg gegen die Houthi-Rebellen im  Jemen führt. Anfang Mai war er auf Einladung der Diplomatischen Akademie und der Botschaften Saudi-Arabiens und des Jemen in Wien zu Gast, um über die Militärkoalition und die Lage im Jemen zu sprechen. Am Podium saß auch der jemenitische Informationsminister Mutahar Al-Eryani. In getrennten Interviews mit dem KURIER sprachen Al-Malki und Al-Eryani über zivile Opfer, die angebliche Beteiligung Irans und saudische Waffen-Deals in einem wenig beachteten Krieg auf der arabischen Halbinsel. 

KURIER: Alle paar Tage liest man in den Nachrichten, dass die Houthi-Rebellen Raketen in Richtung Saudi Arabien abgefeuern. In der Regel werden diese abgefangen. Jetzt einmal die Gegenfrage: Wie viele Raketen hat die von Saudi-Arabien geführte Militärkoalition in Richtung Jemen abgefeuert?

Al-Malki: Das Hauptziel der Luftangriffe der Koalition ist es, die jemenitischen Streitkräfte bei ihrem Kampf gegen den Houthi-Rebellen zu unterstützen. Wir sind daher keine Befreiungsarmee, sondern nur eine unterstützende Kraft. Was auch immer nötig ist, werden wir umsetzten, um den Streitkräften zu helfen, mehr Land zu befreien. Die genaue Zahl der Luftangriffe kann ich aus Sicherheitsgründen nicht sagen, aber ihre Zahl ist sehr hoch. Wir wollen damit die militärischen Fähigkeiten der Rebellen neutralisieren oder vernichten. Wir werden weiterhin die jemenitische Armee unterstützen, um die legitime jemenitische Regierung wieder einzusetzen.

Laut verschiedenen Menschenrechtsorganisationen wurden von der Koalition auch zivile Ziele getroffen. Amnesty International geht von 36 Angriffen und 513 toten Zivilisten aus. Wie rechtfertigen Sie diese Angriffe?

Die Koalition hat sich dem LOAC (Law Of Armed Conflict, Humanitäres Kriegsvölkerrecht, Anm.) verpflichtet und implementiert hohe Standards, wenn es um das Anvisieren von Zielen geht. Es gibt Vorwürfe, dass zivile Ziele getroffen wurden. Wir als Koalition sind da sehr offen und überprüfen jeden Vorwurf intern. Wenn sich herausstellt, dass wir etwas mit diesen Vorfällen zu tun haben, dann werden wir uns dazu bekennen und Verantwortung übernehmen. Es gibt keine Kriege ohne zivile Opfer. Wir tun aber alles in unserer Macht, diese zu vermeiden.

Was geschieht aber, wenn sich herausstellt, dass die Koalition die Schuld trägt?

Sie müssen zuerst verstehen, dass die Houthis keine offizielle Armee sind und somit keine Uniformen tragen. Sie kämpfen in ziviler Kleidung. Wenn ihre Kämpfer dann im Kampf getötet werden, behaupten sie, es seien Zivilisten gewesen. Wir überprüfen aber wie gesagt jeden Vorwurf. Wenn unsere Untersuchungen ergeben sollten, dass Mitglieder der Koalition sich nicht an das Protokoll gehalten haben, wird es Strafen für diese Menschen geben.

Der Kampf gegen den Houthi-Rebellen läuft bereits seit 2015. Er droht zu einem Vietnam für die arabische Koalition zu werden.

Wir kämpfen gegen eine terroristische Organisation. Der Kampf kann noch einen Tag oder ein Jahr dauern. Die Houthi-Rebellen müssen sich an den Forderungen der UN Resolution 2216 von 2015 halten. Das Ziel der Koalition und der internationalen Gemeinschaft ist es daher, wie gesagt, die legitime Regierung zu unterstützen.

Die Koalition wirft dem Iran vor, die Rebellen zu unterstützen. Welche Beweise haben sie dafür?

Es ist ganz klar, dass der Iran die Houthis unterstützt. Iranische Funktionäre haben öffentlich ihre Unterstützung verkündet.

Im gleichen Atemzug aber streiten sie ab, dass sie die Houthis mit Waffen oder Raketen beliefern.

Die Houthis hatten keine ballistischen Raketen, keine Drohnen, keine Anti-Panzer-Raketen. Die iranische Regierung hat sie damit beliefert. Genau so, wie sie die Hisbollah mit der gleichen Waffentechnologie versorgt. Die iranische Unterstützung ist offenkundig.

Bernadette Meehan, die ehemalige Sprecherin des US Sicherheitsrates, also eine Verbündete der Koalition, wu
rde mit der Aussage zitiert, dass der Iran keine Kontrolle über die Houthis habe.

Wir als Koalition haben der Welt Beweise vorgelegt, die zeigen, dass der Iran die Houthis unterstützt. Unter anderem haben wir die Reste der Raketen, die über Saudi Arabien abgefeuert wurden, vorgelegt.

Aber wir reden hier von Waffen oder Waffenreste. Es gibt noch keine direkte Verbindung zur iranischen Regierung. Saudische, russische, sogar österreichische Bürger haben sich dem IS angeschlossen. Der IS hatte ebenfalls ausländische Waffen. Das beweist aber nicht, dass der IS von diesen Ländern in irgendeiner Weise unterstützt wurde.

Wir reden hier aber nicht über Kalaschnikows oder anderen Feuerwaffen, sondern über ausgeklügelte Raketen, die nicht mal die jemenitischen Streitkräfte hatten. Wir reden über militärische Speedboats mit iranischen Komponenten und Raketen. Wir haben die Route erforscht und offengelegt: Die Waffen gelangen über Dahieh in Beirut über Syrien nach Bandar Abbas (Hafenstadt im Süden des Irans, Anm.) und schließlich in den Jemen. Diese Waffen kamen vom Iran. Der Iran unterstützt die Houthi und andere terroristische Organisationen.

Und warum sollten sie das tun?

Haben Sie den Iran gefragt?

Ich frage Sie.

Die iranische Regierung hat kein wirkliches Interesse am Jemen. Für sie ist das Land ein großes Experimentierfeld für ihre Waffentechnologien. Sie wollen Chaos in der Region stiften. Aber sie wollen auch dem Golf-Kooperationsrat entgegenwirken und nutzen den Jemen als Frontlinie. Erst wenn der Iran aufhört, Waffen zu den Houthi zu schmuggeln, wird der Jemen sicher sein.

Apropos Waffen, Saudi-Arabien hat Waffen-Deals in Milliardenhöhe mit den USA, Großbritannien und Russland abgeschlossen. Sie haben vor Kurzem gesagt, dass die Koalition sich das Recht vorbehalte, dem Iran zu einem richtigen Zeitpunkt und an einem richtigen Ort zu antworten. Bereitet sich Saudi-Arabien auf einen potentiellen Krieg gegen den Iran vor?

Meine Äußerung kam, nachdem wir festgestellt hatten, dass die Raketen, die auf Saudi-Arabien abgefeuert wurden, iranischer Abstammung sind. Saudi-Arabien und die Koalition haben das Recht, sich gemäß internationalem Recht zu verteidigen.

Bedeutet das lediglich Verteidigung oder auch einen Erstschlag?

Ich glaube, dass unsere Stellungnahme klar darin ist. Wir haben das Recht unser Land und unsere Sicherheit zu verteidigen.

US-Außenminister Mike Pompeo hat vor wenigen Tagen in Riad gesagt, dass nur eine politische Lösung für Stabilität im Jemen sorgen kann.

Eine politische Lösung wäre in der Tat die beste Option für das jemenitische Volk. Als Koalition unterstützen wir das. Wir wollen Druck auf die Houthi ausüben, damit sie sich an den Verhandlungstisch setzen.

Interview: Muhamed Beganovic

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„Die Houthis sollen sich zu einer politischen Partei formieren“

Der jemenitische Informationsminister Moammar Mutahar al-Eryani über die einzige Möglichkeit, den Krieg im Jemen zu beenden.

KURIER: Wenn Sie über die Houthi-Rebellen sprechen, dann ist da immer die Rede von ihren „schrecklichen Taten“. Die Kriminologie betrachtet aber immer auch das Motiv. Was wäre dieses denn bei den Houthis? Was treibt sie an?

Al-Eryani:Die Houthis wollen im Jemen eine Regierung an die Macht bringen, die sie lenken können. Sie selbst wollen nicht an die Macht, sondern nur Macht über die Regierenden ausüben.

Lassen Sie uns aber nicht vergessen, dass es neben den Houthis auch andere Kräfte im Land gibt, die um Macht kämpfen. Unter ihnen der IS, Al Qaeda aber auch das Southern Transitional Council, das von den Emiraten maßgeblich unterstützt wird. Warum wird auf diese Kräfte kaum eingegangen?

Auch diese Organisationen sind selbstverständlich gefährlich und es wird auch gegen sie vorgegangen. Gemeinsam mit der internationalen Koalition, zu der neben Saudi Arabien unter anderen auch die Vereinigten Arabischen Emirate, die USA und Großbritannien gehören, ist es der jemenitischen Regierung gelungen, etliche Provinzen von verschiedenen Fraktionen zu befreien. In diesen Provinzen haben diese radikalen Kräfte kaum mehr Einfluss.

Ende April gelang es der Koalition, den Milizen-Anführer Saleh Ali al-Sammad zu töten. Politologen befürchten nun eine weitere Gewaltspirale. Wie wird sich das ihrer Ansicht nach auf die Situation im Jemen auswirken?

Es gibt bereits Gewalt in Jemen und zwar in einem Ausmaß, das man sich nicht vorstellen kann. Al-Sammads Tod wird weder zu einer Steigerung, noch zu einer Abschwächung der Gewaltspirale führen.

Auch Sie sprechen davon, dass der Iran die Houthi-Rebellen militärisch unterstützt. Das Land selbst aber hat dies oft dementiert.

Es gibt Aufnahmen, auf denen man klar sehen kann, dass Iraner die Houthi-Rebellen ausbilden.

Selbst wenn diese Personen Iraner waren, so beweist das doch nicht, dass die iranische Regierung dahintersteckt. Es könnten auch vereinzelte Sympathisanten gewesen sein.

Iranische Regierungsbeamte haben öffentlich damit geprahlt, dass Sanaa die vierte arabische Stadt unter Irans Führung ist. Zudem hat der Iran Waffen an die Houthis geliefert. Das sind Fakten. Die iranische Regierung hat mehrmals Schiffe mit Lieferungen in den Jemen geschickt. Unsere Regierung hat 2014 zum Beispiel zwei Schiffe beschlagnahmt. Ihre Besatzung wurde befragt. Sie haben Geständnisse abgelegt, dass sie vom Iran geschickt wurden.

Wurden diese Geständnisse unter Folter abgenommen?

Nein, absolut nicht. Es gibt Videoaufnahmen davon. Wir sind der Staat und wir betrachten das gesamte jemenitische Volk als unser Volk. Wir wollen, dass die Houthis die Waffen wieder ablegen und Frieden im Land haben. Wir müssen uns als Land aber gegen jegliche Umstürze schützen, denn wenn wir den Houthi-Putsch legitimieren, dann könnten morgen andere Organisationen wie der IS oder Al-Qaida ihre eigene Putsch-Versuche starten.

Wie würde denn dieser Frieden aussehen und wie wäre er zu erreichen?

Unsere Standpunkte sind relativ einfach. Erstens fordern wir die Annahme der Golf-Initiative aus dem Jahre 2011. Diese sieht unter anderem die Anerkennung des Machtwechsels vom ehemaligen Präsidenten Ali Abdullah Saleh zum jetzigen Präsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi vor. Zweitens sollen die Ergebnisse des 2013 stattgefundenen Nationalen Dialogs angenommen werden. Die sehen vor, dass Frauen 30 Prozent und Jugendliche 20 Prozent der Macht erhalten und dass der Jemen zu einem föderalen Staat wird. Die dritte Bedingung ist die Umsetzung der Resolution 2216 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2015. Ein zentraler Aspekt dieser Resolution ist die Abrüstung der Houthis. Ein weiterer Aspekt sieht vor, dass sich die Houthis zu einer politischen Partei formieren.

Sie haben einmal davon gesprochen, dass den Houthis bei den letzten Verhandlungen Zugeständnisse gemacht wurden, diese aber abgelehnt wurden. Was waren diese Zugeständnisse?

Wir haben ihnen angeboten, an einer friedlichen Erneuerung des Staates teilzunehmen. Die Houthis sollen sich zu einer politischen Partei formieren, die vom Volk gewählt werden kann. Sie müssen aber die Waffen ablegen und ihre Streitkräfte aus den von ihnen besetzten Gebieten zurückziehen. Ist es nicht auch bereits ein Zugeständnis, dass wir ihnen angeboten haben, sie nicht für ihre Taten zu verfolgen und zu bestrafen, wenn sie diesen Weg einschlagen? Wir können ihnen aber nicht die gesamte Macht überlassen.

Sie sprechen von Frieden aber finden es in Ordnung, dass die von Saudi-Arabien geführte Militärkoalition den Jemen bombardiert?

Jemens Hilfeschrei nach außen kam erst, als alle anderen Versuche, das Land zu stabilisieren, erschöpft waren. Die Nachbarstaaten, allen voran Saudi-Arabien, haben diesem Ruf Folge geleistet. Ich glaube nicht, dass ein moralisches Land tatenlos zusehen kann, wenn im Nachbarland Menschen getötet werden. Und ganz sicher stehen wir noch immer hinter der Koalition. Sie sind gekommen, um uns zu helfen.

Die Luftangriffe der Koalition treffen aber auch immer wieder unschuldige Zivilisten. Wie können Sie das rechtfertigen?

Die Regierung hat die unabhängige Nationale Untersuchungskommission eingerichtet, die alle solche Vorfälle und Menschenrechtsverletzungen überprüft. Sie verfassen jährlich einen Bericht, der der internationalen Staatengemeinschaft, der Koalition und dem UN-Menschenrechtsrat in Genf vorgelegt wird. Solche Vorfälle finden aufgrund von Fehlern statt, nicht weil absichtlich auf Zivilisten gezielt wird. Wir trauern aber um jeden getöteten Jemeniten.

Was muss denn nun geschehen, damit der Krieg aufhört?

Die Houthis müssen die Waffen ablegen. Es gibt da keine Kompromisse. Wir akzeptieren keine Milizen, die Veränderungen mit Gewalt bewirken wollen. Nur demokratische Wahlen sollen dazu verwendet werden.

Interview: Muhamed Beganovic