Krieg der Worte zwischen Türkei und Russland
Von Stefan Schocher
In Paris geht es dieser Tage an sich um die Erderwärmung – in vielen bilateralen Gesprächen aber drehte sich alles vor allem um das eisige Klima zwischen Russland und der Türkei nach dem Abschuss eines russischen Jets durch die türkische Luftwaffe in der Vorwoche. Und dabei wählen Spitzenpolitiker harte Worte. So etwa Russlands Präsident Wladimir Putin: Er beschuldigte die Türkei der Komplizenschaft mit der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) in Syrien. "Wir haben Grund zu der Annahme, dass die Entscheidung zum Abschuss (...) von dem Willen bestimmt war, die Öl-Lieferrouten zum türkischen Territorium zu sichern", so Putin. Der Schmuggel erfolge auf "industrielle Weise".
Die türkische Staatsspitze, allen voran Präsident Racep Tayyip Erdogan, wies diesen Vorwurf zurück. Der machtbewusste Erdogan sagte, er werde zurücktreten, sollte das bewiesen werden. Zugleich forderte Erdogan Putins Rücktritt, sollte kein Beleg für diese Anschuldigung vorgelegt werden.
Syriens Außenminister Walid Muallem indes beschuldigte Erdogans Sohn Bilal, Drahtzieher des Öl-Handels mit dem IS zu sein.
Aufruf-Diplomatie
US-Präsident Barack Obama versuchte in Paris in der Sache zu vermitteln und traf sich zu einem 30-minütigen Gespräch mit Putin. Viel mehr als ein Aufruf zu einer friedlichen Beilegung des Streits an beide Seiten kam dabei aber nicht heraus – wobei Obama betonte, dass die Türkei ein NATO-Partner sei.
Putins Sprecher Dmitri Peskow wiederum sagte nach dem Treffen, der Vorfall zeige, dass intensiver Informationsaustausch im Syrien-Konflikt nötig sei. Aber: "Die Zeit zur operativen Zusammenarbeit ist noch nicht reif." In anderen Worten: Stillstand.
Stillstand, während Russland und die Türkei einander mit allerlei Sanktionen belegen. So wird Russland ab Jänner für Türken die Visapflicht einführen. Arbeitsgenehmigungen für türkische Bürger werden nicht mehr ausgestellt. Zugleich hat Russland alle Charter-Flüge in die Türkei eingestellt – was aber nicht nur die türkische Tourismusbranche (vier Mio. Touristen 2014) trifft, sondern viel mehr noch die ohnehin schwer angeschlagene russische. Zugleich verhängte Moskau ein Handelsembargo vor allem für Lebensmittel – was die gesamte Handels-Dynamik durcheinanderwürfelt. Für den Wegfall türkischer Güter in Russland dient sich jetzt Ägypten an. Für den Wegfall russischer Güter für die Türkei wiederum die Ukraine.
Putins Vorwurf gegen die Türkei stößt dabei in einen Graubereich. Dass der IS im großen Umfang mit Öl handelt, ist bekannt. Anscheinend hat die Terrormiliz dafür auch gezielt ehemalige Top-Leute des irakischen Geheimdienstes rekrutiert, die schon unter Saddam Hussein Iraks Öl-Export unter Umgehung des damaligen Embargos abwickelten. Auf IS-Seite sind also Profis in diesem Business am Werk.
Geschäfte mit dem IS
Und letztlich ist es so, dass sehr viele Parteien in Syrien selbst schon kaum darum herumkommen, mit dem IS Handel zu treiben – nachdem die Gruppe große Öl- sowie Gas-Felder, aber auch Gas-Kraftwerke hält. So wickelt etwa auch der syrische Staat wohl direkt mit dem IS Energiegeschäfte ab. Und ebenso tun es Rebellengruppen, die mit dem IS rivalisieren. Den Treibstoff für die Jeeps, mit denen sie gegen den IS zu Felde ziehen, beziehen sie oft direkt vom IS.
Jens Stoltenberg ist ein umsichtiger Politiker. Auch die jüngste Eskalation der Spannungen zwischen dem NATO-Mitglied Türkei und Russland hat der norwegische Sozialdemokrat im Griff.
Das nordatlantische Militärbündnis komme der Aufforderung der Türkei nach einer stärkeren militärischen Unterstützung im Bereich der Luftabwehr nach, aber die Entscheidung wurde schon vor dem Abschuss des russischen Kampfjets durch die türkische Luftwaffe an der syrischen Grenze getroffen, betonte Stoltenberg. Damit wollte er beim zweitägigen NATO-Außenministertreffen in Brüssel nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen, sondern kalmieren.
„Wir werden an weiteren Maßnahmen arbeiten, um die Sicherheit der Türkei zu gewährleisten“, kündigte Stoltenberg an und verwies darauf, dass die NATO schon seit 2012 die Türkei mit dem Luftabwehrsystem vom Typ Patriot unterstütze. Der Einsatz läuft allerdings Ende dieses Jahres aus. Stoltenberg machte keine Angaben dazu, wie eine künftige Unterstützung des Bündnisses für das langjährige NATO-Mitglied Türkei (NATO-Beitritt 1952) konkret aussehen könnte. Er verwies aber auf Marine-Einheiten aus Deutschland, Dänemark und Großbritannien im östlichen Mittelmeer und die Stationierung von US-Kampfflugzeugen auf türkischem Boden. „All dies trägt zur Rückversicherung der Türkei bei“, sagte der NATO-Generalsekretär.
Die Terrormiliz IS verfügt nicht über eine Luftwaffe, die die NATO mit ihrer Flugabwehr bekämpfen könnte. Dagegen beschwert sich Ankara seit Wochen über Luftraum-Verletzungen russischer Jets, die Luftangriffe in Syrien fliegen. Dafür verlegte Russland ein modernes Flugabwehrsystem des Typs S-400 auf einen Stützpunkt im syrischen Latakia. Damit können Raketen und Flugzeuge in bis zu 400 Kilometern Entfernung abgeschossen werden.